Bewertung
Deftones

Saturday Night Wrist

Habt ihr euch auch schonmal gefragt, was wohl passiert wäre, hätte Kurt Cobain nicht den Rat seiner Schrotflinte gesucht? Wäre Nirvana auch dann immer noch eine Legende? Oder spielt beim „Legende werden“ im Rockbusiness vielmehr das dramatische Ende eine immense Rolle?

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Nun, was aus potentiellen Legenden wird, die ihr Ende nicht dramatisch inszenieren zeigen uns die Deftones in den letzten paar Jahren. Sie haben sehr schwer daran gearbeitet, das Denkmal, dass sie sich einst selbst mit ihren ersten drei Alben ("Adrenaline", "Around the Fur", "White Pony") errichteten, Stein um Stein abzutragen. Die fünf (ehemaligen) Musizentriker aus Sacramento ergaben sich in letzter Zeit den Drogen und bandinternen Streitigkeiten und schoben dabei die Musik immer mehr in den Hintergrund. Nach dem enttäuschenden vierten Album ("Deftones") galten sie in den Augen Vieler (wie aus einigen Interviews hervorgeht manchmal sogar in ihren eigenen) schon als aufgelöst.

Dann aber geschah das Wunder – eine Band, die so verstritten ist, dass sie inzwischen keine Interviews mehr miteinander geben stückelte ohne wirklichen Kontakt zueinander ein weiteres Album zusammen: "Saturday Night Wrist". Ob eine solche CD überhaupt in der Lage ist noch einmal wirklich gute Musik zu präsentieren, davon wollte ich mich selbst überzeugen.

Der Opener (gleichzeitig auch die Singleauskopplung) "Hole in the Earth" konnte mich begeistern. Und ich begann zu hoffen. Zwar erinnert er in seiner Machart stark an "Minerva" und weniger an wirklich fantastische Songs aus lang vergangenen Zeiten aber in seiner Gesamtheit schwingt eine tiefe Trauer um die Situation der Band mit (Beleg? Textzeilen wie "I hate all of my friends, they all attack sometimes") die einen ergreift und in schöne Herbstnachdenklichkeit versetzt.

Auch viele weitere Songs des Albums tragen diese Stimmung weiter ("Beware", "Cherry Waves", "Xerces") und kreieren einen schönen, herbstlichen Eindruck, der stellenweise schon von Nachdenklichkeit in Apathie umschlägt. Doch schon bei diesen Songs fällt eines auf: Ideenlosigkeit. Immer wieder flüchtet sich Sänger Chino Morino in den Refrains in die gleichen drei Töne, in sich mehr als nur stark ähnelnde Gesangslines.

Diese immergleichen Refrains setzen sich auch in Songs fort, die in ihren Strophen vor Kraft beinahe Platzen ("Rats! Rats! Rats!") oder als wirklich gelungener Mittelweg zwischen Kraft und sanftem vor sich hintreiben scheinen ("KimDracula").

Wenige Songs können aus dem festgefahren erscheinenden Schema ausbrechen: Der wenig musikalisch anmutenden Agressionsakt "Rapture", das wirklich sehr hübsche Instrumental mit dem unsäglich langem und irgendwie sinnlos erscheinenden Namen "U, U, D, D, L, R, L, R, A, B, Select, Start" und der grausige Beleg für das was passiert, wenn man einem mit Drogen vollgepumpten Rock-Musiker einen Synthesizer gibt ("Pink Cellphone"). Auch die hoffnungsvoll erscheinende Koproduktion mit System of a Down Sänger Serj Tankian ("Mein") vermag wenig zu überzeugen, da seine Stimme nicht zur Höchstform aufläuft und so in diesem Stück einfach deplaziert scheint. Schließlich gibt es da noch den gewohnt expressionistisch anmutenden Ausklang des Albums ("Riviere"), der aus irgendeinem Grund wirklich gut erscheint.

Und so ergibt es sich letztlich, dass ein nicht wirklich innovatives Album irgendwo in der Mittelmäßigkeit umherschwirrt. Dennoch ist diese CD eine wirklich angemessene akustische Begleitung für die Herbstlichkeit, die vor der Tür herrscht. Trotz sich stellenweise extrem ähnlichen Songs kann man zu diesem Album wunderbar vor sich hin gleiten und sich stellenweise sogar in diese CD verlieben. Besonders die zuerst genannten Songs vermögen es einen zu umspinnen, wenn auch nicht bedingungslos zu fesseln.

Bleiben also für die Deftones zwei Wege aus der Mittelmäßigkeit: sie vertragen sich, kommen von den Drogentrips runter und knallen in nächster Zeit (so ein oder zwei Jahren) ein wirklich fantastisches Album in die Regale oder sie lösen sich auf. Ich hoffe nur, dass sie aufhören sich und ihr Denkmal zu zerstören.

Anspieltipps:

Cherry Waves

KimDracula

Hole in the Earth

Artistpage:

deftonesworldwide.com

Tracks

1.Hole in the Earth
2.Rapture
3.Beware
4.Cherry Waves
5.Mein
6.U, U, D, D, L, R, L, R, A, B, Select, Start
7.Xerces
8.Rats! Rats! Rats!
9.Pink Cellphone
10.Combat
11.KimDracula
12.Riviere

Martin S. - myFanbase
09.11.2006

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