Sex Education - Review Staffel 4

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Sex Education
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Ganze zwei Jahre mussten wir auf die neue Staffel von "Sex Education" warten. Dafür mögen zum einen diverse Krisen auf dieser Welt verantwortlich sein, aber aus positiver Sicht hat dazu zum anderen auch beigetragen, dass sich viele aus dem Cast inzwischen einen Namen gemacht haben und daher immer mehr gebucht werden, was Dreharbeiten für die Koordination immer schwieriger machten. Dementsprechend kann man auf jeden Fall nur loben, dass Netflix und das Produktionsteam rechtzeitig entschieden haben, dass die vierte Staffel auch die letzte sein wird, um eben kontrolliert einen Schlusspunkt setzen zu können, der der Serie gerecht wird. Aber natürlich sind finale Staffeln immer eine Sache für sich, von daher: hat "Sex Education" das zufriedenstellend hinbekommen?

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Insgesamt lasse ich diese Staffel und damit glücklicherweise auch die ganze Serie positiv gehen. Dennoch ist in diesem Finale nicht alles gelungen, was ich in den wichtigsten Aspekten auch gerne gleich am Anfang anspreche. "Sex Education" hat für mich sicherlich auch immer durch das Miteinander funktioniert und das kam eben vor allem durch die Moordale High School zustande. Nun ist in Staffel 4 vieles anders. Wir haben das neue Cavendish-College, an dem die Uhren völlig anders ticken, wir haben aber vor allem auch viele separierte Schauplätze auf einmal. Klar, das mit Maeve (Emma Mackey) in den USA musste durchgezogen werden, weil sonst hätte man sich die gesamte Handlung für sie in Staffel 3 sparen können. Und ich finde auch, sie in der Mitte wieder nach England zu holen, fühlt sich auch organisch an, der Spagat hat also funktioniert. Dennoch war es ein eigener Schauplatz. Dann haben wir auch noch Adam (Connor Swindells), der die Schule für sich beendet erklärt hat und stattdessen nach einer Ausbildung sucht, die er auf einem Bauernhof findet. Auch hier will ich später noch inhaltlich mehr ins Detail gehen, aber erstmal wieder eigener Schauplatz. Letztlich haben wir dann noch Jean (Gillian Anderson), die mit dem College auch gar nichts mehr zu tun hat und zuhause mit ihrer Schwester Joanna (Lisa McGrillis) ein eigenes Süppchen kocht. Auch wenn all diese Geschichten für sich gesehen etwas erreicht haben, was sehr wichtig war, so habe ich doch oft genug gehadert, dass es nicht mehr Handlungen gab, wo wirklich alles unter einen Hut bekommen wurde. Gerade für eine finale Staffel hätte ich mir das als Zwischenziel unbedingt auf die Fahne geschrieben.

Foto: Alistair Petrie & Conor Swindells, Sex Education - Copyright: 2023 Netflix, Inc.; Samuel Taylor/Netflix
Alistair Petrie & Conor Swindells, Sex Education
© 2023 Netflix, Inc.; Samuel Taylor/Netflix

Dazu bringt die neue Schule auch viele neue Figuren mit sich. Das ist für eine finale Staffel auch nicht unbedingt ein Ideal, denn neue Figuren brauchen eigene Geschichten und in einen dann ohnehin schon aufgeblasenen Cast, da gehen manche Charaktere einfach etwas über die Wupper. Bestes Beispiel: Jackson (Kedar Williams-Stirling) und Viv (Chinenye Ezeudu). Er immerhin Hauptfigur der ersten Stunde, sie immer wichtiger geworden und beide sind trotz derselben Schule mit den anderen oft außen vor. Mit Gesundheitssorgen, Fragen nach der eigenen Identität und toxischen Beziehungen haben beide auch wichtige Themen, aber es wirkte nicht wirklich natürlich integriert, sondern eher so, als hätten noch ein paar Boxen abgehakt werden müssen. Aber wenigstens ist ihre Freundschaft untereinander wirklich eine schöne Sache. Ansonsten habe ich aber keine großen Sachen mehr zu meckern, denn ich finde, dass gerade bei den Figuren, die immer schon mehr im Zentrum standen, noch einmal richtig gute und wichtige Sachen erzählt wurden. Im Grunde hat da bei vielem auch die neue Schule geholfen. Diese ist nun einmal das völlige Gegenteil zur Moordale und damit eigentlich doch automatisch gut, oder? Eben nicht. Und das finde ich als Botschaft auch so wichtig, wir können als Gesellschaft noch so inklusiv, noch so queer, noch so freundlich sein, wir müssen uns auch jeden Tag wieder neu dafür entscheiden und danach leben und handeln. Es ist eben noch (lange) keine Selbstverständlichkeit, sondern eben ein bewusstes Ja-Sagen.

