Das Damengambit - Review Staffel 1

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Wer hätte gedacht, dass im Herbst 2020, in einem so turbulenten Jahr, eine ruhig erzählte Geschichte über das Thema Schach aus der Menge an Serienproduktionen herausstechen würde? "Das Damengambit" erzählt die Geschichte eines Waisenkindes, das zu einer der besten Schachspielerinnen der Welt heranwächst und dabei zieht dieses eigentümliche Mädchen, das zu einer alkohol- und tablettenabhängigen jungen Frau wird, das Publikum ab der ersten Minute in den Bann.

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Beth Harmon – vom Waisenmädchen zur Schach-Großmeisterin

Foto: Isla Johnston & Bill Camp, Das Damengambit (The Queen's Gambit) - Copyright: 2020 Netflix, Inc.; Phil Bray/Netflix
Isla Johnston & Bill Camp, Das Damengambit (The Queen's Gambit)
© 2020 Netflix, Inc.; Phil Bray/Netflix

Dass Beth Harmon kein leichtes Leben hatte und haben wird, wird sogleich in den ersten Minuten der Serie deutlich, als ihre Mutter Alice (Chloe Pirrie) mit einem Autounfall Suizid begeht und das Mädchen in ein Waisenhaus gebracht wird, wo sie fortan einen streng geregelten Tagesablauf hat. Dort schreckt man auch nicht davor zurück, den Mädchen täglich Beruhigungsmittel zu verabreichen, die bei Beth eine Abhängigkeit auslösen. Grau in Grau wird der betrübliche Alltag der Mädchen erzählt, bis Beth eines Tages auf den Schach spielenden Hausmeister Mr. Shaibel (Bill Camp) aufmerksam wird. Schnell wird klar, dass Beth eine außergewöhnliche Gabe hat, die es zu fördern gilt. Rückblicke auf das Genie der Mutter lassen erahnen, dass Beth bei ähnlicher Begabung ebenfalls Außenseiterin werden und sie dasselbe Schicksal ereilen könnte. Denn die Serie verdeutlicht mehr als einmal, dass Genie und Wahnsinn nah beieinander liegen. Durchs Schachspiel findet Beth die nötige Herausforderung für ihr Gehirn, doch die parallele Tablettenabhängigkeit lassen sie vermuten, dass sie nur durch Einnahme der kleinen grünen Pillen Zugang zu diesem Teil ihres Gehirns hat. Das brennt sich in jungen Jahren schon derart in sie ein, dass es sie auch im Erwachsenenalter weiterhin begleitet.

Foto: Marielle Heller & Anya Taylor-Joy, Das Damengambit (The Queen's Gambit) - Copyright: 2020 Netflix, Inc.; Ken Woroner/Netflix
Marielle Heller & Anya Taylor-Joy, Das Damengambit (The Queen's Gambit)
© 2020 Netflix, Inc.; Ken Woroner/Netflix

Das Thema Sucht wird aber nicht nur in Form der Tabletten deutlich, sondern auch das Schachspiel selbst entwickelt sich für Beth in gewisser Weise dazu. Sie saugt alle Informationen auf, die sie dazu finden kann und auch bei ihrer Adoptivfamilie versucht sie alles, um zumindest heimlich dieser Leidenschaft nachgehen zu können. Das Spiel löst Glücksgefühle in ihr aus, auch wenn man ihr solche Emotionen äußerlich nie ansieht, und ist die einzige Konstante in ihrem Leben. Dass sie sich auf Menschen in ihrem Leben nicht verlassen kann, hat sie von klein auf gelernt, als sie beobachtete, wie ihr Vater wegen des Wahnsinns ihrer Mutter das Weite suchte oder wie ihre Mutter Suizid beging. Ein ähnlicher Verlauf scheint dann auch das Leben in der Adoptivfamilie zu nehmen, weshalb Beth sich umso mehr daran klammert, ihr Schachspiel zu perfektionieren und damit so etwas wie Unabhängigkeit zu gewinnen. Damit setzt sich Beth jedoch erheblich unter Druck und zu den Tabletten kommt dann irgendwann der Alkohol.

