Reeperbahn Festival 2008
Bereits zum dritten Mal lädt die weltbekannte Hamburger Vergnügungsmeile zum Reeperbahn Festival. Innerhalb von drei Tagen spielen insgesamt 140 Bands aus aller Welt auf 19 Bühnen "New International Music".
Nachdem am Donnerstagabend bereits kräftig gerockt wurde, darf PeterLicht in der legendären Grossen Freiheit 36 den zweiten Festivaltag eröffnen. Und dieser Aufgabe kommt der deutsche Pop-Poet in Form einer etwas langwierigen Rezitation seines Gedichts "Viel hilft" nach. Genervtes Augenrollen und amüsiertes Schmunzeln machen die Runde, denn die kuriose Aufzählung von Dingen, die helfen, scheint kein Ende zu nehmen und eigentlich will man ja Musik geboten bekommen. Doch kaum setzt die Band dann wirklich ein, wünscht sich selbst der größte Lyrik-Muffel im Saal die Lesung zurück. Völlig übersteuerter Sound macht es nämlich unmöglich, auch nur ein Wort von dem zu verstehen, was PeterLicht da eigentlich singt. Und bei einem solchen Act, dessen Musik vor allem, um nicht zu sagen ausschließlich, von seinen Texten lebt, ist das natürlich eine prekäre Situation. Eine Weile wandere ich im Club umher, auf der Suche nach einem Plätzchen, an dem der Sound nicht ganz so katastrophal klingt, scheitere aber kläglich. Und so mache ich mich vorausschauend lieber schon mal auf den Weg in den Grünspan nebenan, um lange Eintrittsschlangen zum hoch gehandelten Foals-Konzert zu vermeiden. Eine sehr weise Entscheidung, wie sich später herausstellen sollte.
Denn der Club füllt sich rasch, mit gefühlt halb so jungem Publikum wie nebenan bei PeterLicht. Und kaum haben die fünf ungestümen Fohlen aus Oxford die Bühne betreten und Sänger Yannis sich mit unter die Achsel geschnallter Gitarre seitlich zum Publikum positioniert, begeistern sie auch schon durch ihren sehr eigenen, immens drängenden und einnehmenden Math Rock. Da können selbst Nicht-Kenner der Band kaum stillstehen, so tanzbar sind ihre Rhythmen, so beatlastig und atmosphärisch ihre Jams. Schnell wird klar, dass dieses Konzert die Security auf eine harte Probe stellen wird, da im gesamten vorderen Drittel der Halle fröhlich gepogt, gemosht und gequetscht wird. Wenn man nicht so restlos im wilden Treiben der Musik gefangen wäre, könnte man einen alles durchdringenden Bier- und Schweißgeruch vernehmen. Denn die Klamotten werden zunehmend nasser, der Raum enger und die Luft immer dünner. Den ein oder anderen kann unter solchen Bedingungen durchaus schon mal eine gewisse Platzangst überkommen. So lässt auch mich akuter Sauerstoffmangel und das Wissen um parallel spielende, großartige Bands nach einer knappen, extrem spannungsgeladenen Dreiviertelstunde den langen und mühsamen Weg durch die Menge Richtung Ausgang suchen. Kaum an der frischen Luft angelangt, lasse ich die lange Schlange Wartender, die noch auf Einlass ins Foals-Konzert hoffen hinter mir und stürme wieder direkt in die Grosse Freiheit zu Get Well Soon.
Der Freude darüber, einer meiner liebsten Live-Bands des Jahres mal wieder beim Zaubern zuzusehen, weicht jedoch schnell bitterer Ernüchterung. Denn anstatt ihrem Job nachzugehen, scheinen sich die Toningenieure offensichtlich lieber das ein oder andere Bierchen zu gönnen. So wird dem Publikum nach wie vor ein regelrechter Soundbrei zugemutet, der insbesondere den sonst so unheimlich mitreißenden Jams der Band einen großen Abbruch tut. Und auch die wundervoll sonore Stimme Konstantin Groppers leidet ziemlich an Übersteuerung, so dass man den Auftritt der sechsköpfigen Kapelle trotz an sich grandioser Performance nicht so recht genießen kann. Und so breche ich nach einer Viertelstunde und einem Blick auf den Zeitplan gleich wieder zum nächsten Ziel auf.
