Pearl Jam, Arcade Fire, Portugal. the Man, ...

Big Day Out, Western Springs Stadium, Auckland, Neuseeland

Der Festivalriese "Big Day Out", der seit Anfang der 90er die großen Städte "down under" unsicher macht, hatte dieses Jahr mit Pearl Jam, Arcade Fire und Blur so tolle Namen am Start, dass sich nicht nur die Kiwi-Metropole Auckland nach einem Jahr Pause wieder zum Mitmachen verleiten ließ, sondern man auch als Backpacker der Verlockung nicht widerstehen konnte und für einen "big day out" gerne mal den Betrag hinlegte, den man in good old Europe normalerweise eher für Zwei- oder Drei-Tages-Festivals ausgibt.

Foto: Arcade Fire beim Big Day Out am 17.01.2014 in Auckland, Neuseeland - Copyright: myFanbase/Stephanie Stummer
Arcade Fire beim Big Day Out am 17.01.2014 in Auckland, Neuseeland
© myFanbase/Stephanie Stummer

Nicht einmal zwei Monate vor dem Festivaltermin und vermutlich den einen oder anderen bereits gedruckten T-Shirt-Stapel später sprangen die Britpop-Legenden Blur aus welchen Gründen auch immer wieder ab – um all die empörten Ausrufe zu ersticken, zauberten die Organisatoren mit den Deftones, den Hives und ausgerechnet den aus Britpop-Legenden bestehenden Beady Eye noch ein paar Asse aus dem Ärmel. Die strahlenden Helden, Ritter und Retter des Tages waren aber weder die unvermeidlichen Hives noch der ewig schlecht gelaunte Liam Gallagher, sondern Arcade Fire, die die immens hohen Erwartungen erfüllen konnten und nebenbei auch die etwas eigenartige anmutende Festivalkultur am anderen Ende der Welt vergessen ließen.

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Rucksäcke und Taschen werden drei Mal kontrolliert, um einem beim vierten Mal vor dem Bühnenbereich trotzdem abgenommen zu werden. Wer sich nur in die Nähe der Stände, die Alkohol verkaufen, wagt, muss grundsätzlich mit einem grünen Bändchen ausgestattet sein – und muss dann auch gleich dort bleiben, um sein überteuertes Bierchen zu zischen, denn Alkohol in Bühnennähe ist ebenso verpönt wie Stagediving oder eben die erwähnte Tasche. Richtig kurios wird es allerdings beim Zeitplan: Es gibt fünf Bühnen, von denen zwei "Bühnenpärchen" direkt nebeneinander platziert sind und deren Nutzung auf die Minute genau durchgeplant ist – endet eine Band um 13:45, legt die nächste Band auf der Bühne nebenan tatsächlich eine halbe Minute später los.

Diese ineinander greifenden Auftritte helfen vielleicht, Zeit zu sparen, ermöglichen es aber natürlich nicht, den letzten Auftritt richtig Revue passieren zu lassen und sich auf die neue Band einzustellen – ganz zu schweigen von Zugaben, ausführlichem Applaus oder so banalen Dingen wie einer Klopause. Abgesehen davon sieht es selten lächerlich aus, wenn die Leute drei Mal klatschen, sobald der Sänger die Hand vom Mikro genommen hat, und dann wie blöd zur Bühne nebenan sprinten, um ja noch einen guten Platz zu ergattern.

Der erste Übergang dieser Art, nämlich von Portugal. The Man auf Tame Impala, wirkt beinahe abrupt und unhöflich; im Laufe des Tages bleibt einem aber einfach nichts anderes übrig, als beim offensichtlich letzten Song schon mit den Hufen zu scharren. Die ewig tourenden Portugal. The Man eröffnen das Festival mit der Aussage, dass dies ihr erster Auftritt überhaupt in Neuseeland sei – und machen ihre Sache so ordentlich, wie man es als Eröffnungsband in einer Affenhitze machen kann. Die gute Nachricht: Die neuen Songs von "Evil Friends" klingen entgegen meiner Befürchtungen auch auf der Bühne gut; ihre volle Wucht entwickeln Portugal. The Man aber dann, wenn sie das machen, was sie Jahre zuvor schon getan haben: Fragmente ihrer und fremder Popsongs durch die Psychedelic-Wurstmaschine zu jagen, ohne Rücksicht auf Verluste. So geschehen während der letzten sieben Minuten des Auftritts, bevor sich die Menge japsend 20 Meter nach rechts bewegte.

