Bewertung
Mando Diao

Hurricane Bar

Die personifizierte Arroganz trägt einen neuen Namen. Genau genommen vier: Björn Dixgård, Gustaf Norén, Carl-Johan Fogelklou und Samuel Giers heißen die schwedischen Schnösel, die sich nach ihrem Überraschungserfolg "Bring' Em In" im Jahre 2004 selbst dermaßen hoch in den Himmel heben, dass die dünne Luft da oben dem Quartett die Synapsen benebelt zu haben scheint. Ob sie einer verzerrten Wahrnehmung zum Trotz mit "Hurricane Bar" würdevoll haben nachlegen können?

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"Ich hab keinen Bock mit Dir rumzuhängen, aber das ist nicht weiter schlimm, Du bist sowieso 'ne hysterische Kuh." Wem solche Liebenswürdigkeiten völlig unverblümt vor den Latz geknallt werden, überlegt es sich besonders gut, sich freiwillig mit den Charmebolzen abzugeben, die eben jene gerade rausgekloppt haben. Das sind Mando Diao. Und die haben nicht alle Tassen im Schrank.

Ohne weiteres möchte man Frontmann Nummer Zwei, Björn Dixgård, ein Rezept gegen Unzurechnungsfähigkeit verschreiben, wenn man hört, dass ihm der Begriff "Mando Diao" im Traum erschien. Ein Mann habe ihn gerufen – so leicht findet sich also einer der elegantesten Bandnamen der Welt.

Recht einfach macht es sich das Quartett aus dem kleinen Örtchen Borlänge auch dann, wenn man sich erdreistet, sie in direkte Verbindung mit anderen Bands (Hives, Strokes, Libertines, Von Bondies – jeweils mit einem "The" davor) zu bringen, die man gerne mal mit ihnen in einen Topf wirft: "Der Zufall will es eben, dass Mando Diao, eine der größten Bands der Geschichte, eine Band, wie es sie nur alle zehn Jahre gibt, in ebendiesem Moment passiert, in einer Welle vergleichbarer Bands. Aber wir sind diejenigen, die herausragen und die übrig bleiben werden!", tönt Frontmann Nummer Eins Gustaf Norén. Gut gebrüllt, Löwe.

Brüllen tut er auch gleich zu Beginn des Albums, und zwar nicht zu knapp. "Cut The Rope" packt Dich am Arm, rüttelt Dich, schüttelt Dich und wenn Herr Norén mit Dir fertig ist, schubst er Dich zurück in Deinen Sessel – Widerstand zweck-, Gegenwehr sinnlos. Ehe Du Dich versiehst, hat er sich Björn zur Verstärkung herangepfiffen. Der zögert nicht lang und pfeffert Dir "Down In The Past" mit ganz viel Schmackes um die Ohren. Du hebst die Hand, möchtest kurz Luft holen – no way. "You Can't Steal My Love" bittet zum Schlagabtausch und Gustaf übernimmt. Du sitzt im Sessel, von links und rechts knallen und schallen die Songs aus den Boxen, die Dich fortan nie wieder loslassen werden. Wie ein wildes Tier schmettert Gustaf das ungestüme Lied über, genau, die Liebe. Allerdings nicht, zumindest nicht in erster Linie, zu einer Frau. Die weiblichen Geschöpfe sind längst sekundär geworden, wurden von den Jungs auf Rang zwei degradiert, müssen sich hinten anstellen. Zuerst kommt die, wirklich verflixt gute!, Musik – und dann erst mal lange nichts.

Man kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, kommt es zu der überaus grazilen Umschreibung einer gewissen Räumlichkeit: "I met her in a crowded room/ where the bookshelves help you/ and knowledge takes your hand." Anderswo auf der Platte bedient man sich da hingegen durchaus klarer Worte: "So you live in a prison!? So you're wasting your life?" Zack, das hat gesessen.