Im Imperial Theater versprüht nämlich bereits das australische Geschwisterpärchen Angus and Julia Stone seinen einzigartigen Charme. Zumindest ist stark davon auszugehen, denn einer ganzen Reihe von Festivalbesuchern (inklusive meiner Wenigkeit) wird vor verschlossenen Türen mitgeteilt, dass der Club bereits zum Bersten voll ist und somit leider niemand mehr eingelassen werden kann, bis einige das Konzert des Folk-Duos wieder verlassen. Enttäuschung macht sich breit und nach einem genaueren Blick auf den Timetable, entscheiden sich die meisten dafür, nicht allzu viel Zeit mit Warten und Hoffen zu vergeuden, sondern stattdessen andere Bands zu erkunden. So mache auch ich mich sogleich auf den Weg zu den Fliegenden Bauten, um Thees Uhlmann mit seinen Jungs von Tomte zu erleben.
Doch auch hier macht mir eine unerwartet lange Warteschlange einen Strich durch die Rechnung. So sehr die Veranstalter einem auch ans Herz legen, sich während des Festivals in die verschiedenen Clubs treiben zu lassen, in möglichst viele Konzerte hineinzuschnuppern und auf diese Weise zahlreiche und unterschiedlichste "New International Music" kennen zu lernen – spätestens jetzt wird mir klar, dass sich das aufgrund der teils doch eher mangelhaften Organisation oftmals einfach nicht verwirklichen lässt. Wer eine bestimmte Band unbedingt sehen will, muss vielmehr eine Menge Geduld und Ausdauer mitbringen sowie möglichst frühzeitig da sein. Viele sind wohl bereits am ersten Festivaltag zu dieser Einsicht gekommen, gehen daher lieber auf Nummer sicher und "blockieren" notfalls den jeweiligen Club bereits einige Zeit vor dem lang ersehnten Auftritt der Lieblingsband. Da kommt einem sogleich das Vorurteil vom typisch deutschen Urlauber in den Sinn, der sich bereits früh morgens mit seinem Handtuch einen Liegestuhl in Pool-Nähe sichert. Doch mit Panik im Nacken mache auch ich mich schließlich auf den Weg zum Knust, will ich doch mein persönliches Festival-Highlight Bon Iver später auf keinen Fall verpassen.
Dort angekommen, bekomme ich gerade noch die letzten Minuten vom Auftritt des amerikanischen Singer/Songwriters Ben Weaver zu Gehör. Ganz alleine und unscheinbar steht er da und scheint in ein vertrautes Gespräch mit seiner Gitarre vertieft. Zum Genießen seiner wundervollen Akustik-Songs bleibt leider nicht viel Zeit, muss er doch bald wieder die Bühne für die nächste Band räumen. Zum Trost für alle, die nicht genug von ihm bekommen konnten, lässt er seine Gitarre später einfach links liegen und unterhält sich stattdessen angeregt mit dem ein oder anderen aus dem Publikum. Diese unmittelbare Nähe zu den Künstlern macht für viele sicherlich auch den großen Reiz des Festivals aus. Nicht selten mischen sich hier nämlich Bands vor oder nach ihrem Auftritt unters Volk, plaudern mit Fans und signieren CDs. Und wenn man Glück hat, wird man sogar auf ein Bier eingeladen.
Der Club leert sich, da erstmal wieder umgebaut werden muss, so dass ich einen kleinen Abstecher zum Grünen Jäger wage, wo die Kalifornier von The Little Ones ihren sehr kalifornischen Gitarren-Pop präsentieren. Mit eingängigen Ohrwurm-Melodien und Harmonien, die stark an die Beach Boys oder die Iren von The Thrills erinnern, bringen sie einen Funken L.A. nach Hamburg. Doch nach drei, vier Songs wird es mir dann doch ein bisschen zu sonnig und so mache ich mich auf den Weg zurück zum Knust.
