Familienlabel
"Bin ich mehr als du erwartet hast? / Am I more than you bargained for?", sang er in sein Mikro, der Junge mit dem ingwerfarbenem Haar, 25 war er und trotzdem Frontmann einer der größten Rockbands unserer Zeit. An seiner Schulter klebte ein 29-Jähriger. Er ist kleiner als der Sänger und Gitarrist, hat schwarze Haare und ein breites Grinsen. Pete Wentz, so heißt der gutaussehende Knabe, hat gut zu lachen, denn er ist einer, der im Jahr 2008 in die Top 10 der Topverdiener gehörte. Nicht nur, weil er Bass in dieser Band namens Fall Out Boy spielt, sondern auch, weil er eine Modelinie und eine eigene Plattenfirma namens Decaydance hat.
Spulen wir zurück, weg von einem der letzten Konzerte vor dem 2. Februar 2010, an dem Fall Out Boy ihren "indefinite hiatus" verkündeten, weg von all den Erfolgen, die die Rockband feierte, zurück in die Zeit, als ich diese Rockband zum ersten Mal kennenlernte.
Es war September 2007, ein halbes Jahr nachdem das damals aktuelle Fall-Out-Boy-Album "Infinity On High" erschien. Ich hörte die CD rauf und runter. Irgendwann wurde ich von einem Sympathisanten zum Fan und begann mich mit Fall Out Boy intensiver zu beschäftigen. Da wir im Zeitalter des Internets leben, hielt ich es für ein Leichtes, mehr von meiner neuen Lieblingsband zu bekommen. Aber gleich soviel? Es existieren nicht nur auf MySpace, Facebook und LiveJournal etliche offizielle und inoffizielle Gruppen, es gibt auch ein eigenes Netzwerk von Fall Out Boy: friendsorenemies.com Diese Homepage teilen sich Fall Out Boy mit ihren Fans, aber auch mit anderen Bands. Das ist ganz praktisch, es bildet sich ein Fandom – Fans, die alles an der einen Band lieben, auch die Bands, mit der die erstere Band befreundet ist oder zusammen arbeitet. Diese sind überwiegend auch auf dem Plattenlabel von Fall Out Boy zu finden sind und heißen Panic! At The Disco, The Academy Is..., Gym Class Heroes und Cobra Starship – nur, um ein paar zu nennen. Die Familie wächst ständig, jüngste Mitglieder sind Craig Owens und The Ready Set. Unterschiedlicher könnten sie nicht sein – Indie, Rap, Emo, Hardcore und Pop, Pete Wentz versammelt gerne jeden Stil um sich.
Doch bedeutet das wirklich automatisch, dass die Bands untereinander befreundet sind und sich gegenseitig inspirieren, nur weil sie auf derselben Plattform für sich werben? Oder werden sie doch eher von Decaydance dazu gezwungen sind, so zu tun, als wären sie eine große, glückliche Familie, nur damit die Fans sich ein bisschen bestärkter fühlen? Wollen sie wirklich den Fans so viel von sich zeigen, weil ihnen daran etwas liegt oder weil sie Profit daraus schlagen wollen?
Ich tauchte noch tiefer ein in diese Welt, die so transparent für ihre Fans ist. Als Amerikaner ist man den Bands sogar noch näher, auf der Homepage werden kurzfristig geheime Gigs der Bands bekannt gegeben oder in einer Blitzaktion Dinge verlost. Da stürmt schon mal das Mitglied einer Band beim Gig einer anderen Band auf die Bühne und ist ein absoluter Überraschungsgast. Die Decaydance-Gang hält zusammen, das zeigte auch die Geburt von Pete Wentz' Sohn Bronx: Am selben Tag hätte er bei MTV TRL auftreten sollen, stattdessen stand Adam T. Siska von The Academy Is... mit einer Pete-Maske auf der Bühne.