Foto: Jacob Fortune-Lloyd & Anya Taylor-Joy, Das Damengambit (The Queen's Gambit) - Copyright: 2020 Netflix, Inc.; Phil Bray/Netflix
Jacob Fortune-Lloyd & Anya Taylor-Joy, Das Damengambit (The Queen's Gambit)
© 2020 Netflix, Inc.; Phil Bray/Netflix

Gleichzeitig durchläuft sie die Pubertät und verliebt sich in ihren etwas älteren Kontrahenten D.L. Townes (Jacob Fortune-Lloyd). Dies sind Gefühle, die sie nicht richtig einzuordnen weiß und über die sie als Einzelgängerin auch mit niemandem zu reden vermag. Als sie ihn dann bei den US Open einige Jahre später endlich wiedersieht, scheint auch er von der jungen Frau fasziniert zu sein. Doch sobald sein Freund auftaucht, zerbricht für Beth erneut eine Welt, hat sie ihr Vertrauen doch wieder in den falschen Menschen gesetzt. In ihrer Fantasie hatte sie sich wohl schon an seiner Seite gesehen, verbunden durch ihre Leidenschaft zum Schach, und sein einfühlsames Verhalten während des Foto-Shootings als Erwiderung ihrer Gefühle gedeutet. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum sie sich auf zukünftige Männerbekanntschaften emotional nicht mehr richtig einlassen kann. Zwar hat sie später eine Affäre mit Harry (Harry Melling) und macht sich Hoffnungen bei Benny (Thomas Brodie-Sangster), doch bei beiden dreht sich ihr Interesse mehr um die Perfektionierung ihres Schachspiels als um eine emotionale Bindung.

Foto: Anya Taylor-Joy, Das Damengambit (The Queen's Gambit) - Copyright: 2020 Netflix, Inc.; Phil Bray/Netflix
Anya Taylor-Joy, Das Damengambit (The Queen's Gambit)
© 2020 Netflix, Inc.; Phil Bray/Netflix

Es ist beeindruckend, Beths Werdegang von einem kleinen Waisenmädchen, das die Regeln des Spiels lernt, bis zu ihrer Etablierung als Großmeisterin des Schachs zu sehen. Die Serie deckt hierbei eine Spanne von zehn bis fünfzehn Jahren ab, die größtenteils von Anya Taylor-Joy in der Hauptrolle gespielt werden. Ihre Wandlung vom ausgegrenzten Schulmädchen zur selbstbewussten, aber dennoch - durch ihre Suchteskapaden - fragilen jungen Frau, ist in keiner Minute langweilig, obwohl die Serie wie anfangs gesagt eher ruhig erzählt und in gedeckten Farbtönen gehalten wird. Der Fokus liegt auf ihrer Entwicklung und das in einer von Männern dominierten Welt, was aber überraschenderweise nicht bedeutet, dass wir es hier mit Sexismus oder gar sexuellen Übergriffen zu tun bekommen. Es hätte hier sicher genügend Ansatzpunkte geben können, solche Geschichten ebenso einzubinden, deshalb gehe ich davon aus, dass die Serienmacher bewusst darauf verzichtet haben. Insgesamt bleibt der Eindruck, dass man die Serie nicht zu düster werden lassen wollte, denn immerhin hat Beth bereits eine Menge Schicksalsschläge hinnehmen müssen und auch ihre Suchtprobleme versprechen nichts Gutes. Dennoch hat die Serie immer diesen Funken Hoffnung; Hoffnung, dass sie es zur Großmeisterin schafft, Hoffnung, dass sie von ihrer Sucht loskommt und Hoffnung, dass sie eines Tages jemanden findet, dem sie uneingeschränkt vertrauen kann und sei es nur sie selbst.

Foto: Pablo Scola & Marielle Heller, Das Damengambit (The Queen's Gambit) - Copyright: 2020 Netflix, Inc.; Phil Bray/Netflix
Pablo Scola & Marielle Heller, Das Damengambit (The Queen's Gambit)
© 2020 Netflix, Inc.; Phil Bray/Netflix

