Bewertung
Okkervil River

The Silver Gymnasium

"Open-eyed and half-ashamed": Mit dem Vorsatz, ein für seine Hörer möglichst vergnügliches Album aufzunehmen, hat sich Will Sheff für "The Silver Gymnasium" einen kleinen Ausflug in seine Jugendzeit gegönnt – und tauscht tatsächlich Melancholie gegen Nostalgie und Euphorie.

Foto: Copyright: Pias Coop/Ato
© Pias Coop/Ato

New Hampshire in den Achtzigern – hier spielen Sheffs Geschichten zwischen "weißt du noch?" und "hätten wir doch damals schon gewusst"; vielleicht mit ähnlichem Grundgedanken wie das allerdings genialere "The Suburbs" von Arcade Fire, auf jeden Fall mit ähnlich detailverliebten Erzählungen wie die frühen Springsteen-Arbeiten, deren Geist allgegenwärtig ist.

"The Silver Gymnasium" orientiert sich in der Tat stark an den Traditionen der E-Street-Band oder seinem Jugendhelden Tom Petty und dessen Heartbreakers. Der sonst so pochende, pulsierende College-Rock kommt jetzt in einem volleren, gefälligeren, fast möchte man sagen süffigeren Sound daher. Will Sheff, der Mann, den man sonst mindestens auf Platz 3 der aktuell melancholischsten Indie-Sänger wählen würde, tanzt hier vor mehr Bläsern denn je zuvor, vor einem motivierten Hintergrundchor, auf Instrumenten, die ihn niemals fallenlassen – da ist es nur logisch, dass die Platte kaum die gewohnten emotionalen Ausreißer zu bieten hat.

Zeilen wie "each day gets a little more scary" und "it’s not even close to alright" lassen zwar kurz die altbekannte Okkervil-River-Angst aufblitzen – aber alles, was rundherum passiert, erwartet man so nicht von der Band: Das Klavierintro von "It Was My Season" erinnert auf etwas gruslige Art und Weise an Cat Stevens‘ Harold-and-Maude-Soundtrack, mit "All The Time Every Day" schreibt Sheff seinen ersten Song, den man nicht nur aus reinem Weltschmerz sondern schmunzelnd mitgrölt, in "White" und "Stay Young" scheint er den Groove zu perfektionieren, der ihm für diese Platte vorschwebte – und überall dazwischen finden sich nahezu spritzige Gitarrensoli.

Was die Vermarktung des bisher gefälligsten Okkervil-River-Albums angeht, hat man sich besondere Mühe gegeben: Es gibt ein Videospiel, Videomaterial von den Schauplätzen und eigens gezeichnete Karten mit allen Örtchen und Plätzen, die in Sheffs Jugend von Bedeutung waren. All diese Dinge braucht es aber nicht, um zu merken, dass das, wovon Okkervil River elf Songs lang erzählen, sich ganz ähnlich in jedem Heranwachsenden abspielt und jeden einmal beschäftigt hat: "Are you dumb? Are you insane? – Don’t be ashamed, I’m the same."

Fazit

Interessanterweise wird der Stil von Okkervil River gefälliger und gelassener, je persönlicher Sheffs Texte werden. Im Gegensatz zu den obskuren Geschichten auf beispielsweise "The Stand-Ins" handelt "The Silver Gymnasium" von Sheffs Kindheit und Jugend – während also hier zum ersten Mal auf Albumlänge persönliche Erinnerungen mit einem großen Batzen Nostalgie eingebracht werden, geht auf der anderen Seite etwas Persönliches oder zumindest Besonderes der Band verloren. Es ist nach wie vor intelligenter, mitreißender Retrorock, für den Okkervil River stehen – das, was die Band aber im Musikbusiness so einzigartig macht, diese emotionale Achterbahnfahrt, diese allgegenwärtige Sehnsucht und Suche, wird hier zugunsten von eingängigeren Stilmitteln schon ein bisschen in den Hintergrund gedrängt.

Anspieltipps

It Was My Season

Where The Spirit Left Us

White

Artistpage

OkkervilRiver.com

Tracks

1.It Was My Season
2.On A Balcony
3.Down Down The Deep River
4.Pink Slips
5.Lido Pier Suicide Car
6.Where The Spirit Left Us
7.White
8.Stay Young
9.Walking Without Frankie
10.All The Time Every Day
11.Black Nemo

Stephanie Stummer - myFanbase
07.10.2013

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