Willkommen im Leben - Review

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Selbst fast zwanzig Jahre nach der Erstausstrahlung und in meiner persönlichen, mindestens fünften Wiederholung, werde ich schlagartig in meine Teenagerzeit zurückversetzt, sobald ich die ersten Szenen von "Willkommen im Leben" sehe. Obwohl ich mittlerweile die Dreißig überschritten habe und zumindest laut Personalausweis meilenweit vom Teenager-Dasein entfernt bin, schaffen es Angela, Jordan, Rayanne und all die anderen Charaktere wieder die gleichen Gefühle hochzuholen, die ich empfand, als ich die Serie als wirklicher Teenager zum ersten Mal gesehen habe. Und seit damals habe ich viele Serien, die das Erwachsenwerden behandeln, kommen und gehen sehen. Die eine hat mich mehr berührt und die andere weniger, aber keine dieser Serien hat es jemals geschafft diese schwierige Zeit so schonungslos ehrlich und wahnsinnig authentisch rüberzubringen wie "Willkommen im Leben". Bis heute setzt diese Serie unerreichbare Maßstäbe, fernab von dem Glamour eines "Gossip Girl", den hochtrabenden Dialogen aus "Dawson's Creek" oder der Dramatik in "O.C., California". "Willkommen im Leben" lebt ohne Darsteller, die wie Models aussehen, den neusten In-Klamotten und einer schillernden Umgebung. Denn "Willkommen im Leben" ist so authentisch, als hätte man einfach eine Kamera im Leben eines gewöhnlichen Teenagers laufen lassen.

Neben dem simplen Script, der authentischen Dialoge und der schlichten Umgebung, gebührt dieses Lob, Kultstatus erreicht zu haben, natürlich hauptsächlich den Darstellern. Und da steht in vorderster Reihe Claire Danes als Angela Chase. Das Hintergrundwissen, dass Claire Danes gerade mal 13 Jahre alt war, als die Pilotfolge gedreht wurde und 15 Jahre bei Abschluss der Serie war, dürfte einen noch mehr ins Staunen über ihre grandiose Darbietung bringen. Ihre oftmals peinliche Verlegenheit, ihre nagenden Selbstzweifel, ihre Besessenheit von Jordan, ihre Unschuld, ihr herzliches Lachen und auch ihr ungeschminktes Weinen, bei all dem hat man niemals das Gefühl, dass Claire Danes schauspielert, sondern Claire Danes Angela Chase ist. Natürlich geben aber auch die anderen zahlreichen Darsteller ihr Bestes und können auf ganzer Linie überzeugen. Denn der ganze Hauptcast von "Willkommen im Leben" ist einfach umwerfend echt und fernab von den sonstigen Stereotypen, völlig authentisch und mit einem selbst identifizierbar. So gut wie jeder dieser Charaktere hätte bei einem in der unmittelbaren Nachbarschaft wohnen, neben einem auf der Schulbank sitzen oder einem einfach auf der Straße begegnen können. Es sind Menschen wie Du und Ich und keine fiktiven und unerreichbaren Vorbilder. Noch dazu schafft es diese Serie, den einzelnen Rollen innerhalb weniger Folgen so viel Charaktertiefe zu geben, wofür andere Serien ganze Staffeln brauchen.

Wenn man eine Review über "Willkommen im Leben" schreibt, kommt man wohl nicht daran vorbei, das Liebespaar Jordan Catalano und Angela Chase zu erwähnen. Aber bei Gott, wer will das auch schon? Ich könnte ganze Seiten füllen, mit meiner Verehrung für diese zauberhafte Darstellung. Denn auch hier haut mich die schonungslose Ehrlichkeit und das prickelnde Knistern zwischen Jordan und Angela komplett aus den Socken. Es gibt keine hochphilosophischen Dialoge oder ausgeschmückte Darstellungen, die sich Teenager erträumen, sondern das komplette wahre Leben. Peinliche Schweigeminuten, verlegene Blicke, unbeholfene Annäherungen und unerfahrene Geständnisse, genau das macht diese traumhafte Liebesgeschichte so wunderbar einzigartig und echt. Wer kann nicht mitfühlen, wenn Angela wieder einmal von Jordan enttäuscht wird, der völlig von Angelas Erwartungen überfordert ist? Wer hat noch nie diese peinliche Situation erlebt, in der man versucht, seinem Schwarm näher zu kommen, sich immer in seiner Nähe aufhält und sich damit total zum Vollidioten macht? Niemals wieder habe ich eine Liebesgeschichte gesehen, die so unverschnörkelt und nachvollziehbar dargestellt wurde. Und noch heute muss ich weinen, wenn Jordan vor allen Schülern Angelas Hand im Schulflur nimmt und dazu Buffalo Toms "Late at Night" läuft.

