Return To Childhood
Nur weniges ist schnelllebiger als das Musikbusiness. Wer heute noch oben steht, ist morgen meist wieder vergessen. Und was gestern noch frisch und modern klang, ist heute oft nur noch langweilig und tausendfach kopiert. Kann dann heute noch etwas interessant sein, das vor über 20 Jahren als progressiv galt? Das allerdings damals auch schon, berechtigt oder nicht, in eine Schublade mit Genesis gesteckt wurde? Fish schickt sich an, uns diese Fragen mit einem lauten JA zu beantworten. Ob es ihm gelungen ist, ist auf seinem neuen Live-Album „Return To Childhood“ zu hören.
Doch erst mal zur eigentlichen Idee hinter dem Album. Vor 25 Jahren trat der in der Nähe von Edinburgh/Schottland aufgewachsene Fish der Band Marillion als Sänger bei. Bereits ein Jahr später stand die Band beim Label-Giganten EMI unter Vertrag, und 1985 erlebten sie den Höhepunkt ihres Schaffens mit dem Album "Misplaced Childhood". Dieses Album war ein Aushängeschild des Progressive Rock und in der Meinung des Autors eines der besten und mitreißendsten Alben der 80er. Ein Jahr später stieg Fish bei Marillion aus, und beide, sowohl die Band nebst neuem Sänger, als auch Fish selbst konnten nie wieder an die großen Erfolge der gemeinsamen Zusammenarbeit anknüpfen, trotz einer großen und treuen Fangemeinschaft.
Auf seiner letzen Tour wagte Fish, der sich eigentlich mit seiner eigenen Musik ja auf Solo-Pfaden von Marillion emanzipieren wollte, endlich den Blick zurück zu den großen Zeiten. Es wurde ein Live-Set gespielt, bei dem zwar auch seine eigenen Hits präsentiert wurden. Doch das Besondere war die komplette Darbietung von "Misplaced Childhood" in einer Live-Interpretation. Und genau diese Tour ist es, die uns "Return To Childhood" nun in das Wohnzimmer auf die heimische Anlage zaubert. Wie zuvor erwähnt also der Versuch, Etwas, dass vor 20 Jahren groß war, wieder auferstehen zu lassen und mit neuem Leben zu erfüllen.
Zur stimmigen Nostalgie passt schon direkt das geniale Cover-Artwork. Der Junge von damals ist erwachsen geworden, doch ist die Rückkehr zur Kindheit nur einen barfüßigen Schritt entfernt. Gehen wir nun diesen Schritt, zu dem Fish uns hier einlädt.
Auf der ersten CD werden Songs aus dem Solo-Repertoire Fishs präsentiert. Während seine Songs aus der Konserve oft altbacken und ein wenig drucklos klingen, wird man hier direkt und ohne Umwege gepackt. Zwar merkt man der Aufnahme nicht immer an, dass es sich um eine Live-Aufnahme handelt, da das Publikum doch recht zurückgehalten abgemischt wurde, doch man kann es auch positiv sehen, schließlich liegt so der Fokus mehr auf der Musik als auf dem Erlebnis. Und das fügt dem heimischen Genuss garantiert keinen Abbruch zu.
Der Opener "Big Wedge" erinnert nach seinem sehr rockigen Intro im Refrain zwar stark an Genesis, doch mit seinen Bläsern und der wahnsinnig präsenten Stimme Fishs macht er sofort Lust auf mehr. Das unheimlich gefühlvolle "Moving Targets" dagegen zeigt dann auch erstmals, in was für einer völlig einnehmenden Art der sympathische Schotte seine Gesangsstimme erzählen lassen kann, bevor im Mittelteil der Song richtig Fahrt aufnimmt.
Immer wieder wird man von der gefühlvoll-druckvollen Interpretation der Lieder gepackt, auch wenn das Alles irgendwie weiter nach den 80ern klingen will. Aber wen stört das schon? Gefühl ist zeitlos.Einzig "Raingods Dancing" fällt etwas aus der Reihe, da es weniger nach vorne geht, dafür allerdings mit einer wunderschönen und spannenden Klavierlinie untermalt ist.
An dieser Stelle muss man nun einen klaren Schnitt ziehen. Die erste CD ist zwar wirklich nett und schön zu hören, jedoch bleiben nun mal die Solostücke deutlich hinter den gemeinsamen Werken mit der Band Marillion zurück. Und dementsprechend muss nun die 2te CD beweisen, dass dieses alte Material auch heute noch zu überzeugen bleibt. Und was soll man sagen? Mir persönlich blieb ab jetzt der Mund für die nächsten 71 ½ Minuten wie eine gemeine Fliegenfalle offen stehen, denn das konnte man kaum so erwarten.