So gerne die Neuseeländer Witze auf Kosten ihrer großen Nachbarn machen, so leidenschaftlich wurden dennoch die Aussies von Tame Impala begrüßt, die ohne lange zu fackeln ein kleines, psychedelisches Best-of auf die schwitzende Menge abfeuerten. Hatte ich mir die Band bisher immer eher in engen, rauchigen Clubs vorgestellt, so bewies dieser Auftritt durchaus, dass sich Schwurbel- und Stampfer-Songs wie "Elephant" oder "Feels Like We Only Go Backwards" genauso gut auch mit heißen Sommernachmittagen vertragen und vielleicht sogar noch an Atmosphäre gewinnen.

Einmal Luft geholt und zum ersten heimischen Act geeilt: The Naked And Famous, die auch hierzulande mit ihrem Debütalbum ("Passive Me, Aggressive You") viel Erfolg hatten, hatten natürlich Heimvorteil – und spielten zur Freude des ausgelassenen Publikums gleich zwei Mal ihren Superhit "Punching In A Dream", obwohl sie ein neues Album mit erneut unterkühlten Elektropop-Songs im Gepäck hatten, die durchaus ansprechend klangen. Der zweite heimische Act waren The Phoenix Foundation, Wellingtons vielleicht berühmteste Band, für die man sich von den einen Zwillingsbühnen zu den anderen bewegen musste. Empfangen wurde man von sympathischem, grundgemütlichem Indie-Rock, der in krassem Gegensatz zu dem hibbeligen Entertainment-Zeugs stand, das die Hives anschließend ihrem wahrhaftig begeisterten Publikum aufdrängten.

Vielleicht wird man nach mehreren Festival-Besuchen einfach immun gegen die Klamauk-Show, die Pelle Almqvist ähnlich einem Stehauf-Männchen abzieht – andererseits muss man gestehen, dass es den Hives erstmals an diesem Tag gelang, wirklich die gesamte Zuschauermasse zum Mitmachen und Mitspringen zu animieren; und sei es deshalb, weil diejenigen, die nicht sofort reagierten, persönlich von Almqvist darauf hingewiesen wurden. Die Mischung aus Rotznase und Schleimbolzen, der immer wieder betonte, dass dieses Publikum ganz ehrlich das beste Publikum überhaupt sei, kam trotz halblustiger Witze über Kiwis und Hobbits auf jeden Fall ausgezeichnet bei den Neuseeländern an – die Hits wie "Walk Idiot Walk" und "Tick Tick Boom" taten ihr Übriges, um die Menge in Bewegung zu halten.

Dies ist eine Sache, die Liam Gallagher und Beady Eye so gar nicht gelang – kein Wunder, wenn sich selbst der Sänger kaum einen Zentimeter bewegt, völlig emotionslos ins Mikro singt und den Eindruck vermittelt, als wäre er gerne ganz wo anders. Das persönliche Highlight für Gallagher dürfte wohl der kleine Seitenhieb auf die nicht anwesenden Blur gewesen sein, bevor er "Morning Glory" spielte. So traurig es klingt, waren es halt auch nur die paar eingestreuten Oasis-Songs, die wirklich zündeten, weil man mit ihnen vertraut war – und es in diesem Fall egal war, wie enthusiastisch (oder eben nicht enthusiastisch) die dazugehörige Performance wirkte.

Bei Arcade Fire gestaltete sich die "Bühnenwechsel"-Methode schon als etwas schwieriger, da sich bereits seit dem Ende des Hives-Auftrittes die hartgesottenen Fans nicht mehr von der Stelle rührten, Beady Eye nur mehr auf den Videowänden verfolgten – und dafür mit einer umso emotionaleren Show belohnt wurden. Vom atmosphärischen "The Suburbs"-Intro über die flippigen Bühnenoutfits und Tanzeinlagen bis zu den riesigen Pappmaché-Köpfen – wie meine Kollegin Maria in ihrer Review zum aktuellen Album "Reflektor" treffend bemerkt hat, ist Musik für Arcade Fire ein Ausdruck der Kunst. Und wenn Musik und Performance nebenbei auch noch zu Tränen rühren, kann man wohl sagen, dass die Band alles richtig gemacht hat.

