Everything Now - Review Staffel 1
Vorab der Review soll es eine kleine Warnung geben, denn da sich die Netflix-Serie "Everything Now" mit einem Thema auseinandersetzt, das für einige triggernd sein kann (in diesem Fall Essstörungen), wird sich auch diese Bewertung mit einigen Aspekten beschäftigen. Lest bitte nur weiter, wenn euch das nicht belastet.
Bei meinen vielversprechendsten Neustarts habe ich "Everything Now" als Serie benannt, die ich mir als qualitative Fortsetzung zu britischen Jugendserien wie das gerade beendete "Sex Education" und "Heartstopper" erhofft habe. Ich hatte mich bewusst vorher nicht übermäßig informiert, um mich dann überraschen zu lassen. Letztlich kann ich nach acht Episoden nur sagen, dass ich das bekommen habe, was ich wollte. Denn die Serie beschäftigt sich einfühlsam und dominierend mit dem Thema Essstörung. Dafür braucht es noch nicht mal übertriebene Szenen, um Mias (Sophia Wilde) Krankheit darzustellen, manchmal sind es auch nur Andeutungen, durch die der Rest im Kopf selbst entsteht, um ein vollständiges Bild zu erschaffen. Als Genreeinteilung habe ich für "Everything Now" auch schon mal Dramedy gelesen, was ich so aber nicht unterstützen würde. Mias Kommentierungen durch ihre Gedanken können durchaus bissig-humorvoll sein und speziell Figuren wie Will (Noah Thomas) und Alison (Niamh McCormack) leben auch von der Übertreibung, aber alles in allem, wenn ich beispielsweise auch nochmal "Sex Education" für einen Vergleich heranziehe, dann ist der Humor dort ganz anders präsent. Der Neustart von Netflix ist in meinen Augen anteilig mehr einer Dramaserie zuzuordnen.
Der Serie ist aber auch eine gewisse Oberflächlichkeit nicht abzusprechen. Während das Thema Essstörung durch alle acht Episoden hinweg sehr präsent ist und in verschiedenen Nuancen bedacht wird, ist die Serie auch um andere Nebenschauplätze bemüht, wo die Sorgfalt so ähnlich nicht ist. Beispiel Becca (Lauryn Ajufo), die ihre Schwangerschaft feststellt und sich für eine Abtreibung entscheidet. Das ist in wenigen Szenen dargestellt, abgehandelt und dann fertig. Zwar ist es überzeugend abgebildet worden, weil sie auch ein tolles Gespräch mit ihrer Mutter dazu gibt, wodurch sie ihre Entscheidung ohne Druck und aus sich selbst heraus treffen kann, aber es ist dennoch knapp. Dazu gibt es eben einige Episoden mit diesen übertriebenen Partys, wo es um Saufen geht. Das ist für Serien dieser Art inzwischen auch normal geworden, aber es unterstreicht auch den Eindruck, dass sich in diesen Szenarien am besten Konflikte hochkochen lassen, um danach erstmal aufräumen zu müssen. Das ist nämlich wieder das Positive, was ich sehe. Während in vielen anderen Serien sich Geheimnisse wie Kaugummi ziehen und immer wie gruselige Schatten im Hintergrund nur darauf warten, dass sie endlich von der Leine gelassen werden, sind diese Jugendlichen - für Teenager wie ich finde üblich - mit ihren Emotionen und Gefühlen immer am Anschlag, so dass sich vieles auf sehr schnell entlädt. Wenn ich bedenke, wie viele mit hässlichen Worten versehene Streitereien es gab, dann kann das erschrecken, aber ich fand es eigentlich genau deswegen wieder gut. Auch wenn mir an manchen Stellen die Tiefe gefehlt hat, so habe ich eine Sache wirklich geglaubt, dass speziell die Freundschaft von Mia, Becca, Will und Cameron (Harry Cadby) wirklich auf etwas Tiefem fußt und da kann man sich eben alles sagen, ohne gleich befürchten zu müssen, die Freundschaft ist schon wieder vorbei. Dennoch hätte ich mir beispielsweise zu Alison mehr gewünscht. Bei den anderen Figuren habe ich einen wirklich guten Eindruck bekommen, aber sie ist eine Figur, würde sie mir persönlich begegnen, ich wüsste nicht wie ich mit ihr umgehen soll. Was an ihr ist echt und was nicht?
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In Bezug auf die Darstellung der Essstörung kann ich aber an keinem Punkt etwas meckern. Das ist der Fokus der Serie und das ist verdammt gut erzählt worden. Wir haben zum einen die Rückblenden, die unaufdringlich und damit effektiv verschiedene Ausprägungen von Mias Verhalten aufzeigen. Ich fand es besonders interessiert, wie ihr Äußeres in der Vergangenheit gestaltet wurde, da ich gar nicht wusste, dass sich eben nicht nur das Gewicht verändert, sondern es viele weitere körperliche Veränderungen gibt, die belegen, wie krank der Körper ist. Wichtig ist sicherlich auch die Figur von Dr. Nell (Stephen Fry), der eine unnachgiebige und dennoch warmherzige Art hat. Bei dem Mann weiß man schnell, dass er alles durchschauen kann und so viel Erfahrung hat, dass er alles schon mal erlebt hat und damit für alles eine Reaktion parat hat. Bei der Mia wiederum, die nun nach sieben Monaten wieder nach Hause darf, da ist durch die Fokussierung auf sie deutlich zu merken, dass sie immer noch ein Mensch ist, der jeden Tag hart gegen seine Krankheit ankämpfen muss. Ich finde es aber nur richtig, uns als Zuschauer*innen keine Wunderheilung zu präsentieren, denn Mia sagt es an einer Stelle selbst, dass es ein durchschnittlicher Kampf von sieben Jahren ist. Deswegen fand ich es im Finale der ersten Staffel auch so passend, dass man Veränderungen aufgezeigt bekommen hat, minimal, aber sie sind da. Solche Kämpfe sind eben leider keine Sprints, sondern ein Marathon. Passend war aber sicherlich auch, dass es nicht die eine Lösung gibt, Mia zu helfen, weswegen es auch innerhalb der Familie einige Diskussionen gegeben hat. Das zeigt mir insgesamt, dass es wie in den meisten Bereichen des Lebens auch hier kein richtig oder falsch gibt. Wir sehen ein beispielhaftes Leben und Wilde hat ihre Rolle wirklich großartig gespielt und damit einer Krankheit ein Gesicht gegeben, was definitiv tief berühren kann.
