Billy Talent II

Es ist bei weitem kein Geheimnis, dass "American Idiot" im Jahr 2005 den Rock auf kommerzieller Ebene dominierte. Ich meine "kommerziell" jetzt hier nicht negativ, es geht mir letztlich nur um die Verkaufszahlen und öffentlichen Erscheinungen wie z.B. in der Werbung oder in den Pausen zwischen den hirnlosen MTV-Sendungen, in denen (mit immens viel Glück) auch mal ein Musikvideo zu sehen ist. Letztlich war dieses Album jedem ein Begriff – jeder kennt mindestens einen Song und jeder zweite hat es im Schrank stehen. Nun stellt sich doch für die Musikindustrie die Frage, wie kann man solchen Erfolg duplizieren?

Billy Talents geistvoll mit "Billy Talent II" betiteltes Album scheint sich dieser Herausforderung anzunehmen. Anders als bei Green Day jedoch, setzt man hier nicht darauf ein "Best-Of" der Rockgeschichte in Lines und Akkordfolgen zusammenzuklauen, sondern vielmehr darauf mit eigenen stilistischen Mitteln Ohrwürmer zu schaffen, die sich von der bisherigen Masse ein wenig abheben.

Und was ist kennzeichnend für die meisten Ohrwürmer? Eben, ein nachvollziehbarer, dominanter Gesang, der sich sofort ins Hirn bohrt und einem in ruhigen Momenten immer wieder ins Ohr hüpft. Und für solche Ohrwürmer ist Sänger Ben Kowalewicz mehr als geeignet. Er entspricht dem Profil mit einer erschreckenden Genauigkeit. Hohe, punkige, dominante Stimme in leicht einprägsamen Gesangsmelodien – wer behauptet, er würde nach dem Hören von "Surrender" die anschließenden viertausend Tage etwas anderes vor sich hinsummen... ach was sag ich da? Sowas kann keiner von sich behaupten! Zudem ist es kein Zufall, dass "Red Flag" sich gleich in drei PC-Spielen wiederfindet.

Gesucht: Ohrwürmer, die sich perfekt für Werbung, MTV und Soundtracks eignen und sich hierbei jedem Musik-Legastheniker einprägen? Gefunden!

So, aber eine CD besteht ja aus mehr als nur dem Gesang (manch einer mag es kaum glauben!). Was ist aus der innovativen Zusammenwürfelung verschiedener Stile und Parts, die manch einen zum Kauf des ersten Albums (ja, dieses hieß tatsächlich nur "Billy Talent") bewegt haben geworden? Leider, findet sich die Kraft, die Abwechslung, die Progressivität des Vorgängers eigentlich nur in den ersten vier Songs wieder. "Devil in a Midnight Mass", "Red Flag" und "This Suffering” sind wirklich fantastische, abwechslungsreiche Songs (und wer hätte es geglaubt, es ist möglich Songs in Massen zu verkaufen, die aus mehr als zwei Teilen bestehen!) – der vierte ("Worker Bees") trifft meinen Geschmack zwar nicht, ist aber noch immer so durchdacht wie seine Vorgänger.

Danach flacht die CD rapide ab. Letztlich stehen die ohrwurmigen Gesangsmelodien beinahe allein im Raum – die musikalische Unterstützung erinnert hier bereits immens an [hier bitte beliebige Skater-/ High-School-Punkrockband einfügen]. Viele Songs sind nur noch über den Gesang von einander zu entscheiden. Wer also eine konsequente Fortführung (oder gar Weiterentwicklung!) der musikalischen Eigenschaften des ersten Albums erwartet, ist hier fehl am Platz. Wer hingegen solche Musik sucht, wie sie in amerikanischen Teeniefilmen ständig auf Parties zu hören ist, der soll sich begnügt in das Abenteuer stürzen.

Gesucht: Band die ihre musikalischen Errungenschaften achtlos wegwirft um Rock zu machen, der selbst dem hartgesottensten Pop-Fan zugänglich ist? Gefunden!

Anspieltipps:

This Suffering

Devil in a Midnight Mass

Red Flag

Artistpage:

billytalent.com

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