Dass Beth kein weibliches Vorbild hat, zu dem sie aufschauen kann, schmerzt dennoch, da man sich fragt, ob ihr Leben dann anders verlaufen wäre. Nach ihrer von Depressionen geplagten Mutter, die sich sicherlich bemüht hat, Beth ein behütetes Leben zu geben, und der strengen Heimleitung, ist es ihre Adoptivmutter Alma (Marielle Heller), die eigentlich einen positiven Einfluss auf sie haben sollte. Doch die anfängliche Idylle in einem Vorort weicht bald einer zerbrochenen Ehe und einer im Selbstmitleid zerfließenden Frau, die ihre Sinne mit Tabletten und Alkohol benebelt, weil sie ihre Träume nie verwirklichen konnte und nun finanzielle Sorgen hat. Die Beziehung zu Beth bessert sich erst, als Alma erkennt, dass man mit Beths Preisgeldern von den gewonnenen Schachturnieren ihr Leben unterhalten kann. Das ist keinesfalls böswillig von Alma gemeint, sie nutzt nur einfach die Gelegenheit, die sich ihr bietet. Und auch für Beth ist das Ganze eine gewisse Zweckbeziehung, denn immerhin entschuldigt Alma sie in der Schule, um ihre Schachkarriere zu ermöglichen, während sie gleichzeitig einen stetigen Zugriff auf Beruhigungsmittel hat, die Alma auf Rezept erhält. Zudem lässt Alma Beth Alkohol trinken, was ihr ein weiteres Suchtmittel gibt, um ihre Sinne zu benebeln. Eine richtige Mutter-Tochter-Beziehung entsteht zwar nie, aber die beiden sind aufeinander angewiesen und damit immer füreinander da. Man kann es Alma auch nicht verübeln, dass sie in Mexiko einer alten Liebschaft nachgeht, und Beth dafür oft alleine lässt. Immerhin hat sie eine jahrelange unglückliche Ehe hinter sich und sich auch nie getraut, ihrem Traum als Pianistin nachzugehen. Doch Glück und Unglück liegen nah beieinander, denn diese bittersüßen Tage in Mexiko sind auch Almas letzte Tage, bevor sie an einer wohl durch zuviel Alkohol- und Tablettenkonsum verstärkten Hepatitis verstirbt. Ähnlich wie bei Alice hat man hier also einen Vorboten dessen, was aus Beth werden könnte, wenn sie weiterhin den falschen Weg geht.

Foto: Moses Ingram & Anya Taylor-Joy, Das Damengambit (The Queen's Gambit) - Copyright: 2020 Netflix, Inc.; Courtesy of Netflix
Moses Ingram & Anya Taylor-Joy, Das Damengambit (The Queen's Gambit)
© 2020 Netflix, Inc.; Courtesy of Netflix

Neben Beths männlichen Bekanntschaften ist es dann vor allem Jolene (Moses Ingram), die sie noch aus Waisenhaus-Tagen kennt und die ihr als Erwachsene wie durch eine Reise in die Vergangenheit zeigt, was Beth schon alles im Leben erreicht hat – angestoßen durch Mr. Shaibels Förderung ihres noch jungen Talents. Das hilft Beth, sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren, den besten Schachspieler der Welt, Vasily Borgov (Marcin Dorociński), zu schlagen. Dass sie dafür auch wieder auf Bennys, Harrys und schließlich auch Townes' Unterstützung zählen kann, gibt der Serie einen runden Abschluss und am Ende erneut etwas Hoffnungsvolles. Beth hat ihren Platz im Leben gefunden, trotz aller Widrigkeiten ihren größten Traum verwirklicht und scheint endlich einen Weg gefunden zu haben, auch ohne Tabletten zu sich selbst zu finden. Das perfekte Ende, das einem die trüben Herbsttage in einem von schlechten Nachrichten geprägten Jahr versüßt.

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Auch abseits des Spielfelds ein stimmiges Bild

Foto: Isla Johnston, Das Damengambit (The Queen's Gambit) - Copyright: 2020 Netflix, Inc.; Phil Bray/Netflix
Isla Johnston, Das Damengambit (The Queen's Gambit)
© 2020 Netflix, Inc.; Phil Bray/Netflix