Dort treten die mir bislang völlig unbekannten The Asteroids Galaxy Tour auf, ein scheinbar bunter Haufen dänischer Hippies, die sich psychedelischem Pop mit Funk- und Soulanleihen verschrieben haben. Zunächst aufgrund seiner äußerlich wie musikalisch recht grellen Erscheinung mit einer gewissen Skepsis betrachtet, spielt sich das Sextett mit seinen unwiderstehlichen Grooves schnell ins Herz und in die Beine des Publikums. Ausgelassen wird zu Sängerin Mettes quietschfidelem Gesang und den äußerst funkigen Bläsereinlagen getanzt, gewippt und über beide Ohren gegrinst. Man vermag kaum zu urteilen, ob dabei die Menschen vor oder auf der Bühne mehr Spaß haben. Die Band scheint sich zumindest ebenfalls prächtig zu amüsieren, teilt sich während dem Spielen brüderlich eine verdächtige Zigarette und wirkt dabei stets ehrlich erstaunt darüber, wie positiv ihre Musik aufgenommen wird. Man kann nur hoffen, dass die Band ihre Bodenständigkeit nicht verliert, wenn ihnen bald der große Durchbruch gelingen sollte. Denn nachdem sie bereits als Support-Act für Amy Winehouse fungieren durften und ihr Groove-Monster "Around the Bend" im neuen iPhone-Werbespot große Aufmerksamkeit erntet, wird der Erfolg sicher nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Lange auf sich warten lässt dagegen der mit Spannung erwartete Auftritt von Bon Iver. Zwar stehen Justin Vernon und seine Jungs pünktlich auf der Matte, müssen jedoch noch eine satte halbe Stunde an ihren Instrumenten herumwerkeln, da es offensichtlich technische Probleme gibt. Hektisches Treiben herrscht auf der Bühne, es wird eifrig nach irgendwelchen Kabeln oder sonstigen unauffindbaren Gerätschaften gesucht und die Ungeduld des Publikums steigt ins Unermessliche. "Come on, Bon!" ruft jemand und lässt damit ein amüsiertes Schmunzeln in Justin Vernons Gesicht aufblitzen. In Europa hat sich wohl noch nicht herumgesprochen, dass Bon Iver lediglich eine ans französische "bon hiver" angelehnte Bezeichnung für das Projekt des jungen Songwriters aus Wisconsin ist und nicht sein richtiger Name.
"We'll get it over with, so you can get home" sind dann die erlösenden Worte, die endlich das vielleicht schönste und ergreifendste Konzert des gesamten Festivals einleiten. Schon mit dem Opener "Flume" sind alle Sorgen bezüglich des Heimkommens und der Ärger über die lange Verspätung wie verflogen. Gemeinsam mit seinen drei Bandkollegen an Bass, Gitarre und den beiden Drum-Sets singt sich Vernon nämlich sofort ins Herz eines jeden Einzelnen. Der unglaublich jung anmutende Gitarrist Mikey versetzt das Publikum dabei ganz besonders in Erstaunen, schafft er mit seinem E-Bow doch eine derart durchdringende Atmosphäre, dass man ihm erstmal nur gebannt und sprachlos auf die grazilen Finger schauen muss. Spätestens aber wenn er mit dem Rest der Band in mehrstimmigen Gesang einstimmt, wird angehörs der umwerfenden Harmonien nirgendwo mehr getuschelt, selbst an der Bar stattdessen nur noch fasziniert gelauscht.
Die Band wandelt zwischen zarter Zerbrechlichkeit und aufbrausender Wucht, seelenvollem Falsett und entfesselten Jams. So entsteht eine einzigartige Dynamik, die den Songs des ohnehin schon großartigen Debüts "For Emma, Forever Ago" live noch eine besondere Intensität verleiht. Dabei sind es die kleinen, und doch so großen Momente, die einem schlicht den Atem rauben und den Auftritt von Bon Iver so unvergesslich machen. Momente wie der Übergang von Strophe zu Refrain in "Skinny Love" - von dezentem, kaum vernehmbaren Fingerpicking auf der urigen Resonator-Gitarre zu Vernons plötzlichem Ausbruch, in dem er sich voller Inbrunst die so denkwürdige Zeile "I told you to be patient" von der Seele schreit. Momente wie das gewaltige und laut lärmende Instrumental-Outro, das "Creature Fear" zu einer regelrechten Bestie von Song heranwachsen lässt. Momente wie das solo vorgetragene Stück "Re: Stacks", dessen schlichte Schönheit das gesamte Publikum andächtig verstummen lässt und für zig feuchte Augen sorgt. Und Momente wie der Schluss von "The Wolves (Act I & II)", in dem sich Band und Publikum gemeinsam in völlige Ekstase singen, spielen und schreien.
Kein Wunder, will man die Band nach einer solchen Performance nicht gehen lassen. Vernon scherzt: "This is when it starts getting shitty", weil ihnen langsam aber sicher die Songs ausgehen. "Start all over again!" schallt es aus einer Ecke und wohl kaum einer hätte auch nur das Geringste dagegen einzuwenden. Doch es ist spät und so bleibt nur noch Zeit für zwei Cover-Versionen: Talk Talks hypnotisches "I Believe in You", gesungen von Drummer Sean, sowie eine durch Mark und Bein gehende Unplugged-Version von Sarah Siskinds "Lovin's for Fools". Ein letztes Mal jagt einem die Anmut dieser wundervoll harmonierenden Stimmen Schauer über den Rücken, sorgt verbreitet für Gänsehaut und rührt hier und da sogar zu Tränen. Glückstränen wohlgemerkt. Denn danach möchte man die ganze Welt umarmen. Und küssen. Und ihr einen guten Winter wünschen.