Man findet Fotos, die die verschiedenen Bands in intimen Situationen zeigt, etwa, wie sie sich Backstage vorbereiten oder Sightseeing machen. Auch wenn sie nicht auf Tour sind, drehen sie Videos für ihre Fans, Cobra Starship und The Academy Is..., jüngstes Beispiel Hey Monday, haben ganze Serienformate daraus gemacht, die im Internet eine große Gefolgschaft haben. Manchmal hat das Hintergründe, wie etwa Hinweise zum Klimaschutz, Details zur US-Wahl oder schnöde Werbung. Letzteres könnte ein Indiz sein, dass sie all das dafür machen, um mehr bei iTunes zu verkaufen, doch dann gibt es wiederum die Videos, die einem zeigen, dass sie einfach nur herumalbern und ihre Fans Teil davon sein lassen wollen. Sie lieben ihre Fans wirklich und gehen auf sie ein. Bei einer LiveJournal-Community wünschte sich beispielsweise eine Userin, dass The Academy Is… den Song "Seed" bei einem Konzert, auf das sie ging, spielen sollen, was diese auch prompt taten. Sie grüßten sogar die Userin von der Bühne aus. Bei der 2009er "Fall Ball Tour" war die Setlist komplett im Forum des Fanclubs Santi's Little Helpers gevotet worden. In einer anderen LJ-Community wünschten sich unzählige von Fans, dass Paramore "My Heart" in ihre Setliste der Final-Riot-Tour aufnehmen. Paramore gaben nach und machten ihre Anhänger glücklich. Abseits des Internets nehmen sich die meisten der Decaydance-Bands nach den Konzerten fiel Zeit, um Autogramme zu geben, verlosen pro Show einige Meet & Greets, um Mitgliedern ihres Fanclubs vor dem Gig noch mal die Hand zu schütteln, oder bleiben mit ein paar der Zuschauer per SMS oder E-Mail in Kontakt. Es ist ein Geben und Nehmen zwischen Fans und Bands, die Fans überfluten das Internet mit ihren Reviews und haben die glücklichsten Tage ihres Lebens, die Bands bekommen lustige Geschenke und werden bestärkt in dem, was sie tun. Selten sieht man das bei Bands außerhalb dieses Kosmos – die deutsche Band Die Ärzte weigert sich, nach den Konzerten noch Autogramme zu geben oder Fotos zu machen und viele amerikanische Superstars lassen sich so abschirmen, dass man nicht mitbekommt, wann sie die Halle verlassen. Ein Meet & Greet besteht das aus "Hallo" und "Tschüss" sagen. Da hat man seine Decaydance-Bands doch gleich viel lieber, wenn man von so etwas liest.
Doch was ist mit der Freundschaft zwischen den Bands?
Fakt ist, man kennt sich. Die Sänger von The Academy Is... und Coba Starship gingen auf dieselbe High School, der ehemalige Bassist von The Academy Is... spielt jetzt bei Panic At The Disco. Fall Out Boy holten sich für einen Song auf ihrer letzten Platte "Folie A Deux" gleich sechs Labelkollegen für nur einen Song ("What A Catch, Donnie") ins Aufnahmestudio. In den privaten Blogs der Stars werden Glückwünsche ausgesprochen, wenn einer aus einer anderen Band Geburtstag hat oder ein Kind bekommen hat. Oder, um es mit einem einzigen Satz von Pete Wentz auszudrücken: "Ich liebe meine Freunde. Sie sind meine Familie. Wir sind eine Gang. Ich bin ihnen für immer dankbar."
Die große Frage bleibt: Ist das ein Phänomen, das nur bei Decaydance auftritt? Tatsächlich wird man nur noch bei den Hamburger Plattenlabel wie Audiolith (Frittenbude, ClickClickDecker), dem Münchner Blickpunkt Pop (Sportfreunde Stiller, Fertig, Los!, Roman Fischer) fündig - und dem hanseatischen Grand Hotel van Cleef. Gegründet wurde dies von den Sängern der Bands Kettcar und Tomte. Unter Vertrag nahmen sie die Bands langjähriger Freunde, z. B. Olli Schulz oder Muff Potter. Sie gehen mit diesen Bands auf Tour, machen sogar Festivals (Fest van Cleef), bloggen, schicken seitenlange Newsletter raus, machen Forumstreffen und gehen nach Clubkonzerten gerne noch mit den Fans einen trinken. Thees Uhlmann, Chef vom Grand Hotel van Cleef und Sänger von Tomte, ist dafür bekannt, mit Fans noch Handynummern auszutauschen. Man pflegt also sämtliche Beziehungen und jeder fühlt sich wohl. Selten hat man das außerhalb dieser hauseigenen Labels und schade ist das.
Fans bleiben auf der Strecke, müssen manchmal miterleben, wie ihre Lieblingsbands andere ihrer Lieblingsbands angreifen, obwohl sie Teil derselben Szene sind und ähnliche Musik machen. So kommt es eher selten vor, dass sich Lieblingsbands verbünden, weil sie zu groß oder zu klein sind, da werden Freundschaften untereinander noch groß hochgespielt. Doch wozu? Hat man doch bei Decaydance schon immer so gehabt. Und schön war's.
Man nehme also eine erfolgreiche Band, gründe ein Plattenlabel, nehme nur befreundete Bands unter Vertrag und alle sind glücklich. Und man wiederholt immer, immer wieder den Satz "Ich bin so froh, dass es dieses Fandom gibt!", schon fast von allein.
Simone Bauer - myFanbase
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