Bewertung
Rolling Stone Music Movies

Year Of The Horse

Gemeinsam mit Arthaus hat der Rolling Stone ein Dutzend Musikfilme ausgesucht, die nun im Zuge der "Rolling Stone Music Movie Collection" wiederveröffentlicht werden. Darunter sind unter anderem Spielfilme, die der Musik einen besonderen Stellenwert einräumen, wie etwa "Once" oder "8 Mile", aber auch Dokumentationen über Musiker wie Martin Scorseses "Shine A Light", Julien Temples "The Filth And The Fury" und eben "Year Of The Horse" von Indie-Starregisseur Jim Jarmusch, der 1996 Neil Young und seine Band Crazy Horse auf einer Konzerttour begleitete.

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Es gibt heutzutage nur noch wenige große Künstler, die es geschafft haben, nicht nur karrieretechnisch Jahrzehnte zu überdauern, sondern sich auch all die Jahre über ihre künstlerische Glaubhaftigkeit zu bewahren. Neil Young darf man getrost dazu zählen – seit dem Beginn seiner Karriere Anfang der 60er hat er zweifelsohne die Musikgeschichte geprägt und mitgeschrieben. Ob solo oder mit Buffalo Springfield, den Gesangsbarden Crosby, Stills & Nash oder mit Crazy Horse, die ihn nun schon seit 30 Jahren auf seinem Weg begleiten – ständig war der Kanadier der Welt einen Schritt voraus, nicht umsonst trägt er auch den Titel "Godfather of Grunge".

Als er für Jim Jarmusch' Western "Dead Man" mit Johnny Depp einen rohen, skizzenartigen Soundtrack beisteuerte, war dies scheinbar mehr als eine trockene Zusammenarbeit – denn kurze Zeit später schickte sich der "artsy fartsy filmmaker" (wie er im Film liebevoll genannt wird) an, Neil Young und seine Crazy Horse auf ihrer Tour zu begleiten, um zu beleuchten, warum Neil Young solo zwar ebenfalls sehr gut ist, aber nur mit den Crazy Horse diesen einzigartigen, speziellen Sound kreieren kann.

In 107 Minuten entwirft Jim Jarmusch das skizzenartige Bild einer Band, die die letzten 30 Jahre wie eine Familie miteinander verbracht und so einiges durchgemacht hat, sich aber gerade deswegen so nahe steht wie es nur irgendwie möglich ist. Man verfolgt Neil Young, Ralph Molina, Frank "Poncho" Sampedro und Billy Talbot beim Philosophieren über die Chemie innerhalb der Band, beim Aufarbeiten von Todesfällen (Bandmitglied Danny Whitten in den Siebzigern und ihr Produzent David Briggs 1995), aber auch beim Blödeln und Streiten. Denn dass bei Crazy Horse nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen ist, zeigen auch die weniger aktuellen Aufnahmen aus den Jahren 76 und 86, die Jarmusch äußerst treffend einbaut: Hier diskutiert man schon mal in voller Lautstärke über falsches Verhalten auf der Bühne oder das (Nicht-)Treffen eines Tones.

Verfälscht dargestellt wird nichts – wer aber auf allerlei private Details hofft, ist hier an der falschen Adresse. Selbst Youngs Vater Scott, der ebenfalls auf dem Interview-Stuhl Platz nehmen darf, beschränkt sich in seinen Ausführungen lediglich auf Musikalisches und die Beziehung seines Sohnes zur Band. Überhaupt lässt man das Naheliegende außen vor: Obwohl Neil Young die treibende Kraft darstellt, macht ihn das noch lange nicht zum Helden des Films oder der Band – in seinen bescheidenen Aussagen gibt er selbst zu, dass er nur mit den drei Kollegen von Crazy Horse zu absoluten Höchstleistungen imstande ist. "My name is Neil Young, Neil Perceval Young. And I am guitar player in the band Crazy Horse", stellt er sich schlicht am Anfang des Films vor, als er wie die anderen Musiker für "Verbrecherfotos" abgelichtet wird.

Bei den neun Live-Aufnahmen, die in voller Länge gezeigt werden und somit einen erheblichen Teil des Films ausmachen, werden diese Chemie und dieses "Gleichsein" besonders spürbar: Im Gegensatz zu mancher Supergroup hat nicht jeder sein eigenes kleines Plätzchen auf einer Riesenbühne – Crazy Horse brauchen für ihr Zusammenspiel die Nähe und den Blickkontakt zueinander. So stehen also diese drei nicht mehr so jungen Männer um zwei Mikros versammelt und liefern einen Auftritt, der mehr Energie und Frische vorzuweisen hat als so mancher Gig eines Musikers, der sich gerade "in der Blüte seiner Jahre" befindet. Die vier geben sich ihrer Musik völlig hin, was besonders bei den ausgelassenen Jams am Ende der Songs deutlich wird – egal ob "Fuckin' Up", "Sedan Delivery" oder "Stupid Girl", stets ist diese unglaubliche Spielfreude und Liebe zur Musik spürbar, selbst wenn man den Auftritt wie in diesem Fall nur vor dem Bildschirm verfolgt.

