Inventing Anna - Review Miniserie
Diese Review zur neuen Miniserie von Netflix, "Inventing Anna", abzutippen, ist wahrlich eine der schwierigsten Aufgaben für mich, weil sich in mir sehr widersprüchliche Gefühle streiten, was mein abschließendes Urteil sein soll. Ein Hauptgrund dafür dürfte sein, dass man diese Serie kaum für sich alleinstehend beurteilen kann, weil sie für so viel mehr steht. Ich habe die Geschichte von Anna Sorokina 2017/2018 selbst mitbekommen und da ich vom Wohnort her gar nicht weit entfernt von ihr groß geworden bin, war natürlich eine Verbindung da, die sie als Person für mich nicht sofort hat beliebig werden lassen. So ist es aber auch vielen Menschen weltweit gegangen, weswegen sich bereits vor "Inventing Anna" ein kontroverser Diskurs über sie als Person und darüber, wofür sie steht, ergeben hat. Spätestens mit dem Erscheinen der Miniserie bei Netflix ist dieser Diskurs in geballter Form noch einmal extrem angeheizt worden, so dass ich in den letzten zwei Wochen sehr, sehr viel zu diesem Thema gelesen habe und die Eindrücke könnten unterschiedlicher nicht sein, weswegen es wohl kaum verwundert, dass ich mich in der Mitte einordne. Dennoch soll diese Review in erster Linie die fiktionale Produktion bewerten, auch wenn eben die äußeren Faktoren nicht gänzlich außer Acht gelassen werden können.
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Interessant ist, dass relativ zeitnah auf Netflix auch eine Dokumentation erschienen ist, die sich mit einem Betrüger auseinandersetzt, gemeint ist "Der Tinder-Schwindler". Gemäß dem Genre ist es stilistisch natürlich etwas anders aufgezogen, auch wenn mithilfe eines Casts die Geschichte auch nachgestellt wird und doch entsteht ein ganz anderes Gefühl als hier bei "Inventing Anna", das nun einmal komplett fiktiv verpackt worden ist. Die Inszenierung aus dem Hause Shondaland ("Grey's Anatomy - Die jungen Ärzte", "Bridgerton" und viele weitere Serienhits) beruht auf dem Artikel "How Anna Delvey Tricked New York's Party People", der von Jessica Pressler 2018 beim Magazin The Cut veröffentlicht worden ist. Die Journalistin ist auch die Vorlage für eine der Hauptfiguren, die Journalistin Vivian Kent (Anna Chlumsky), die erstmals von Anna hört und dann alles daran setzt, ihre Geschichte zu erzählen. Da die zentrale Antriebskraft also die Recherchen der Journalistin ist, ist ganz offensichtlich ein großes fiktives Konstrukt drum herum, weswegen auch in jeder Episode wieder die neue Warnung kommt: "Diese ganze Geschichte ist absolut wahr. Bis auf die Teile, die komplett erfunden sind." Das ist schon sehr bissig doppeldeutig, weil es erstmal ein cleverer Schutzschild ist, um sich gegen mögliche Klagen (gegen was wird heutzutage eigentlich nicht geklagt?) zu wappnen, aber es könnte auch andeuten, dass sich der zweite Satz vor allem auf Anna Delvey bezieht, erfunden durch Anna Sorokina. Zudem ist auch bekannt, dass diverse Personen, die in "Inventing Anna" verarbeitet werden, Geld von Netflix bekommen haben, damit ihre Geschichte verarbeitet werden darf; darunter auch Anna selbst. Sichert das jetzt die Fakten der Serien? Wohl kaum. Auch wenn Dokumentationen keine Garantie auf die Wahrheit sind, so ist eine Serie wie "Inventing Anna" daher mit noch viel größerer Vorsicht anzugehen, weswegen die aktuell kursierenden Kontroversen wahrlich kein Wunder sind. Daher bleibt als Zwischenfazit wohl nur, dass nach "Inventing Anna" niemand die Wahrheit kennt, vermutlich die Protagonisten selbst noch nicht mal.