Anya Taylor-Joy ist ohne Frage das Gesicht der Serie, doch in den Bann gezogen und dazu gebracht, diese Serie weiterzuschauen, hat mich vor allem das Talent von Isla Johnston, die Beth in jungen Jahren darstellt. Sie zeigt uns beeindruckend das traumatisierte junge Mädchen, das keine Gefühlsregungen zeigt und das durch Schach eine neue Leidenschaft entdeckt und fortan nicht mehr nur Langeweile und Unterforderung begegnet. Der Übergang zu Anya Taylor-Joy wirkt dann etwas abrupt, da sie deutlich älter aussieht, aber immer noch eine Jugendliche spielte und vor allem auch die Figuren in ihrem Umfeld – bspw. Jolene – keine Cast-Wechsel durchmachten. Erst als Beth so richtig in ihre Schachkarriere startet und an Selbstbewusstsein gewinnt, wirkte das Casting wieder stimmiger, was auch durch eine neue Frisur und modernere Kleidung hervorgehoben wird. Taylor-Joys Gesicht hat mich dann am meisten fasziniert, denn die großen Kulleraugen konnten so viele unterschiedliche Gefühle ausdrücken, von Neugierde über Konzentration zu Freude und Wut.

Foto: Harry Melling, Das Damengambit (The Queen's Gambit) - Copyright: 2020 Netflix, Inc.; Phil Bray/Netflix
Harry Melling, Das Damengambit (The Queen's Gambit)
© 2020 Netflix, Inc.; Phil Bray/Netflix

Obwohl die Serie innerhalb von sieben Episoden eine große Zeitspanne abdeckt, hat man als ZuschauerIn nie das Gefühl, durch Zeitsprünge abgehängt zu werden. Durch den starken Fokus auf Beth sind die einzelnen Schritte nachvollziehbar und konsequent erzählt. Man erlebt ihre Höhen und Tiefen und kann zu jedem Zeitpunkt in der Geschichte ihr Verhalten verstehen. Dadurch werden die anderen Hauptcharaktere aber nicht aus dem Auge verloren. Zwar spielen nicht alle von ihnen eine gleich wichtige Rolle in Beths Leben, dennoch gibt man sich bei der Ausarbeitung der anderen Figuren wie Alma, Harry, Benny oder Jolene Mühe, ihr Verhalten zum jeweiligen Zeitpunkt schlüssig zu erklären. Wir können uns in sie hineinversetzen und auch wenn sie jeweils nur für einzelne Episoden und damit Momente in Beths Leben auftauchen, so haben sie immer einen Zweck und klare Beweggründe.

Foto: Anya Taylor-Joy, Das Damengambit (The Queen's Gambit) - Copyright: 2020 Netflix, Inc.; Phil Bray/Netflix
Anya Taylor-Joy, Das Damengambit (The Queen's Gambit)
© 2020 Netflix, Inc.; Phil Bray/Netflix

Optisch macht "Das Damengambit" sehr viel her. Den anfänglichen Grautönen weicht immer mehr Farbe, als Beth das Waisenhaus verlässt und erst recht, als sie beginnt, die weite Welt zu bereisen, um an Schachturnieren teilzunehmen. Es tritt mehr Licht in ihr Leben, je weiter sie sich die Leiter hocharbeitet, um eine Großmeisterin zu werden. Untermalt wird dies durch einen tollen Soundtrack. Die Lieder sind mit Bedacht ausgewählt und unterstreichen die Szenen, in denen sie eingesetzt werden (bspw. "The End Of The World" von Herman's Hermits oder "Venus" von Shocking Blue). Ein weiteres Highlight sind die gezielt eingesetzten 3D-Animationen der Schachfiguren. Nicht nur an der Decke, wenn Beth von Tabletten benebelt wieder verschiedene Schachzüge durchgeht, sondern auch wenn die Schachspiele in hoher Geschwindigkeit gezeigt werden, wird man von diesem Spiel in den Bann gezogen. Die Serie macht Lust, das Spiel mal auszuprobieren, auch wenn ich persönlich über die Grundregeln hinaus bisher keine großen Erfahrungen damit habe.

Die Serie "Das Damengambit" ansehen:

Fazit

"Das Damengambit" fasziniert einen trotz ruhiger Erzählweise ab der ersten Minute. Man fiebert mit der Protagonistin Beth Harmon und ihrem Traum, die beste Schachspielerin der Welt zu werden, mit und geht mit ihr durch Höhen und Tiefen. Die Qualität der Serie, die Ausarbeitung der Charaktere und die eingesetzte Musik wissen voll und ganz zu überzeugen und nach diesen sieben Episoden findet man den perfekten Schlusspunkt.

Catherine Bühnsack - myFanbase

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