Hypes, Hopes & Letdowns 2010

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Auch 2010 wurden wieder so einige Künstler von der Musikpresse in den Himmel gelobt, andere dafür schmählich ignoriert. Wer heimste die Lorbeeren der Öffentlichkeit zu Unrecht ein und wer hätte all die Aufmerksamkeit wesentlich mehr verdient? Wer überraschte und wer enttäuschte? Welche Kollaborationen haben es unserer Musikredaktion besonders angetan und in welche vielversprechenden Künstler setzt sie ihre Hoffnungen für das Musikjahr 2011? Erfahrt all das im ersten Teil unseres Rückblicks.

Most Overrated Artist

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© 4AD/Beggars Group

The National
Auch wenn "High Violet" von diversen Musik-magazinen als ganz großer Wurf angepriesen wurde, will das Anfreunden mit dem Album einfach nicht und nicht klappen. Eigentlich sollte dieses düstere, melancholische Dingsbums ja voll mein Ding sein, aber irgendwas fehlt da. Was Wichtiges. | Stephanie Stummer | zur Hörprobe in der Videogalerie

Kanye West
Er hat ein ausgesprochenes Händchen für die richtigen Samples, die richtigen Gastsänger, die richtigen Beats an der richtigen Stelle. Die Popwelt frisst ihm aus der Hand und die Musikpresse verneigt sich vor seinem neuesten Werk, als hätte er den HipHop neu erfunden. Oder zumindest aus einem sehr, sehr langen Winterschlaf geholt. Dabei ist und bleibt Kanye West ein schrecklich geistloser Texter und höchst mittelmäßiger Rapper, der sich von musikalisch nicht minder unwiderstehlichen, aber wesentlich gewitzteren HipPop-Kollegen wie K-OS, Shad, Buck 65 oder Sage Francis noch eine gehörige Scheibe abschneiden kann. Allem voran: etwas Anstand und Bescheidenheit. | Paulina Banaszek

Vampire Weekend
Mit MGMT und Vampire Weekend meldeten sich 2010 gleich zwei Hipster-Bands zurück, deren Debütalben in meinen Augen und Ohren maßlos überbewertet waren. Während zumindest erstere für ihr neues Album "Congratulations" von so manch fachkundigem Kritiker das wohlverdiente Prädikat "mittelmäßig" verliehen bekamen, wollen im Falle letzterer die mir unerklärlichen Lobeshymnen einfach nicht abreißen. Dass ausgerechnet "Contra" dann auch noch das einzige Indie-Album neben Arcade Fires "The Suburbs" ist, dem heuer der Sprung an die Spitze der US-Billboard-Charts gelang, macht den Hype um Vampire Weekend fast schon zur Farce. Und das alles nur wegen ein paar ach so weltoffener Afrika-Einflüsse!? Wenn es bloß darum geht, krame ich lieber wieder das in der Hinsicht wesentlich beachtlichere Debütalbum von Merrill "tUnE-yArDs" Garbus hervor. | Willi S. | zur Hörprobe in der Videogalerie

Plan B
Mit "She Said" hatte der Brite einen riesigen Erfolg in diesem Jahr. Zu meinem Unverständnis wohlgemerkt, denn die 60s-Welle 2008/2009 hat Plan B, der früher mal erstklassigen Rap fabrizierte, komplett verpasst. Mit seiner weinerlichen, fast weiblichen Singstimme ging er mir in diesem Jahr fast so sehr auf die Nerven wie die Black Eyed Peas. Beim nächsten Mal, bitte wieder Amy Winehouse. Egal ob mit Drogen oder ohne, da liegen Welten zwischen. | Christian Finck | zur Hörprobe in der Videogalerie

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Michael W. Smith
Dass ich einen Mann, der 27 Jahre im Geschäft ist, mehr als 15 Millionen Alben verkauft, drei Grammys und unzählige Dove Awards bekommen hat und der – und das ist eigentlich der wichtigste Punkt – mir sieben Lieblingsalben bescherte, eines Tages als "überbewertet" betiteln würde, hätte ich mir selbst nach seinem letzten, nicht komplett überzeugenden Album nicht träumen lassen. Nun scheint es aber so zu sein. Mr. Smith hat mit "Wonder" ein Werk ohne Hits und Ohrwürmer, ohne Abwechslung, Innovation und Klasse rausgebracht. Und trotzdem wird er vom Label wie nie zuvor angepriesen, von zu vielen Kritikern noch gelobt und wie selbstverständlich von Kunden gekauft. Zu Unrecht. Da bleibt nur zu hoffen, dass der 53-Jährige schnellstmöglich selbst merkt, dass er eigentlich viel, viel mehr auf dem Kasten hat. | Micha S.