"Roh und emotional" bezeichnet Ralph Molina das Zusammenspiel von Neil Young und Crazy Horse, ihr höchstes Ziel sei es, sich "als Einheit auszudrücken". Jim Jarmusch fängt dies mit den Konzertaufnahmen auch ganz gut ein, das Rohe unterstreicht er zudem noch durch das häufige Drehen auf Super-8-Film, was der ganzen Dokumentation etwas gewollt Amateurhaftes und Unfertiges verleiht. Der "artsy fartsy filmmaker" hat offensichtlich selbst großen Spaß daran, in den Angelegenheiten der Crazy Horse herumzuschnüffeln: Er stöbert die Bandmitglieder in ihren Hotelzimmern auf, lässt sich auch nicht von einem Poncho, der ihm das Scheitern dieses "Pseudokunstfilms" prophezeit, aus der Ruhe bringen und nimmt sogar selbst einmal vor der Kamera Platz, als er Neil Young im Tourbus die Bibel erklärt. "... it's when God is really pissed all the time", lautet seine Definition für das alte Testament. Die Textstellen, die er Young vorträgt, entlocken diesem ein anerkennendes "Wow!" und ein paar amüsante Überlegungen über Gott und die Menschen bzw. Neil Young und die Bäume.

Solche Szenen sind natürlich für den Zuschauer recht unterhaltsam, am meisten Eindruck hinterlässt aber dennoch die Aufnahme, in denen die vier Musiker am Ende des Films noch einmal zu Wort kommen und das Phänomen "Crazy Horse" beschreiben. Ähnliche Worte der Begeisterung und Dankbarkeit bekommt man wahrscheinlich häufig bei Band-Interviews zu hören – wenn aber abgebrühte Herren im schon angegrauten Alter plötzlich so sprechen, wirken Phrasen wie "Wir sind eine Familie" nicht mehr einfach so dahingesagt. Wiederum erwähnen sie die Gruppendynamik und die Tatsache, dass Neil Young sein Talent am besten mit den Crazy Horse ausdrücken kann – denn ihr Zusammenspiel klänge dann wie "one big guitar". Und was sagt der Meister dazu? Der will gar kein Meister sein und wird nicht müde zu betonen, dass es um die Band Crazy Horse geht und nicht um ihn ("It's really Crazy Horse!"). Er zucke zusammen, wenn er die Bezeichnung "Neil Young and Crazy Horse" höre, erklärt er und verweist auf seine Jacke, die einfach nur die Aufschrift "Crazy Horse" trägt.

Auf so viel Bescheidenheit folgt noch eine letzte, fulminante Live-Nummer: "Like A Hurricane", das aus aktuellen und älteren Aufnahmen zusammengeschnitten wurde, bildet den eindrucksvollen Abschluss einer Dokumentation, die versucht, "30 years of total insanity" zusammenzufassen.

Fazit

"This is the year of the horse", verkündete ihr Produzent David Briggs kurz vor seinem Tod. Mit dieser Aussage legte er schon mal den Grundstein für den Film "Year Of The Horse", der nicht etwa mit großen Hintergrundinformationen oder technischen Spielereien aufwartet, sondern von seinen bescheidenen Protagonisten und deren Liebe zur Musik lebt. Dass der Regisseur Jim Jarmusch ihre Musik ebenfalls liebt und nicht einfach einen Auftrag abgearbeitet hat, verdeutlicht jede einzelne Szene: Er zeigt die oft sehr ausufernden Livesequenzen in kompletter Länge, was bei herkömmlichen Dokumentation ja oft nicht der Fall ist. Er mischt sich selbst in die Vorkommnisse ein und sorgt damit immer für eine gewisse Komik. Er hat sich durch alte Aufnahmen aus den Siebzigern und Achtzigern gewühlt, um ein möglichst rundes Bild von Crazy Horse abzugeben. Und er hat eine Hand voll zynischer Musiker dazu gebracht, ein paar wunderschöne Dinge über die Musik, ihre Beziehungen zueinander und über das Leben an sich zu sagen. Auf den ersten Blick wirkt das ein wenig unspektakulär – man darf aber auch nicht vergessen, dass Jarmusch nichts anders im Sinn hatte, als zu aufzuzeigen, woher die Musik von Crazy Horse kommt und wieso sie so klingt, wie sie klingt. Das ist ihm bestens gelungen. Und das wiederum ist ein stichhaltiger Grund, warum der Rolling Stone "Year Of The Horse" zum "essenziellen Dutzend der Musikfilme" zählt.

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Rolling Stone Music Movies Collection

Technische Details

Darsteller: Neil Young, Billy Talbot, Ralph Molina, Frank "Poncho" Sampedro
Bildformat: 16:9
Ton: Dolby, Letterboxed, PAL, Surround Sound
Sprache: Englisch
Untertitel: Deutsch
Laufzeit: 107 min
Bonusmaterial: Interview mit Neil Young und Jim Jarmusch, Interview mit den Mitgliedern von Crazy Horse, Trailer, Biographien

Inhalt/Tracks

1.Fuckin' Up
2.Slip Away
3.Barstool Blues
4.Stupid Girl
5.Big Time
6.Tonight's The Night
7.Sedan Delivery
8.Like A Hurricane
9.Music Arcade

Stephanie Stummer - myFanbase
08.11.2009

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