Chronologisch 1 zu 1 wird einem hier das Original-Album "Return To Childhood" präsentiert. Das traumartige Intro "Pseudo Silk Kimono" wiegt einen gleich in die passende Stimmung ein, bevor der fließende Übergang zum absoluten Superhit "Kayleigh" gesucht wird. Und dieser wird nicht nur simpel nachgespielt, sondern durch Fishs stimmliche Präsenz, die in den letzten 20 Jahren anscheinend noch zugenommen hat, absolut ergreifend präsentiert. Zwar haben hier auch die für die 80er typischen und heute eigentlich absolut verbotenen Gniedel-Gitarrensolos Platz, doch genau das will man hier auch hören. Mit "Lavender" folgt auch gleich die 2te Hit-Single des Albums, und dessen wundervolle Klaviermelodie verzaubert auch heute noch und klingt intensiv wie eh und je. Ein großartiger Song mit einer perfekt dramaturgischen Steigerung in ein wundervoll duettartiges Finale, in dem Fishs Background-Sängerin ihren ersten richtig großen Auftritt feiern darf.
Danach darf jemand protzen. Der Drummer spielt ein sehr feines Solo als Übergang, bevor ein sehnsüchtiger Gitarrensound den ersten Teil von "Bitter Suite" einleitet. Insgesamt ein spannender Song, der allerdings etwas untergeht. Denn der tolle Übergang lässt zum ersten Mal echte Live-Stimmung aufkommen, als rhythmisches Klatschen im Hintergrund sofort zu den ersten Klängen von "Heart of Lothian" erschallt. Kurzzeitig mag man sogar, falls vorhanden, die Haarmatte zu einer Gitarren-Keyboard-Kombination schwingen, bevor dieses Pathos-Monster durch die Gehörgänge stampft. Aber Fish nimmt man das im Gegensatz zu vielen seiner jüngeren Kollegen ab, denn genau das passt zu dieser hünenhaften Erscheinung aus Schottland.
Doch bevor ich nun beginne, dem interessierten Leser vollends mit einer kleinkarierten Darstellung eines jeden Songs die Überraschungen beim Entdecken dieses grandiosen Live-Epos zu nehmen, wird das ganze hierdurch gekürzt: "Genau so spannend und aufregend geht es weiter, und viele kleine Details wollen in den neuen Varianten Fishs gefunden werden." Auch die an die eigentliche Neuinterpretation des Klassiker-Albums angehängten Songs "Market Square Heroes" und "Fugazi" fügen sich sehr gut in das Gesamtkonzept von "Return To Childhood" ein und ziehen so den passenden Rahmen um dieses wirklich hörenswerte Stück Musikgeschichte, dass sich jeder anhören sollte, dem entweder bereits die alten Marillion gefielen oder der einfach mal wieder die Rock-Musik hören will, wie man sie damals noch spielen durfte.
Natürlich wird hier weder das Rad neu erfunden, noch zeigt Fish, dass er es heute besser könnte als damals auf dem gemeinsamen Höhepunkt. Jedoch kann bestätigt werden, dass die Eingangs gestellten Fragen durch Fish vollkommen zurecht mit JA beantwortet wurden. Und es bleibt nichts Anderes übrig, als diesem begeistert zuzustimmen.
Anspieltipps:
"Big Wedge"
"Kayleigh"
"Heart of Lothian"
Tracks
CD 1 | 1. | Big Wedge | ||
2. | Moving Targets | |||
3. | Brother 52 | |||
4. | Goldfish and Clowns | |||
5. | Raingods Dancing | |||
6. | Wake Up Call (Make it Happen) | |||
7. | Innocent Party | |||
8. | Long Cold Day | |||
9. | Credo | |||
CD 2 | 1. | Pseudo Silk Kimono | ||
2. | Kayleigh | |||
3. | Lavender | |||
4. | Bitter Suite | |||
5. | Heart of Lothian | |||
6. | Waterhole (Expresso Bongo) | |||
7. | Lords Of The Backstage | |||
8. | Blind Curve | |||
9. | Childhoods End? | |||
10. | White Feather | |||
11. | Incommunicado | |||
12. | Market Square Heroes | |||
13. | Fugazi |
Martin - myFanbase
10.04.2006
Diskussion zu dieser CD
Weitere Informationen
Veröffentlichungsdatum (DE): 12.05.2006Genre: Rock
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