Lady Gaga
Nur weil man sich Fleischkostüme anzieht und 20 cm hohe Plateauschuhe trägt, die keinen Absatz haben, ist man noch lange keine Künstlerin, geschweige denn Musikerin. Lady Gaga wäre ohne ihr komplett übertriebenes Sammelsurium an abstrusen Outfits auch nur eine stinknormale Popkünstlerin mit ein paar netten Dancesongs. Denn im Falle Gaga haben die geschickt eingesetzte Publicity und der ständige Drang nach Aufmerksamkeit die Sängerin in Sphären gehoben, wo sie schlichtweg nicht hingehört. Kriegt euch also alle wieder ein. Lady Gaga ist auch nur ein Mensch – und dabei bei weitem nicht die tolle Sängerin, von der alle behaupten, dass sie sie sei. | Maria Gruber

Lena Meyer-Landrut
Beinahe wäre es ja Justin Bieber geworden, aber diese reine Marketing-Masche hat nichts mehr mit "Artist" also "art" zu tun, also ist Lena Meyer-Landrut meiner Meinung nach der "Most Overrated Artist" des Jahres. Verfolgt habe ich "Unser Star für Oslo" zwar nicht, aber einmal bei unser-star-fuer-oslo.de reingeklickt und schon war klar, dass Christian Durstewitz eine bessere Wahl gewesen wäre. Bei aller Liebe, die Gute kann doch nicht singen! (Und tanzen auch nicht.) Ich kann diesen Lena-Hype gar nicht nachvollziehen und es zeigt, was für einen schlechten Standard der ESC hat. Da bleibt nur zu sagen, dass es gut ist, dass Lena Meyer-Landrut schon fast wieder von der Bildfläche verschwunden ist. | Ameli H.

Most Underrated Artist

MGMT
Als klar war, dass "Congratulations" kein zweites Indie-Disco-Wunderwerk wie "Oracular Spectacular" werden würde, drehten sich die meisten gleich enttäuscht weg und taten ihren neuesten Streich als übertriebene Spielerei ab. Erst wenn man sich länger damit beschäftigt, erkennt man, wie viel Können, Phantasie und auch musikalisches Wissen hinter diesem Album stecken. | Stephanie Stummer | zur Hörprobe in der Videogalerie

Breathe Owl Breathe
Im ländlichen Teil von Michigan, dem Heimatstaat von Sufjan Stevens, leben, lieben und schreiben drei Menschen schon seit über sechs Jahren heimlich, still und leise wundervolle Folk-Musik, die mit ihren bezaubernden Banjo-, Orgel- und Cello-Klängen eine in der Tat leicht sufjaneske Stimmung heraufbeschwört, bisweilen aber auch ein bisschen so klingt, als hätten sich Bill Callahan und Cat Power nie getrennt und stattdessen glücklich vereint nur noch gemeinsam Musik gemacht. Breathe Owl Breathes neuestes Album "Magic Central" ist ein schmuckes kleines Juwel, das glitzert und funkelt und einem mit Songs wie "Dragon", einer gleichermaßen zuckersüßen wie herzzerreißenden Liebes-geschichte zwischen einem Drachen und seiner Brieffreundin, einer Prinzessin, ein nicht auszutreibendes Grinsen ins Gesicht zaubert. Höchste Zeit also, dass die Welt diese Band endlich mal bemerkt und selig mitgrinst. | Paulina Banaszek

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Mélissa Laveaux
Obwohl "Camphor & Copper", das wunderbare Erstlingswerk des aus Ottawa stammenden Ausnahmetalents Mélissa Laveaux, seit 2010 offiziell in allen Ecken der Welt verfügbar ist, hat es bei weitem nocht nicht die Aufmerksamkeit gefunden, die es verdient hätte. Dabei versteht es die Künstlerin wie kaum eine andere, sich sowohl musikalisch (Folk trifft auf Jazz- und Soul-Einflüsse) als auch sprachlich (zwischen den größtenteils englischsprachigen Liedern versteckt sich so manch französische oder gar kreolische Passage) deutlich von der breiten Masse ihrer Singer/Songwriter-KollegInnen abzuheben. Egal ob man ihre diversen Coverversionen – weder Elliott Smith noch Eartha Kitt noch Beyoncé sind vor ihr sicher – oder aber ihr eigenes Liedgut ("Ulysses") zur Beurteilung heranzieht, an dieser Frau dürfte eigentlich kein Weg vorbeiführen. Zumal sie auch live eine absolute Wucht ist, wie ich unlängst mit großer Freude feststellen durfte. | Willi S. | zur Hörprobe in der Videogalerie