Für mich eine der phänomenalsten Liebesszenen, die ich je gesehen habe und das, obwohl nichts weiter passiert, als Händchenhalten. Völlig ohne ausgeschmückte Liebesgeständnisse oder romantische Knutschereien symbolisiert diese eine simple Szene, was diese Serie ausmacht und transportiert ein unglaubliches Gefühl für dieses Paar. Doch auch die diversen anderen Szenen zwischen Angela und Jordan sind so unglaublich gefühlvoll, nachvollziehbar und mitreißend, dass man das Gefühl hat, Angela zu sein und jede Berührung und jedes Wort mitzufühlen. Alleine die Blicke zwischen den beiden transportieren so viel Herzschmerz und Sehnsucht, wie es kein anderes Paar mit ausgefeilten Dialogen jemals geschafft hat. Für mich sind Angela und Jordan das Liebespaar der Seriengeschichte. Denn ihre Geschichte ist nicht unglaublich dramatisch oder ausschmückend erzählt, sondern einfach nur so, wie sie jeder von uns, selbstverständlich nicht im Detail, aber vom Gefühl her, irgendwann schon mal erlebt hat. Natürlich habe auch ich später noch bei diversen anderen Paaren mitgelitten und mir gewünscht, dass Joey Potter beispielsweise endlich zu ihren Gefühlen für Pacey Witter steht oder Veronica Mars und Logan Echolls wieder zusammen finden, doch nie wieder habe ich dieses Gefühl gespürt, dieses Gefühl genau zu wissen, was Angela gerade empfindet. Und seien wir ehrlich: Wer würde bei Jordan Catalano nicht schwach werden?

Doch nicht nur die Liebe, sondern auch die Freundschaft spielt in "Willkommen im Leben" eine enorm große Rolle. Und auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, gibt es hier wieder die volle Punktzahl an Echtheit und authentischer Darbietung. Denn gerade das spannende Kennenlernen von neuen Freunden und das gleichzeitige Abkapseln von den Kindheitsfreunden erlebt ja wohl jeder Teenager in seiner Entwicklung zum Erwachsenen. Doch selten habe ich diese Darstellung so echt und gefühlvoll gesehen, wie bei "Willkommen im Leben". Für Angela ist die neubeginnende Freundschaft mit der ausgeflippten Rayanne eine Art der Weiterentwicklung, ein Abtauchen in eine, ihr bisher unbekannte, Welt. Denn Rayanne ist einfach so viel anders, als ihre Freundin Sharon aus Kindheitstagen. Und eben das ist so wichtig als Teenager, nämlich neue Lebensumstände kennenzulernen und völlig neuen Input von verschiedenen Menschen zu kriegen. Aber auch die Verbindungen zwischen den völlig unterschiedlichen Charakteren, wie Brian und Ricky oder auch Sharon und Rayanne, sind unglaublich authentisch und nachvollziehbar dargestellt. Und wie es nun mal so im Leben ist, sieht man in Krisensituationen, auf wen man sich verlassen kann und muss auch gewisse Enttäuschungen hinnehmen.

Der einzige minimale Kritikpunkt, den ich an dieser sonst so einzigartigen Serie habe, sind die teilweise doch sehr langatmigen Szenen der Eltern. Und damals als Teenager, wie heute als Erwachsener, kann ich denen so gar nichts abgewinnen. Ich finde es wunderschön, wie die Verbindung zwischen Angela und ihren Eltern gezeigt wird, das Abkapseln und auch das gelegentliche Zurückfallen in den Schoß der Familie, ist absolut typisch für ein normales Teenagerdasein. Doch die einzelnen Geschichten, die sich wirklich nur um die Eltern drehen, sind teilweise wirklich sehr langweilig und lassen mich immer wieder zur Fernbedienung zum Vorspulen greifen.

Alles in Allem ist es eine Schande, dass die Genialität dieser Serie erst Jahre später die volle Anerkennung gefunden hat und sie damals nach nur einer Staffel auf Grund schlechter Quoten eingestellt wurde. Allein durch den Cliffhanger, in dem Angela erkennt, dass Brian sie liebt und ihr diesen wunderbaren Brief geschrieben hat, wäre noch eine Menge Potential offen gewesen. Ich kann gar nicht sagen, wie viele Monate, ja ich glaube sogar Jahre, ich die Fernsehzeitungen nach einer zweiten Staffel durchforstet habe. Denn so etwas wie Internet gab es damals in privaten Haushalten noch nicht und man konnte nicht mal eben was nachschlagen. Aber wer weiß, vielleicht ist es auch besser so, da sich die Serie sonst kaputt gelaufen wäre und so bleibt die erste Staffel das, was sie auch ist: ein grandioses Meisterwerk, das gleichzeitig Wegweiser als auch eine Messlatte für viele Serien dieser Art ist.

Nina V. - myFanbase

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