***
Nach dem fulminanten Abschluss des zweiten Festivaltages sind die Erwartungen an die Bands am Samstag natürlich besonders hoch. Los geht es für mich diesmal mit beschaulicher Musik made in Australia. Royalchord nennen sich die zwei Damen aus Melbourne, die in der Hasenschaukel ihren verträumten Alt-Folk präsentieren. Reduziert auf Gitarre und Keyboard, tritt der anheimelnde Gesang der beiden zunehmend in den Vordergrund, kann den insgesamt leider etwas farblosen Songs allerdings auch nicht den nötigen Ausdruck verleihen. Lediglich in einem eingeworfenen Etta-James-Cover scheint ein wenig Brillanz durch. Ansonsten erweist sich die Musik des Duos zwar als durchaus lauschig, wirkt aber nach einer Weile eben auch ein bisschen lätschig.
So treibt es mich nach einer halben Stunde wieder einmal in die Grosse Freiheit 36, denn dort spielen die als "die neuen Phoenix" gehandelten Franzosen Tahiti 80 auf. Freudig überrascht vom ausnahmsweise glasklaren Sound lasse ich mich von luftigen, leicht funkigen Melodien umspülen und kann die Vergleiche mit den Indie-Poppern um Thomas Mars sogleich nachvollziehen. Denn Tahiti 80 verströmen den gleichen Charme wie ihre Landsmänner aus Paris, dieselbe Verspieltheit und genauso zum Tanzen einladende Grooves. Nur zwingend genug ist ihre Performance noch nicht. Es fehlt die mitreißende Energie, der Drive und Schmiss, mit denen Phoenix schon seit Jahren die Massen zum Kochen bringen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. N'est-ce pas?
Nach dem Auftritt der Franzosen füllt sich der Saal zunehmend, denn anscheinend will niemand den Auftritt von TV on the Radio verpassen. Nach einer (mal wieder) extrem langen Umbau-Pause geht es endlich los. Doch der Funke will auch hier zunächst nicht so ganz überspringen, was allerdings weniger an den neuen Songs liegt, die die Band von ihrem hoch gehandelten vierten Album "Dear Science" präsentiert, sondern vielmehr an der (mal wieder) miserablen Soundabmischung, die zu Beginn des Sets teilweise so unerträglich ist, dass sich das Publikum kollektiv die Ohren zuhält. Zum Glück wird das Problem relativ schnell unter Kontrolle gebracht und schon bald kann man genüsslich zu den stark rhythmusorientierten Groovemonstern der vielseitigen Amerikaner abzappeln und mitsingen. Und spätestens beim Ertönen der ersten Takte von Überhit "Wolf Like Me" bebt auch wirklich die gesamte Halle und johlt textsicher aus voller Kehle mit: "My heart's aflame, my body's strained but God I like it". Wie könnte man auch nicht. Nach diesem so sehnlichst erwarteten Song kann ich die beiden Alphawölfe Tunde Adebimpe und Kyp Malone dann auch endlich guten Gewissens alleine mit dem Publikum weiterheulen lassen und mich auf den Weg zu meinem neuen Lieblingskünstlerehepaar machen.
Denn in der Hasenschaukel geben bereits Ruth und Brookln Dekker, besser (un)bekannt als Rue Royale, ihren unverschämt charmanten Folkpop zum Besten und sammeln Sympathien im Minutentakt. Denn völlig ahnungslos, was sie erwartet, verliebt sich das zwar recht überschaubare, aber äußerst aufmerksame Publikum mit jedem neu angestimmten Song spür- und hörbar mehr in das irrsinnig talentierte Duo. Kein Wunder, ziehen ihre hinreißenden Harmonien doch selbst den letzten Musikbanausen sofort in ihren Bann und pflanzen Melodien ins Herz, die sich fest verwurzeln und nie mehr loslassen. Und als wäre das nicht schon genug, bezaubert das sich gegenseitig neckende Paar auch noch durch eine Bescheidenheit und Liebenswürdigkeit, wie man sie auf und abseits der Bühne nur selten erlebt. Da darf man schon mal die richtigen Akkorde vergessen oder ein Lied zwei Mal spielen, wenn das eigene Repertoire sich dem Ende neigt und einen das nach mehr trachtende Publikum selbst nach einer wundervollen Cover-Version von Fleetwood Macs "Go Your Own Way" nicht gehen lassen will. Doch wie es nun mal ist auf Festivals, bleibt nie genügend Zeit. Fürs Plaudern mit den frisch gewonnenen Fans und das Signieren von CDs reicht sie zum Glück aber allemal.
