Bewertung
Incubus

Light Grenades

Es gibt Bands, bei denen kann sich die Erwartungshaltung vor einer neuen Veröffentlichung in schwindelerregende Höhen winden, meist entstanden durch sehr gute Vorgängeralben. Viele beißen sich an einem gelungen Erfolg oft die Zähne aus, verzweifelt in dem Versuch, Bestehendes zu wahren und sich trotzdem weiter zu entwickeln. Nur wenige legen einen Silberling nach dem anderen nach, der immer wieder zu überzeugen weiß. Und immer wieder begeistern? Fast unmöglich. Aber dann gibt es auch diese Ausnahmen. Manches sticht aus der Masse hervor, und eine solche Speerspitze waren bisher Incubus. Verlässlich ungewöhnlich, immer neue Grenzen, immer eine perfekte Mischung aus rauem Rock, schönen Melodien und großen Momenten.

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© Columbia Records

Stellt sich beim Neuling "Light Grenades" also die Frage, ob es der Fünfer aus Kalifornien auch hier schaffen sollte, den mal wieder unendlich großen Ansprüchen gerecht zu werden. Und es beginnt auch zurückhaltend. Das Album-Intro "Quicksand" ist ein schwer verdauliches Experimentalstück mit elektronisch zuckenden Klängen, verzerrter Stimme und klebrigem Schwergang. Oder anders ausgedrückt: Der perfekte Vorläufer zu "A Kiss To Send Us Off", einfach wegen der völligen Gegensätzlichkeit. Wurde man erst eingelullt und wohlig auf neue Ideen eingestimmt, wird hier erst mal einiges gerade gerückt. Sehnsüchtige Strophen wechseln sich mit brachialen Gitarrenwänden im Refrain ab, und man merkt schnell, dass Incubus weiterhin auch schnell und rau können. Besser konnte es kaum los gehen.

Mit "Dig" haben wir dann auch den ersten eher balladesken Song auf "Light Grenades". Traumhaft, wie viel Seele Brandon Boyd in so einen eigentlich eher simplen Song stecken kann. Wobei man sich sehr schnell dabei ertappt, wie man völlig verträumt den ausgelegten Spuren dieser feinen Melodie-Strukturen folgt. Abschalten, träumen, genießen. Und dann aber bitte schnell wieder aufwachen. Denn mit "Anna Molly" kommt die erste Singleauskopplung im Midtempo um die Ecke geritten. Und was für ein Ohrwurm hier raus gehauen wird. Wer hier noch nicht mal mit seinem Fuß wippt, schwebt irgendwo zwischen Koma und Tod. Grooviger Alternative-Rock nahe der Perfektion.

Leider schaffen Sie es nicht, dieses Niveau durchgehend zu halten. "Love Hurts" ist genau so flach und unnötig, wie der Titel schon klingt. Es ist zwar kein schlechter Song und hat ja auch mit Sicherheit seine Daseinsberechtigung, aber nicht auf einem Album von Incubus. Zu gewöhnlich sowohl die Ballade als auch der Text. Aber eigentlich ist das gar nicht so schlimm, schließlich haut der Titelsong erst mal alles von der Tischplatte. Incubus jagen hier in 2:20 Minuten beinahe im Hardcore angesiedelt durchs Ohr und reißen den unnötigen Ballast aus "Love Hurts" schnell wieder ein. Was vorher an radiokompatibler Angepasstheit mühsam aufgebaut wurde, wird hier schnell wieder am Fundament zerstört. Das rotzt und geifert, dass es eine Freude ist. Und mit "Earth To Bella (Part 1)" folgt gleich noch ein Kracher für die kommenden Konzerte hinterher. Was so ruhig und bedächtig beginnt, kracht bald mit tiefen Gitarren, presst an die Wand. Noch mal frei gelassen mit verletzlicher Leichtigkeit, explodiert der Song mit einem kecken "Whoooooh" wieder, animiert zum Springen. Eine "Song2"-Antwort aus dem Kosmos von Incubus.

Danach wird es bodenständig. "Oil & Water" rockt einfach, ist zwar unauffällig, aber ganz nebenbei der Song, wie man ihn seit Jahren auch mal 3 Doors Down wünschen würde. Aber wir reden hier von Incubus, und da geht so was unter. "Diamonds And Coal" landet leider in der gleichen Schublade. Aber damit auch zum Glück die Angst, Incubus würden die Ideen ausgehen. Denn "Rogues" lädt ein, mit einer Melodie, die fast schon an die Foo Fighters erinnert, dabei gibt es aber noch schnellere Momente zum ausflippen und ein Gitarrenpart, an dem Tom Morello seine Freude gehabt hätte.

Und überhaupt, jetzt zieht die Klasse noch mal richtig an und hinterlässt staunende Kinderaugen. "Paper Shoes" ist ruhig, etwas schräg und doch... irgend etwas Spezielles in der Art, im Rhythmus, in der Stimme. Melancholie, Sehnsucht, suchend, treibend. Die Markenzeichen von "Paper Shoes" sind groß und mächtig, und es zerbricht alles in einer leisen Welt simpelster Gestaltung, wobei der Effekt um so größer bleibt. Aber jetzt! Augen zu und durch... ein knackig-verstörendes Intro baut auf, was zu einem grandiosen Rausschmeißer werden soll. "Pendulous Threads" hat das gewisse Etwas, das eben Incubus auszeichnet. Poppig beginnend, dreht sich der Fixpunkt bald, um für ein furioses Finale zu sorgen. Großes Kino mit vielen Emotionen.

Letztendlich muss noch der Kreis geschlossen werden, also werden wir mit "Earth To Bella (Part II)" träumend hinaus geworfen. Noch etwas Zeit zum taumeln und Luft holen, bevor die Welt einen wieder hat. Jedoch wirkt diese wieder ein gutes Stück bunter und freundlicher, und das alles nur, weil Incubus so weiter machen wie immer. Verlässlich ungewöhnlich, immer neue Grenzen, und fast immer perfekt.

Anspieltipps

A Kiss To Send Us Off

Dig

Earth To Bella (Part I)

Tracks

1.Quicksand
2.A Kiss To Send Us Off
3.Dig
4.Anna Molly
5.Love Hurts
6.Light Grenades
7.Earth To Bella (Part I)
8.Oil And Water
9.Diamonds And Coal
10.Rogue
11.Paper Shoes
12.Pendulous Threads
13.Earth To Bella (Part II)

Martin Efferz - myFanbase
01.12.2006

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