Wichtig war auch die sechste Episode, die sich Alex (Sam Reuben) widmet. Bis dato hat die Serie genau das stilistisch mit ihm gemacht, was er später über sich selbst sagt: er wurde in den Schatten gestellt. Nun also eine Episode aus seiner Sicht anzubieten, die auch angenehm nicht aus dem Geschehen reißt, sondern nahtlos an vorher anknüpft, ist eine geniale Sache. Wir erleben bis dato natürlich genug, wie Mias Krankheit die Menschen um sie herum beeinflusst, aber dann die Figur zu haben, die bislang kaum ein Wort sagen durfte und wo man nun sogar die Gedanken hören kann, das ist nochmal so der Bonus, der gefehlt hat. Bei schweren Krankheiten bei Kinder und Jugendlichen ist es inzwischen nicht umsonst oft üblich, auch Gruppen für die Geschwister anzubieten, weil sich deren Leben ebenfalls radikal ändert. In Bezug auf Alex ist so ein Angebot nicht angesprochen worden, aber an ihm hat man gezeigt, warum es sowas geben muss. Während er zum einen seine Schwester vermisst, weil sie ein enges Verhältnis hatten, ist in ihm auch sehr viel Wut, weil es nur noch um Mia geht und weil er den Druck verspürt, umso perfekter sein zu müssen, damit seine Eltern nicht auch noch mit ihm Sorgen haben müssen. Dies mag ihm auch lange gut gelungen sein, aber wenn ein Zahnrädchen sich festsetzt und nicht mehr alles wie geschmiert weiterläuft, dann sind die Folgen gleich verheerend. Anschaulich war auch, dass Alex noch so hässliche Gedanken manchmal haben kann, aber dennoch ist die bedingungslose Liebe für seine Schwester dennoch Immer da. So eine Episode würde ich mir auch aus der Sicht von Viv (Vivienne Acheampong) wünschen. Sie ist die unnahbarste Figur in dieser Staffel und ich denke, dass zu ihr einiges auch bewusst ausgespart wurde, um das für eine mögliche Staffel 2 dann nutzen zu können. Die Idee kann ich der Serie nicht vorwerfen, zumal die Andeutungen zu Viv, die zum Essen möglicherweise selbst eine ungesunde Beziehung hat, schon gereicht haben, um einiges zu verstehen. Aber ich denke auf jeden Fall, dass sie einen erheblichen Anteil an Mias Erkrankung und damit wohl auch Gesundung hat und haben wird. Rick (Alex Hassell) ist dann aus der Familie der, der mich stets überzeugt hat und der sehr rein als Mensch ist. Er wurde zwar in der zweiten Hälfte als Buhmann inszeniert, aber eine unglückliche Familie auf ewig weiterzuführen, das macht nie mehr glücklich und mit seiner Entscheidung werden auf Dauer alle profitieren können, auch wenn sie es aktuell vielleicht noch nicht sehen können. Abseits davon hat man Rick speziell im Umgang mit Mia immer angemerkt, dass er sie nimmt, wie sie ist und liebt und immer für sie da ist. Er war sicherlich immer der, der die Familie ausbalanciert hat.
Mit Viv habe ich schon eine zweite Staffel angedeutet und ich denke auch, dass man die wird gut erzählen können. Ich hoffe nur, dass die Geschichte dann etwas mehr über alle Figuren erzählt wird, denn auch eine Carli (Jessie Mae Alonzo), die angesprochene Alison, Cam mit seiner Situation zuhause, sie alle haben es verdient, dass ihre Geschichten erzählt werden. Ich denke, dass Staffel 1 bewiesen hat, dass das grundsätzliche einfühlsame Potenzial bei Mia da war, warum es also nicht auf mehreren Schultern verteilen? Mia wird sicherlich dann nicht zu kurz kommen. Warum es beispielsweise nicht wie bei der Episode über Alex lösen? Wenn auch die anderen Figuren und ihre Gedanken mal beleuchtet würden, dann kann sich Staffel 2 problemlos noch qualitativ steigern.
Fazit
"Everything Now" bietet vor allem zum Thema Essstörungen inhaltlich und emotional viel an und überzeugt mit einer tollen Hauptdarstellerin sowie der Perspektive darauf, wie es auch alle um sie herum beeinflusst. Bei den anderen Figuren ist nur nicht immer so viel Sorgfalt geleistet worden, was manches Mal einen oberflächlichen Eindruck hinterlässt. So lässt sich die Serie für Staffel 2 aber noch genug Potenzial übrig.
Die Serie "Everything Now" ansehen:
Lena Donth - myFanbase
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