Bereits beim passenden Opener "Ready to Start" erweist sich das Publikum als textsicher, die Band als gut gelaunt und spielfreudig. Arcade Fire sind mindestens zu acht, manchmal zu zehnt auf der Bühne; Régine Chassagne wirkt wie eine quirlige Elfe, wenn sie von einem Instrument zum anderen huscht. Während die neuen Stücke wie "Flashbulb Eyes" und "Reflektor" für einen gewissen Groove sorgen und Möglichkeiten für Tanzeinlagen bieten, sind es vor allem die Stücke von "Funeral", die am meisten bejubelt und offensichtlich beinahe abgöttisch geliebt werden – über Win Butlers Gesicht huscht nicht nur einmal ein Ausdruck der Rührung, wenn ihm die Leute die Textzeilen von "Neighborhood #3 (Power Out)" genauso verzweifelt entgegenbrüllen, wie er es die unzähligen Male tat, die man dieses geniale Album zuvor schon gehört hat. Und wie er es auch am Big Day Out tut – denn ihrem Ruf als leidenschaftliche, unermüdliche Performer, die alles geben, werden die Kanadier auch an diesem Abend gerecht. "Here Comes the Night Time" (inklusive Konfetti-Kanonen) und "Wake Up" bilden das fulminante, aber viel zu frühe Ende eines denkwürdigen Auftrittes.

Ebenso als leidenschaftliche, unermüdliche Performer bekannt sind ja auch Pearl Jam, denen in ihrer Position als Headliner auch als einzige Band des Abends die Möglichkeit für Zugaben eingeräumt wurde. Eddie Vedder bestritt den Auftritt wie immer mit Hilfe einer monströsen Flasche Rotwein und einem auch in diesem Fall sehr textsicheren Publikum – zumindest was die Klassiker der Band angeht. Die Songs vom neuen Album "Lightning Bolt", hauptsächlich während der ersten Hälfte gespielt, hinterließen vor allem einen lauten, temporeichen Eindruck.

Einen Schluck von der Rotweinflasche nehmend, erzählt Vedder, dass ihm neuseeländische Rettungsschwimmer anno dazumal in Kerikeri beim Surfen das Leben gerettet haben – als er danach noch Liam Finn, Sohn von Neil Finn, Neuseelands wahrscheinlich berühmtestem Musiker (u.a. Crowded House), für ein Duett ("Habit") auf die Bühne bittet, liebt ihn das Publikum ohnehin schon, bei "Betterman" wird danach noch inbrünstiger mitgesungen. Auf viele Hits und Klassiker folgt als zweite Zugabe eine enthusiastische Cover-Version des Who-Klassikers "Baba O’Riley" und entlässt für ein Festival ungewohnt früh bereits kurz nach 22 Uhr das Publikum in die Nacht. In den Shuttle-Bussen, die kostenlos zwischen Stadion und Stadtzentrum pendeln, geht die Diskussion munter weiter über die Sinnlosigkeit diverser Verbote, die Frage, ob nicht doch Arcade Fire die besseren Headliner gewesen wären oder ob man bei Snoop Dogg etwas verpasst hätte. Die Regeln beim Big Day Out 2014 waren bestimmt ungewohnt – ein Spaß war es dennoch, wenn auch ein teurer.

Setlist: Arcade Fire

Ready to Start / Flashbulb Eyes / Neighborhood #3 (Power Out) / Joan of Arc / The Suburbs / The Suburbs (Continued) / Neighborhood #1 (Tunnels) / Haiti / Afterlife / Sprawl II (Mountains Beyond Mountains) / Reflektor / My Body Is A Cage / Keep the Car Running / Normal Person / Rebellion (Lies) / Here Comes the Night Time / Wake Up

Setlist: Pearl Jam

Release / Go / Corduroy / Lightning Bolt / Mind Your Manners / Given to Fly / Brain of J. / Even Flow / Sirens / Let the Records Play / Unthought Known / Infallible / Black / Save You / Habit (mit Liam Finn) / Betterman

Encore: Footsteps / Elderly Woman Behind the Counter in a Small Town / Nothingman / Daughter / Why Go / State of Love and Trust / Porch

Encore 2: Baba O’Riley (The Who-Cover)

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Stephanie Stummer - myFanbase
17.02.2014

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