Bewertung
Modest Mouse

Strangers to Ourselves

Acht Jahre sind vergangen, seit Isaac Brock das letzte Mal auf einer Platte wie ein Hexenmeister kurz vorm Nervenzusammenbruch vor sich hin gekeift hat, während im Hintergrund die Instrumente einen wilden Reigen tanzten. Acht Jahre – das sind in etwa drei Hipster-Band-Karrieren. Böse Zungen fingen schon an, das Album aufgrund der immer wieder hinausgeschobenen Veröffentlichung mit "Chinese Democracy" zu vergleichen. Nur: Modest Mouse sind nicht irgendeine Hipster-Band. Und während sich Axl Rose während eines Auftritts sieben Mal umzieht, kleiden Modest Mouse ihre Songs lieber in sieben verschiedene Musikrichtungen – am besten gleichzeitig.

Foto: Modest Mouse - "Strangers to Ourselves" - Copyright: Sony Music International/Epic
Modest Mouse - "Strangers to Ourselves"
© Sony Music International/Epic

"Strangers to Ourselves" beginnt mit dem gleichnamigen Song – es ist ein langsamer, schleppender Einstieg, nur damit die Zirkusshow danach umso wilder loslegen kann. Und spätestens bei diesem abrupten Übergang merkt man mal wieder, wie wischi-waschi der Begriff "Indie" eigentlich ist, wie nutzlos und irreführend. Modest Mouse machen seit mittlerweile 22 Jahren Indie-Rock. Okay, und was heißt das nun für das neue Album?

Es heißt: Modest Mouse schreiben wieder tanzflächentaugliche Songs für die sogenannte, nun ja, Indie-Disko. Was zuletzt "Dashboard" für "We Were Dead Before the Ship Even Sank" war, ist nun "Lampshades on Fire" für "Strangers to Ourselves": Zackig, mit diesem gewissen Stillhalten-ist-einfach-unmöglich-Beat und viel zu viel Energie, während Brock äußerst wortreich über die Verschwendung der Ressourcen der Erde und die Apokalypse referiert.

Modest Mouse schreiben auch tanzflächentaugliche Songs, deren aufgedrehter Ringelspiel-Rhythmus

ganz unerwartet in eine Noise-Phase übergeht und dann gemütlich eineinhalb Minuten lang rein instrumental ausklingt ("The Ground Walks, with Time in a Box"). Sie schreiben atmosphärische Balladen zwischen Western- und Endzeit-Feeling, entweder mit schnarrender Gitarre ("Shit in Your Cut") oder mit anschwellender, verschwommener Instrumentierung ("Of Course We Know").

Sie machen Experimente und greifen da auch schon mal ordentlich daneben: Im völlig durchgeknallten "Pistol (A. Cunanan, Miami, FL. 1996)" gibt Isaac Brock den Rapper – und wirkt dabei in erster Linie nur furchteinflößend und verstörend. Sie schreiben sinnfreie Lagerfeuer-Songs namens "God Is an Indian and You're an Asshole". Sie spielen Zirkus-Karussell-Musik ("Sugar Boats"), die so lange immer schneller vor sich hin schunkelt, bis alles in Schutt und Asche liegt und nichts übrigbleibt außer ein paar zynische Textzeilen: "This heart of mine is just some sort of map / That doesn't care about what it's about / Or where the hell you're at".

Sie schreiben auch persönlichere Songs denn je – vor Jahren kam Brocks Bruder Ansel bei einem Lawinenunfall ums Leben; im nach ihm benannten Song erzählt er von ihrer letzten Begegnung, bei der er sich nicht unbedingt von seiner besten Seite zeigte: "You can't know, well, you won't ever really know / ... / The last time that you'll ever see another soul / No, you never get to know".

Die Liste ließe sich noch länger fortsetzen – immerhin umfasst "Strangers to Ourselves" die stattliche Anzahl von 15 Songs, von denen im Endeffekt nur der Rap-Spaß fehl am Platz ist. Was auch immer der Grund für die Wartezeit von acht Jahren war, sei es der Ausstieg mehrerer Bandmitglieder, das "Einschulen" der neuen Bandmitglieder, das Nicht-Vorankommen mit verschiedenen Produzenten, das Nicht-Vorankommen, weil man schlicht und einfach zu faul war: Letzten Endes ist es Brock und seinen Mannen gelungen, die Stilmittel und Grundlagen, die auch auf "We Were Dead Before the Ship Even Sank" vorhanden waren, in ein explosives, aus allen Nähten platzendes Album zu packen.

Fazit

Das Gewöhnlichste an der neuen Modest-Mouse-Platte ist der recht normale Albumtitel, wenn man bedenkt, dass die Band ihre Alben unter anderem "Baron Von Bullshit Rides Again" nennt. Damit hat es sich aber auch schon wieder mit der Gewöhnlichkeit: "Strangers to Ourselves" zeigt, wie vielfältig, undefinierbar und herrlich abgedreht Indierock sein kann, wenn man ihn nur lange genug durch die Mangel dreht. Acht Jahre lang warten? Hat sich gelohnt.

Anspieltipps

Lampshades on Fire

Ansel

The Ground Walks, with Time in a Box

Pups to Dust

Wicked Campaign

The Turtoise and the Turist

Artistpage

ModestMouse.com

Tracks

1.Strangers to Ourselves
2.Lampshades on Fire
3.Shit in Your Cut
4.Pistol (A. Cunanan, Miami, FL. 1996)
5.Ansel
6.The Ground Walks, with Time in a Box
7.Coyotes
8.Pups to Dust
9.Sugar Boats
10.Wicked Campaign
11.Be Brave
12.God Is an Indian and You're an Asshole
13.The Tortoise and the Tourist
14.The Best Room
15.Of Course We Know

Stephanie Stummer - myFanbase
17.05.2015

Diskussion zu dieser CD