Nadine
Es ist schon schwer, wenn man neben jemandem wie Cheryl Cole in einer Band/Gruppe stehen muss. Dabei hatte besagte Cole stimmlich schon immer den Nachteil gegenüber Nadine Coyle. Wir reden hier von Girls Aloud. Nadine hat in diesem Jahr ihr beachtlich gutes, poppiges Solodebüt "Insatiable" veröffentlicht und gibt damit eine deutlich bessere Figur ab, als Cheryl mit ihrem zweiten Output. Doch eine miese Veröffentlichungs- und Verkaufsstrategie machte den Umsätzen einen Strich durch die Rechnung. | Christian Finck | zur Hörprobe in der Videogalerie

Jennifer Knapp
Ein von Kritikern gefeiertes Debüt vor zwölf Jahren, zwei weitere sich super verkaufende, Grammy-ausgezeichnete Platten und dann die Ankündigung einer Auszeit, die sieben Jahre dauerte. Was war denn da passiert? Tja, auch wenn Stress und Burn-out eine Rolle spielten, war das wohl vor allem einem Konflikt zwischen ihr selbst und der christlichen US-Musikszene verschuldet, in der Jen sich befand und die alles andere als tolerant gegenüber Homosexuellen ist. Und in der sie niemals offen die sein konnte, die sie war und ist. In und seit jener Auszeit tat sie das dann, schockierte mit ihrem Outing dieses Jahr "natürlich" die Frommen, veröffentlichte mit "Letting Go" aber ein Album, das nicht nur rockt, sondern durch seinen persönlichen Inhalt überzeugt und (noch viel zu wenig – daher diese Kategorie) mediale Aufmerksamkeit auf eine Situation richtet, die (nicht nur in den USA) immens falsch läuft. | Micha S.

Jack Johnson
Immer muss sich der Kerl sagen lassen, dass seine Lieder gleich klingen. Dabei verstehen die Kritiker nicht, dass genau das die Kunst des Jack Johnson ist: Er ist stilecht, stiltreu und schaffte es auch auf seinem fünften Studioalbum, "To The Sea", mit jedem seiner Songs eine wunderbare Atmosphäre heraufzubeschwören, die es erlaubt, einfach mal die Seele baumeln zu lassen. Jack Johnson ist kein Möchtegernmusiker, der nur die Gitarre schrubbt, weil seine Surfkarriere gescheitert ist. Dieser Mann ist ein talentierter Künstler, der Musik schreibt und spielt, die man sich immer und immer wieder gerne anhört. | Maria Gruber

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Blood Red Shoes
Blood Red Shoes ist einer dieser Bands, bei denen ich persönlich mich frage, warum sie nicht überall bekannt sind und nur Club-Touren machen anstatt Stadien zu füllen. Denn die beiden Engländer aus Brighton haben echt das Talent. Vor allem ihrem neuen Album, "Fire Like This", hätte man mehr Beachtung schenken sollen. | Ameli H. | zur Hörprobe in der Videogalerie

Hurts
Ich springe für Hurts in die Bresche. Das Gefühl, das ich habe, ist schlichtweg nicht loszuwerden: Durch die Omnipräsenz von "Wonderful Life" wird völlig verkannt, was sich hinter prima Promo und Pomade verbirgt. Was hinter zwei gestriegelt und geschniegelten Männern steckt: nämlich viel in ihnen. Liebe Leute, "Happiness" ist ein wunderbares Debüt, dessen Songs "Wonderful Life" zuweilen zu besserem Durchschnitt zu degradieren wagen. Ja, sie waren überall. Ja, manch einer kann es und sie und die Single möglicherweise nicht mehr hören. Aber wer "Stay" und "Unspoken" arrangieren kann und gleichzeitig vor "Sunday" nicht zurückschreckt und ein paar Nummern weiter "Better Than Love" vom Zaun bricht, verdient Anerkennung, Aufmerksamkeit. All das. Zauberhaftigkeiten und Gänsehaut-Momente all over the place. | Aljana Pellny

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