Doch die vier Mandos, die irgendwie alle gleich aussehen, können auch anders. Auf "Ringing Bells" setzt sich der gute Björn zu Dir auf die Sessellehne, legt freundschaftlich den Arm und Deine Schultern, ganz nach dem Motto "Ist ja alles halb so wild", und während Du mit Deinen Augen verunsichert in seine Richtung rollst ohne Dich zu rühren, säuselt er Dir Sätze wie "Little angel fly/ fly among the stars/ Jupiter will comfort you with love." ins Ohr. Die Frage "Where's the hat you loved once?" rührt Dich und Du möchtest Björn aufmunternd auf die Schulter klopfen. Aber daraus wird nichts. Denn in diesem Moment tritt Gustaf erneut auf den Plan, eine seltsame Sache ist das mit zwei Leadern, geht nachdenklich vor Dir auf und ab, richtet seinen Blick andächtig gen Himmel, äh, Zimmerdecke, und klagt: "Baby, why'd you leave me/ on the airport with my fingers/ put together while I was praying for your lover. I wasn't keen at love at the moment/ I didn't even like your modest hairstyle/ but I froze when you left me for another." Da wurde das, ohnehin übergroße, Ego wohl einst gehörig zusammengefaltet. Klarer Fall von verletztem Männerstolz. Und der wird in "This Dream Is Over" auch direkt zum Thema gemacht: "Don't tell me this dream is over/ and don't stop telling me your love […] and don't stop burning my eyes, my bird of blue." Immer erst wollen, wenn's vorbei ist. Die Reue kommt spät – was besser ist als nie. "I can't live without you breath by my past, babe/ I can't breath without your life by my future/ I can't see clear without your teardrops in my eyes." Und so zwingt Dich Gustaf Norén das allererste Mal in Deine inzwischen butterweichen Knie.

Liebenswert. Und als eben jenes erachten sich die vier Jungs – und lieben sich zunächst mal selbst. Auf die Frage hin, was er denn von Jet halte, der australischen Band, mit der Mando Diao die Staaten unsicher machte, hat Gustaf Großmaul, äh, Norén, nur eine Antwort parat: "[…] Jet sind für mich wie Alkohol – gut, um mal einen Abend zu feiern, aber nicht fürs Leben. […] Mensch, wenn ich der Meinung gewesen wäre, Jet seien auch nur ein Quäntchen besser als wir, ich wäre doch vor ihnen in die Knie gegangen! Ich hätte sie angefleht, bei ihnen einsteigen zu dürfen! Hab ich aber nicht." Klare Sache. Aus dem gleichen Mund stammt da auch folgendes Statement: "Ich höre bei ihnen nicht die Leidenschaft wie bei uns."

Tatsächlich, die Leidenschaft platzt bei Mando Diao auf jedem Track aus allen Nähten. Man möchte meinen, die vier hybriden Schweden seien übergeschnappt – sind sie aber gar nicht mal. Die können wirklich was. Und wissen das. Und teilen das der Welt rotzfrech und schnoddrig mit – und immer mit diesem unvergleichlichen, waschechten Charme. Es ist enorm schwierig, auf "Hurricane Bar" – und jeder in den Genuss Gekommene wird das bestätigen– Schwachpunkte ausfindig zu machen. Platten zum Durchhören sind selten. "Hurricane bar" ist eine Sammlung von vierzehn guten und sehr guten Songs, eine musikalische Berg- ohne Talfahrt.

Fest steht, da ist etwas im Gange. Wo? In Schweden. Eine Verschwörung – und wir kriegen nichts mit. Irgendwo im Land der Elche gibt es neben vielen, vielen IKEA-Filialen eine – sicher als IKEA-Filiale getarnte– Traumschmiede, die in regelmäßigen Abständen Megabands ausspuckt wie nichts. Und man wird das Gefühl nicht los, vor Mando Diao hat man nur herumexperimentiert.

Anspieltipps

God Knows

Down In The Past

You Can't Steal My Love

If I Leave You

White Wall

Tracks

1.Cut the rope
2.God knows
3.Clean town
4.Down in the past
5.You can't steal my love
6.Added family
7.Annie's angle
8.If I leave you
9.Ringing bells
10.This dream is over
11.White wall
12.All my senses
13.Kingdom & glory
14.Next to be lowered

Aljana Pellny - myFanbase
17.04.2006

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