Bewertung
Death Cab for Cutie

Kintsugi

Erst verließ ihn Zooey Deschanel, dann verließ Gitarrist und Produzent Chris Walla nach fast zwei Jahrzehnten Zusammenarbeit die Band. Passend zu dem Scherbenhaufen, der nun vor ihm lag, nannte Ben Gibbard das nunmehr achte Album seiner Band "Kintsugi" – einer traditionellen japanischen Reparaturmethode für Keramik, bei der die Bruchstellen nicht vertuscht, sondern betont werden. Metapher, lass nach!

Foto: Death Cab for Cutie - "Kintsugi" - Copyright: Warner Music Group
Death Cab for Cutie - "Kintsugi"
© Warner Music Group

Gibbard wird es wohl mittlerweile schon leid sein, ständig über diesen ach so passenden Titel referieren zu müssen. Tatsache ist jedoch: Chris Walla hat "Kintsugi" zwar nicht mehr produziert, war aber noch am Aufnahmeprozess beteiligt. Wie sich Death Cab for Cutie also ohne Walla schlagen, in welche Richtung sie sich bewegen oder ob sie überhaupt eine andere Richtung als die bisherige wählen werden – das wird sich erst beim nächsten Album zeigen. Und was Gibbards gebrochenes und mittlerweile geheiltes Herz angeht: Mit einer Hand voll Selbsthilfe-Songs tröstet und umschmeichelt er gleichzeitig unzählige leidende Fanherzen – denn darin ist er nach wie vor unschlagbar.

Auch wenn Death Cab mittlerweile große Hallen füllen und ihr anfänglich schüchterner Indie-Rock einem breiten, vollen Sound gewichen ist, der wie gemacht für jene großen Hallen ist, sitzt seine Stimme stets so nah am Ohr des Hörers, dass sie jedem Einzelnen Glauben macht, einzig er allein werde hier getröstet und eingelullt. Dass man dennoch nicht von Kitsch und Schmusesound sprechen kann, ist vor allem der unglaublichen Gelassenheit und Ruhe zuzuschreiben, die jeder einzelne Song ausstrahlt: Über gerade-genug-ausufernden Gitarren und kühlen Synthie-Klängen, die dicht miteinander verwoben sind, thront souverän und selbstsicher Gibbards Gesang, der selbst Sätzen wie "we'll both go on to get lonely with someone else" noch etwas Erhabenes hinzufügen kann und letzten Endes auch einräumt: "There is beauty in the failure".

Bei diesen Zeilen neigt man natürlich dazu, einen Zusammenhang mit der Trennung von Deschanel herzustellen – gleichzeitig hat man aber das Gefühl, dass sich Gibbard und seine Band von nichts mehr so schnell aus der Ruhe bringen lassen, dass sie wahrlich in sich ruhen. Gerade die erste Handvoll Songs schafft es, vom ersten bis zum letzten Ton an zu überzeugen und eine direkten Weg ins Herz zu finden – allen voran "Little Wanderer", die Nummer, auf die sich wahrscheinlich alle am schnellsten einigen können, eine bittersüße, melancholische Pop-Nummer aus der Sicht des Daheimgebliebenen, während die Liebste auf Tour ist ("Someone's gotta be the lighthouse / And that someone's gotta be me").

"No Room in Frame" und "Black Sun" stehen wie zwei unaufgeregte, unverwüstliche Pfeiler ganz zu Beginn des Albums, die sich stetig steigern und an Fahrt aufnehmen, aber immer bedacht bleiben. "The Ghost of Beverly Drive" ist erstmals überbordender Indie-Rock, das entspannte "You've Haunted Me All My Life" nimmt nach dem Fernbeziehungsschmerz von "Little Wanderer" das Tempo raus, während sich das verhaltene "Hold No Guns" schließlich nur noch auf das Nötigste – Gitarre und Gesang – konzentriert.

Dies war die erste, sehr starke Hälfte des Albums; die zweite Hälfte fällt ihr gegenüber zwar qualitativ nicht dramatisch ab, aber sie fällt ab. "Everything's a Ceiling" löst sich nach einem eher durchschnittlichen Beginn am Ende in Wohlgefallen auf, "Good Help (Is So Hard to Find)" tänzelt auf zackigen Synthie-Flächen dahin, "El Dorado" sorgt erstmals für unruhigere Stimmung und bleibt nur durch das beschwörende, ständige wiederholte "And I tried to be kind for you" in Erinnerung. Die abschließenden "Ingenue" und "Binary Sea" sind beide langsam anschwellende Nummern, einmal Synthie-, einmal Klavier-basiert, die unabhängig voneinander womöglich besser zur Geltung gekommen wären.

Hier merkt man, wie wichtig letztendlich die Reihung der Songs ist, wie wichtig sie für den Gesamteindruck eines Albums ist: Hätte man nicht alle "Übernummern" gleich an den Beginn des Albums gestellt, sondern mit den etwas schwächeren vermischt, wäre einem der Unterschied womöglich gar nicht so krass aufgefallen, zumindest aber wäre ein runderer Gesamteindruck entstanden.

Fazit

"Kintsugi" fühlt sich an wie das Album einer Band, die völlig bei sich selbst angekommen ist – was natürlich einer gewissen Ironie nicht entbehrt: Es ist das letzte Album, an dem Chris Walla mitgearbeitet hat; Death Cab for Cutie stehen nach dieser Veröffentlichung wohl vor der Herausforderung, sich erneut selbst zu finden. Das Album selbst bietet jedenfalls unaufgeregten, in sich ruhenden Indie-Rock mit einer Vorliebe für Synthie-Elemente und große Melodien. Die unglückliche Anordnung der Songs stellt das wohl einzige große Manko dar: Die erste Hälfte von "Kintsugi" ist so voll von Hits, dass sie automatisch die restlichen Songs schwächer erscheinen lässt, als sie es an einer anderen Position wären. Um es mit der japanischen Kunst in Verbindung zu bringen: Vertuschung wäre hier sehr wohl besser als Betonung gewesen.

Anspieltipps

Black Sun

The Ghost of Beverly Drive

Little Wanderer

Anspieltipps

DeathCabForCutie.com

Tracks

1.No Room in Frame
2.Black Sun
3.The Ghosts of Beverly Drive
4.Little Wanderer
5.You've Haunted Me All My Life
6.Hold No Guns
7.Everything's a Ceiling
8.Good Help (Is So Hard to Find)
9.El Dorado
10.Ingénue
11.Binary Sea

Stephanie Stummer - myFanbase
07.07.2015

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