Die treibende Kraft der Serie ist wie erwähnt Vivian, eine Journalistin durch und durch. Hier haben wir nicht nur eine Frau, die die Wahrheit aufdecken will, um Unrecht aufzudecken, sondern wir haben vor allem eine Frau, die mit dem Ergebnis die ganz große Karriere machen will. In diesem Sinne ist sie auf jeden Fall ein hervorragendes Gegenstück zu Anna (hier dargestellt von Julia Garner), denn beide wollen mit allen Mitteln etwas erreichen. Auch wenn Chlumsky Vivian sehr sympathisch spielt, muss man sich das wirklich immer wieder vor Augen führen, auch weil sie im Gegensatz zu Anna natürlich dennoch sehr brav wirkt. Dennoch wird über neun Episoden hinweg gezeigt, wie sich Vivian überall einmischt, ohne Grenzen zu beachten. Sie läuft natürlich oftmals auch Türen ein, weil wer würde seinen Namen nicht gerne mal in der Zeitung stehen sehen? Dennoch wird immer wieder deutlich, dass Vivian ein gefährliches Spiel spielt, wenn sie das Leben ihres ungeborenen Kindes gefährdet oder wenn sie bei Annas Familie einfach das Privatgrundstück betritt und dann auch noch Vorwürfe gegen Vater Vadim (Peter Kurth) und Mutter (Aglaia Szyszkowitz) wagt, obwohl sie selbst ihr Baby gerade bei seinem Vater Jack (Anders Holm) zurücklässt. Aber ich finde es gut, dass Vivian so eine ambivalente Figur ist, die man gerne in den Arm nehmen würde, wenn Anna sie als fett und hässlich beschimpft, aber die man gerne auch mal für ein Wörtchen zur Seite nehmen würde, wie sie ihren Mann stellenweise behandelt. Diese Ambivalenz bei einer der zentralen Figuren sorgt aber auch dafür, dass alles relativiert wird, denn "Inventing Anna" geht es nicht darum, von 'guten' und 'bösen' Menschen zu erzählen, sondern einfach nur von Menschen. In diesem Sinne erleben wir auch mit, wie Vivian sich zunächst alles von Anna gefallen lässt, weil sie ihr Mittel zum Zweck ist. Als sie ihren (für sich) großartigen Artikel fertig hat, erkennt sie aber auch, dass sie möglicherweise Annas Schicksal erheblich mitbeeinflusst hat und das wird ihr dann doch zu heiß. Gerade in den letzten beiden Episoden wird dann eindrücklich gezeigt, wie sie und auch Annas Anwalt Todd (Arian Moayed) in einen Sog kommen, wo sie vor allem nur noch das Opfer in Anna sehen und alles dafür geben, dass sie mit einem Freispruch davonkommt. Sind sie damit einfach nur weitere Figuren, die in Annas Falle getappt sind? Das Bild wird sich wohl jede*r selbst machen müssen, aber vielleicht ist es auch einfach nur ein Stilmittel, dass jede Geschichte mindestens zwei Seiten hat.
