Bewertung
Decemberists, The

What a Terrible World, What a Beautiful World

Man möchte meinen, wenn sich die Decemberists mehr als vier Jahre für den Nachfolger von "The King Is Dead" Zeit lassen, kann es sich dabei nur um die Vertonung eines aus mehreren Handlungssträngen bestehenden Märchen-Epos handeln, bei dem fiese Waldhexen und tückische Zwerge einander bekriegen und als Sieger letztendlich die mitreißenden Melodien hervorgehen... Falsch gedacht.

Foto: The Decemberists - "What a Terrible World, What a Beautiful World" - Copyright: Rough Trade
The Decemberists - "What a Terrible World, What a Beautiful World"
© Rough Trade

Die weitaus weniger fantastische Erklärung: Bandoberhaupt Colin Meloy widmete sich seiner Familie und seiner Zweitkarriere, dem durchaus erfolgreichen Schreiben von Kinderbüchern. Das neue Album fällt ebenfalls weniger fantasievoll aus: War "The King Is Dead" seit langem ein Album ohne wirkliches Konzept, das vielleicht aus diesem Grund zwischen den anderen Alben der Band etwas verloren wirkte, macht nun "What a Terrible World, What a Beautiful World" auch ohne roten Faden so viel richtig, dass es zuweilen einen "picaresquen" Zauber vermittelt.

Dies ist umso erstaunlicher, als Meloy diesmal seine Ideen aus einer ganz anderen Quelle schöpfte: Anstelle von Märchen und erfundenen Biographien spielte beim Songwriting sein eigenes Leben die wichtigste Rolle, vor allem natürlich das Familienleben und Dasein als Vater. Die Tatsache, dass er sich diese "Freiheit" nimmt, lässt die Songs eine Leichtigkeit und zugleich eine gewisse Selbstsicherheit ausstrahlen – was Qualität und "Feeling" angeht, bewegen sie sich in der Nähe vom erwähnten Band-Klassiker "Picaresque", ihre Stärken ergeben sich diesmal aber aus den eigenen Erfahrungen und der gewonnenen Reife.

Dass es Veränderungen geben muss, bringen die Decemberists gleich zu Beginn im bereits vielzitierten Opener "The Singer Addresses His Audience" zur Sprache: "We know, we know, we belong to ya / We know you threw your arms around us, in the hopes we wouldn't change / But we had to change some", rechtfertigt sich Meloy augenzwinkernd im langsam Fahrt aufnehmenden Lagerfeuer-Schunkler.

Letzten Endes haben wir es weder mit krassen Veränderungen noch mit "WTF?!"-Momenten zu tun – die Decemberists weichen lediglich einen Stück vom theatralischen Pomp zurück, gehen insgesamt scheinbar weniger verkopft an ihre Songs heran und haben ihrer Musik nicht nur einige neue inhaltliche Schwerpunkte hinzugefügt, sondern auch ihrem Sound ein paar neue Nuancen verpasst. In "Better Not Wake the Baby" wird dem Titel zum Trotz gefiedelt und geklampft, was das Zeug hält; "Till' the Water's All Gone", "Carolina Low" und "Easy Come, Easy Go" schielen vorsichtig in Richtung Country- und Westernstimmung, während generell der Einfluss von Collegerock-Vorbildern wie R.E.M. immer deutlicher wird ("Make You Better").

Am schnellsten ins Herz schließt man freilich die perfekt von vorne bis hinten durchkomponierten Power-Folk-Perlen "Cavalry Captain" und "Philomena" sowie den durch und durch von Wehmut durchzogenen "Lake Song" – Stücke, die das, was das berühmte Decemberists-Feeling ausmacht, perfekt auf den Punkt bringen.

Fazit

Man kann es Veränderung nennen, man kann es aber auch Weiterentwicklung nennen. Oder Heranreifen. Es ist vielleicht auch nur ein einmaliger Ausflug in die Welt des "erwachseneren" Indie-Rock. Tatsache ist: Die Decemberists verwenden auf "What a Terrible World, What a Beautiful World" weniger Theater und weniger Pomp, sind aber immer noch unverkennbar sie selbst und somit weiterhin eine Spur kauziger als ihre Kollegen. Diese Eigenschaft hebt sie letztendlich wieder von denselben ab und macht "What a Terrible World, What a Beautiful World" zu einem der bisherigen Genre-Highlights des Jahres.

Anspieltipps

Cavalry Captain

Philomena

Better Not Wake the Baby

Easy Come, Easy Go

Artistpage

Decemberists.com

Tracks

1.The Singer Addresses His Audience
2.Cavalry Captain
3.Philomena
4.Make You Better
5.Lake Song
6.Till' the Water's All Long Gone
7.The Wrong Year
8.Carolina Low
9.Better Not Wake the Baby
10.Anti ~ Summersong
11.Easy Come, Easy Go
12.Mistral
13.12/17/12
14.A Beginning Song

Stephanie Stummer - myFanbase
26.03.2015

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