Reeperbahn Festival 2011
Tag 2 - 23. September 2011
Am zweiten Festivaltag geht es bereits nachmittags los, denn im zeitweilig in Canada House umbenannten kukuun wird zum Showcase von einer ganzen Reihe von talentierten kanadischen Künstlern geladen. Nachdem es Ben Caplan & The Casual Smokers nicht pünktlich zu ihrem Auftritt nach Hamburg geschafft haben, springt kurzerhand der ursprünglich erst für den Folgetag eingeplante Singer/Songwriter Andrew Cole ein. Dieser macht seine Sache zwar durchaus gut, ist aber schnell vergessen als die großartigen The Wilderness of Manitoba (Fotos) aus Toronto die Bühne betreten. Denn ihre von einnehmenden Harmonien durchsetzten Folk-Songs versprühen eine derart sehnsüchtige Lagerfeueratmosphäre, dass schon bald der gesamte Saal absolut verzaubert ist. Einziger Wermutstropfen bleibt somit lediglich das Ausbleiben ihrer so phänomenalen Cover-Version von Timber Timbres "Demon Host".
Am Abend geht es sicherheitshalber ohne Umwege direkt in die Fliegenden Bauten, wo der Auftritt des britischen Singer/Songwriters Ben Howard kurz bevorsteht. Eine weise Entscheidung, wie sich herausstellt, hat sich das überragende Talent des jungen Mannes aus Devon offenbar bereits so sehr herumgesprochen, dass das Zelt schon bald aus allen Nähten platzt. Mit einer Cellistin und einem Schlagzeuger im Gepäck, die sich abwechselnd auch immer wieder die Bassgitarre umstreifen, überrascht Linkshänder Ben Howard live mit einer Dringlichkeit, die man ihm anhand seiner bisher erschienenen EPs kaum zugetraut hätte. So bleibt einem am Ende auch nicht der eine Song, in dem er auf sein so beeindruckendes Laptapping zurückgreift, am meisten im Gedächtnis, sondern vielmehr die aus- aber nie allzu abschweifenden Jams, die an sich eher ruhigen Songs wie "Old Pine" eine unerwartet ungestüme Note verleihen. Nach einer solchen Performance kann man die Veröffentlichung seines Debüt-Albums "Every Kingdom" natürlich nur noch weniger erwarten.
Anschließend geht es ab ins Knust, um dort zumindest noch die letzte Viertelstunde des Auftritts von Dry the River miterleben zu können. Und offenbar kommt man da auch gerade richtig. Denn während die zwei Herren hinter mir sich vor dem letzten Song noch beide darüber einig sind, dass der Indie-Folk der Band zwar durchaus nett anzuhören ist, das gewisse Etwas aber doch noch fehlt, ändert sich die Meinung der beiden schlagartig nach einer entfesselten Performance von "Lion's Den", die reihenweise für offen stehende Kinnläden sorgt. Zum Staunen bleibt aber nicht viel Zeit, denn direkt gegenüber spielt im Uebel & Gefährlich bereits der Berliner Sascha Ring mit seiner Apparat Band. So richtig genießen lässt sich sein orchestral anmutender Elektrosound jedoch nur bedingt, wenn man permanent nervös auf die Uhr guckt, weil schon bald der nächste absolute Must-See-Act auf dem Plan steht.
Rechtzeitig zurück im Knust für Cloud Control lässt das hektische Herumhantieren auf der Bühne soundtechnisch nichts Gutes erahnen. Leider bestätigt sich der Verdacht, als die Band mit dem an sich so großartigen "Meditation Song #2 (Why, Oh Why)" das Konzert eröffnet und dem Publikum – zumindest in den vorderen Reihen – ein sehr breiiger Sound entgegenschlägt. Die wundervollen Stimmen und unwiderstehlichen Harmonien der Australier kommen daher nicht wirklich zur Geltung, doch der allgemeinen Stimmung tut das keinen Abbruch. Denn Ohrwürmer wie "Ghost Story" und "Gold Canary" von "Bliss Release", dem genialen Debüt des Quartetts aus den Blue Mountains, sind offenbar schlicht zu ansteckend, um sich von suboptimalem Sound den Spaß verderben zu lassen. Mich selbst treibt es dennoch kurz vor Ende des Sets in Richtung Cafe Keese, um dort wenigstens noch den Schluss des Auftritts von Julia Marcell (Foto) mitzubekommen. Und auch wenn ich es im Endeffekt nur noch zum allerletzten Song schaffe, machen allein diese wenigen Minuten mehr als deutlich, dass die gebürtige Polin auf ihrem Ende September erscheinenden Zweitwerk "June" offenbar eine gänzlich andere, sehr viel elektronischere und stark an Björk erinnernde Richtung einschlägt als noch auf ihrem von reduziertem Piano-Pop geprägten Debüt. Man darf gespannt sein, ob das neue Album hält, was die famose Vorab-Single "Matrioszka" verspricht.
Als nächstes stehen dann die sympathischen Franzosen von Herman Dune auf dem Programm. Mit so wundervollen Lo-Fi-Folk-Songs wie "My Baby Is Afraid of Sharks" und ihren herrlich verschmitzten Lyrics begeistern sie das Publikum in den Fliegenden Bauten gar so sehr, dass sich im Laufe ihres Sets eine zunehmende Traube tanzwütiger Konzertbesucher aller Altersgruppen zwischen Bühne und erster Reihe ansammelt, um ausgelassen ihren Endorphinrausch auszuleben. Nicht ganz so großartig ist die Stimmung im alten Luftschutzbunker gegenüber, wo immer noch derselbe arme Kerl mit Bierflasche in der Hand im Aufzug steht und das Festival-Publikum ins Uebel & Gefährlich im vierten Stock chauffiert – diesmal zu The Jezabels (Fotos). Obwohl die hymnischen Indie-Rock-Songs der Australier durchaus großes Potential bergen, will der Funke live einfach nicht so ganz überspringen. Vielleicht rührt der Eindruck aber auch von meiner eigenen Müdigkeit, die kurz darauf im Knust während dem überraschend eingängigen Set von EMA ihren absoluten Höhepunkt erreicht. So ziehe ich mich nach nur wenigen Songs zurück in den Nebenraum, um mir gemütlich auf dem Sofa sitzend den Rest ihres Auftritts auf der dort angebrachten Leinwand anzuschauen. Und auch wenn meine Aufmerksamkeit zunehmend nachlässt, macht der experimentelle Indie-Folk der jungen US-Amerikanerin durchaus Lust auf mehr.
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Paulina Banaszek - myFanbase
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