Da nun schon immer und immer wieder von Anna berichtet wurde, soll es nun auch um sie gehen und das ist wohl der größte Streitpunkt der Serie in der Öffentlichkeit, da es zentral um ihre Darstellung geht. Anna wird schon seit der Veröffentlichung des Artikels von vielen gefeiert, stellenweise sogar als Robin Hood bezeichnet, wobei wir uns hier wohl schnell einig werden, dass das völliger Blödsinn ist, denn mir ist nicht bekannt, dass der englische Balladenheld andere ausgenommen hat, um sich selbst zu bereichern und Selbstlosigkeit sucht man bei Anna wahrlich vergeblich. An anderer Stelle wird gelobt, dass sie die New Yorker High Society vorgeführt hat. Ja, das ist wohl wahr. Aber zu welchem Zweck? Sicherlich nicht um ein System zu Fall zu bringen, sondern um selbst dazu zu gehören. In diesem Sinne kann ich wahrlich keine Heldin erkennen und dennoch kann man (und speziell ich) durchaus Respekt empfinden, denn sie hat dieses Spielchen vier Jahre durchziehen können, was einerseits für die Oberflächlichkeit der Gesellschaft spricht, deren Teil sie so unbedingt sein wollte und was andererseits für ihre Intelligenz und ihr Geschick spricht. Dennoch hat es bei diesen Spielchen zahlrieche Schachfiguren gegeben, die lange nicht kapiert haben, dass sie auf einem Brett hin und her bewegt werden und die darf man natürlich ebenfalls nicht aus den Augen lassen. Eine schwerreiche Nora Radford (Kate Burton) ist ja nicht weniger Opfer, nur weil sie mit Geld um sich schmeißen kann. In diesem Sinne appelliert die Serie auch an den jeweils eigenen moralischen Kompass. Tendenziell halte ich immer zum Underdog, doch das kann bei "Inventing Anna" nicht die Lösung sein, weil die Erzählung auch zu vielschichtig ist. An dieser Stelle kommt dann auch die Erzählweise ins Spiel, die meiner Meinung nach zwischen Geschick und Missgeschick pendelt.
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Jede Episode wird via Untertitel einer speziellen Perspektive zugeordnet, was zunächst mal eine gute Idee ist, da es eben auch die Recherchen von Vivian widerspiegelt, die sich nach und nach Richtung 'Wahrheit' gehangelt hat. Jedoch ist die Erzählweise nicht richtig stringent, da gerade in den ersten Episoden die Schicksale von Nora, Val (James Cusati-Moyer) und Chase (Saamer Usmani) auch sehr eng zusammenhingen. Aber nicht nur zwischen ihnen wechselte es munter hin oder her, sondern auch die Perspektive von Anna ist immer wieder zentral in den Fokus gerückt. Das finde ich an dieser Stelle so suspekt, weil schließlich immer wieder deutlich gemacht wird, dass Anna selbst Vivian nicht viel erzählt hat und wenn doch, dann war es immer nur ihre eigene 'Wahrheit', die mit keinerlei Fakten zu belegen gewesen ist. Dennoch zeigen die Episoden eine Art 'Wahrheit', denn auch wenn es gerade um Vals oder Noras Seite der Geschichte ging, dann war Anna dennoch alleine in Szenen zu sehen, was in dieser Perspektivierung gar nicht hätte möglich sein dürfen. Und an dieser Stelle wird es dann gefährlich, denn diese Sequenzen können nur aus den anderen Geschichten abgeleitet sind, können aber nicht dem entsprechen, was Anna selbst geteilt hat, denn damit hätte sie nur ihre eigene Mär zerstört. Dementsprechend schwebt die Frage im Raum: Was soll man damit jetzt anfangen? Deswegen finde ich auch den gelegentlich gelesenen Vorwurf nachvollziehbar, dass "Inventing Anna" Mitleid mit seiner Titelträgerin erregt. Damit sind wir genau am zentralen Knackpunkt der Serie, denn zu was hat sich "Inventing Anna" verpflichtet? Das wird meiner Meinung nach nicht deutlich. Natürlich ist die Serie nicht durchgehend mitleiderregend, weil ihr Verhalten manchmal nur schwer zu ertragen ist, gerade später wenn es um Rachel (Katie Lowes) geht, die sich auch an der Klage beteiligt hat, weil ihre Firmenkarte um einen hohen Betrag belastet worden ist. Anna hat ihre Freundin dazu nicht gezwungen, aber es grenzte fast an Psychoterror, wie sie sich in Marokko rausgehalten und unbeteiligt gegeben hat, während die Reisegruppe ins Schwitzen geraten ist und eine Lösung finden musste. Im Prozess wird Rachel dann von Todd vorgeführt, weil sie ihre Geschichte nach Vivians Artikel selbst verkauft hat und dadurch einen großen Gewinn erzielt hat. Aber wertet Geld immer auf? Gerade dann, wenn Rachel offenbar monatelang unter psychischem Druck stand, wie sie das ihrem Arbeitgeber erklären sollte? Bei solchen Momenten ist ganz deutlich zu merken, dass zwar an Annas Taten nichts beschönigt werden soll, dass aber umgekehrt auch immer wieder der Eindruck vermittelt werden soll, dass sich ihre 'Opfer' ihr Schicksal selbst verdient haben. Und dann kommt hinzu, dass sich gerade zum Ende der Serie hin die Szenen häufen, wo Erklärungsversuche geliefert werden. Das stärkt zwar weiterhin das Bild, dass kein schwarz-weiß gezeichnet werden soll, aber spätestens hier muss man sich doch immer wieder die Fiktion in den Kopf rufen, was dann doch auch leicht gelingt, weil Anna scheinbar wirklich sehr intelligent ist, aber doch eine einzige Fiktion ist, ob nun als Delvey oder als Sorokina ist dann auch egal.