Viel zu kurz gerät auch der Auftritt von Nina Kinert in Angie's Nightclub. Doch auch bei dieser sympathischen Singer/Songwriterin dauert es nicht lange, bis die Zuhörerschaft ihr (fast buchstäblich) zu Füßen liegt. Mit zwei energiegeladenen Schlagzeugern und einer Cellistin im Rücken, spielt sich die junge Schwedin mal am Klavier, mal an der Gitarre durch erfrischend detail- und effektverliebte Songs von ihrem neusten Album "Pets & Friends", während das gemütlich vor ihr sitzende Publikum besonnen lauscht und beseelt lächelt. Ach ja, und mitwippt. Denn bei einer solchen Dynamik, die die beiden Drummer durch ihre beeindruckend koordinierten Trommelkünste entstehen lassen, stellt sich Stillsitzen schnell als nahezu unmögliches Unterfangen heraus. So überlegen die meisten auch nicht lange, als ihnen die Sängerin höchstpersönlich nach einigen Songs versichert, das Konzert auch gerne im Stehen genießen zu dürfen. Das hat zwar zur Folge, dass bloß noch ein Bruchteil des Publikums freie Sicht zur Bühne hat, tut der Stimmung im Club aber angehörs der höchst einnehmenden Performance der Band keinerlei Abbruch.
Auf dem Weg zu meinem persönlichen Abschlussgig des Festivals – vorbei an der horrend langen Einlass-Schlange zu Nada Surf – gönne ich mir noch einen kleinen Abstecher ins Mandarin Casino, in dem der Amerikaner José James auftritt. Mit tief ins Gesicht gezogenem Yankee-Cap sowie einer Mimik, Gestik und Ausstrahlung, die unweigerlich an den ein oder anderen HipHopper erinnert, erweckt der erst 25-jährige Musiker auf den ersten Blick einen völlig falschen Eindruck. Denn José James singt nicht nur anstatt zu rappen, er macht es sogar außergewöhnlich gut. Und zwar nicht zu fetten HipHip-Beats, sondern zu verträumtem Jazz. Begleitet von Schlagzeug, Piano und E-Bass, wirkt seine biegsame Stimme wie ein meist frei improvisierendes viertes Instrument, das sich nahtlos in den Gesamtsound einfügt, dabei aber gleichzeitig derart zu fesseln weiß, dass man die restliche Band kaum wahrnimmt.
Eine Band vernimmt auch die verhältnismäßig kleine Menschenmenge vor dem Knust nicht, die auf Einlass zum Konzert von Gravenhurst wartet. Verwunderung macht sich breit, ist die Band um Singer/Songwriter Nick Talbot doch nur zu gut für ihre ausufernden Shoegaze-Gitarrenepen bekannt. Die Erklärung für den nur spärlich aus dem Club nach außen dringenden Lärm liefert der Zeitplan mit dem in Klammern gedruckten Wörtchen "solo" hinter dem Bandnamen. Von vielen übersehen, wird der Allein-Auftritt von Nick Talbot sicherlich nicht allen Erwartungen gerecht. Doch langjährige Gravenhurst-Fans werden durch eine empfindsame Akustik-Performance von Song-Raritäten, alten Klassikern und Publikumswünschen mehr als entschädigt für die fehlenden Band-Jams. Und neue im Sturm erobert. Auch ohne Drang.
Fazit
Mit einem ausgezeichneten Lineup, das für alle Geschmäcker etwas Feines zu bieten hatte, hat das Reeperbahn Festival 2008 (25. - 27. September 2008) sicherlich so manch neuen Freund dazugewonnen. Zwar verlief die Organisation selbst im dritten Jahr immer noch nicht ganz reibungslos, mit einer gewissen Portion Flexibilität und Offenheit für Neues sollte aber jeder Festivalbesucher einige Perlen für sich entdeckt haben. In der Hinsicht machten die Veranstalter ihrem Motto "New International Music" also definitiv alle Ehre.
Paulina Banaszek - myFanbase
27.09.2009
Diskussion zu diesem Konzert
Weitere Informationen
Veröffentlichungsdatum (DE): 25.09.2008Aktuelle Kommentare
23.11.2024 17:22 von Chili_vanilli
Cruel Intentions: Cruel Intentions
Ich bin auf deine Meinung gespannt. Ob ich weiterschauen... mehr
25.11.2024 20:39 von Lena
Episode: #10.08 Love Will Tear Us Apart (Chicago Med)
Ja, das hörte sich eindeutig vertrauter an. Zach wäre... mehr