Abseits des schwierigen Spagats zwischen Fiktion und Realität sind zahlreiche schauspielerische Leistungen zu loben. Allen voran natürlich Julia Garner, wegen der "Ozark" jetzt definitiv wieder weiter oben auf meiner Liste steht, denn sie muss mit Anna ja wirklich zig Figuren in einer spielen und das macht sie mit einer Leichtigkeit. Aber auch Chlumsky und Lowes spielen einnehmend. Besonders herrlich war auch der Kollegenkreis von Vivian, die aus einer etwas gesetzteren Altersgruppe bestand, die ganz wunderbar von Anna Deavere Smith, Jeff Perry und Terry Kinney gespielt wurden. Gerade durch sie, die definitiv für den Humor zuständig waren, habe ich dann auch eine typische Shondaland-Produktion für mich erkennen können. Im Gegensatz zur guten schauspielerischen Präsentation ist mir "Inventing Anna" aber etwas zu lang geworden, was auch daran liegen mag, dass sie mich abseits des Sehens so sehr beschäftigt hat, dass es dadurch langatmig geworden sein könnte. Aber die Episoden an sich haben immer schon eine enorme Länge und das dann gleich neunmal, das ist wirklich nicht wenig. Zudem gab es genug Ansätze, wo man die Geschichte noch etwas hätte zusammenstreichen können, da auch nicht alle Perspektiven gleich überzeugend waren. Auch wenn ich Laverne Cox als Schauspielerin auch sehr bewundere, so war ihre Rolle Kacy für die Geschichte nicht vom entscheidenden Wert, wogegen Neff (Alexis Floyd) wiederum sehr wichtig war, weil sie eben die treuste von allen war. Zuletzt will ich noch hervorheben, dass es eine US-amerikanische Produktion doch tatsächlich geschafft hat, deutsche Schauspieler*innen für deutsche Rollen zu finden, so dass Vivians Ausflug nach Eschweiler tatsächlich authentisch gelungen ist. Einzig die mehrfache Rassismus-Keule war etwas unnötig, gerade wenn sie aus den USA kommend geschwungen wird. Nicht, dass es nicht stimmen würde, aber in New York spielend war das so gar nicht ein Thema.
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Fazit
"Inventing Anna" ist sicherlich die kontroverseste Miniserie, die Netflix bislang produziert hat. Schauspielerisch ist sie wirklich sehr überzeugend inszeniert worden, aber schon bei der Erzählstilistik und der Länge der Serie sind Probleme zu erkennen. Gerade die Erzählweise der Serie lässt die Kontroversen zu, die nun rund um die Serie kursieren. Das bringt natürlich PR, aber das muss nicht nur Gewinn sein. Lobenswert ist wiederum, dass es an keiner Stelle eine einseitige Darstellung gibt und dass jede*r seinen Moralkompass für sich justieren muss. Alles in allem ist "Inventing Anna" sicherlich empfehlenswert, aber ich ergänze gerne, dass man sich doch rund um diese wahre Geschichte, die hier fiktiv aufgearbeitet wird, gut informieren sollte, denn manchmal verwischen die Grenzen zu sehr.
Die Serie "Inventing Anna" ansehen:
Lena Donth - myFanbase
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