Die Groffs bekommen quasi einen friedlichen Familienabschluss geschenkt. Adam geht seiner Liebe für Tiere nach und geht auf dem Bauernhof so nach und nach in einer Art auf, die im starren Schulsystem wohl nie für ihn möglich gewesen wäre. Mit Vater Michael (Alistair Petrie) ist nicht von heute auf Morgen alles gut, aber ich fand, dass man die Entwicklung schon deutlich gesehen hat. Er konnte Rückfälle schneller einsehen und war auch früher dazu geneigt, Lösungen zu finden. Spätestens dann der Moment im Finale, der hat mich wirklich im besten Sinne kalt erwischt, denn das Geständnis von Mr. Groff war herzzerreißend und hoffnungsstiftend in einem. Vor allem eben, weil Adam die generelle Kritik mit seiner Sexualität in Verbindung gebracht hat und dadurch viel Scham empfunden hat. Indem er sich eben mehr der Liebe seiner Eltern für sich selbst sicher sein konnte, konnte er da noch einen wichtigen Schritt gehen und sich Jem (Bella Maclean) öffnen. Ja, was für eine dysfunktionale Familie, aber eben auch eine, die langsam gelernt hat, den Rucksack gemeinsam zu schultern, aber es braucht eben seine Zeit… Aimee (Aimee Lou Wood) wiederum hat auch ein Stück inneren Frieden gefunden und auch hier führte die Lösung über Selbstliebe. Während Aimee vielleicht nie an Maeve zweifeln mussten, ist sie aber ansonsten von den Menschen in ihrem Leben oft in eine Ecke geschoben wurde, wo deutlich an ihrer Intelligenz und emotionaler Reife gezweifelt wurde. Dementsprechend war die erste Begegnung mit Isaac (George Robinson) in einem ganz privaten Rahmen wirklich unglücklich, aber wir als Zuschauer*innen wissen eben, Aimee ist so einfach und hinter ihren verbalen Fettnäpfchen steckt nicht ein Funken Boshaftigkeit. Naivität, ja, aber vor allem auch Unsicherheit, weil sie ihr gutes Herz nicht immer einfach ausleben darf. Diese Lektion lernt dann auch Isaac und es ist wirklich eine gute Lösung, diese beiden Figuren zusammenzubringen. Sie sind eben beide in fiese Schubladen gepackt und haben erkannt, dass sie den Schrank drum herum abbauen können, um dann wirklich einander zu sehen. Aimee hat dann im enormen Maß davon profitiert, weil sie eine gewaltige Portion Spuk resultierend aus dem sexuellen Missbrauch verarbeiten konnte und damit eine Art Schlussstrich gezogen hat, der ihr sehr gut tun wird.

Foto: Ncuti Gatwa, Sex Education - Copyright: 2023 Netflix, Inc.; Samuel Taylor/Netflix
Ncuti Gatwa, Sex Education
© 2023 Netflix, Inc.; Samuel Taylor/Netflix

Eric (Ncuti Gatwa) ist sicherlich die Figur mit der Geschichte in dieser Staffel, die mir am vertrautesten vorkam. Ich fand die Umsetzung mit Jodie Turner-Smith als Gott zwar etwas übertrieben, aber lassen wir es als Ausgeburt von Erics Phantasie stehen und die ist nun mal wilder. Aber seine Glaubenskrise war mir sehr vertraut. Der Ursprung mag bei uns in verschiedenen Aspekten liegen, aber am Ende geht es eben darum, dass eine Gemeinde, die nichts von den Werten ausstrahlt, die man aus dem Glauben zieht, nicht als Gemeinde tragbar ist. Und dann steht man eben oft vor der Frage: was ist Glaube ohne Gemeinde/Gemeinschaft oder noch allgemeiner: gibt es einen Glauben ohne Kirche? Ich habe Erics inneren Kampf da sehr gut nachvollziehen können und egal, auf welchem Wege er am Ende seine Eingebung hatte, ich finde es einen schönen Gedanken, dass man eben auch ohne starres Korsett immer ein Bote des eigenen Glaubens sein kann und er war das dann auch für Cal (Dua Saleh). Die beiden sind wirklich genau im richtigen Moment aufeinandergetroffen. Eric musste Cal nicht retten, indem er si*em mit hohlen Glaubenssätzen belabert hat, sondern indem er einfach für ihn das getan hat, was er durch seinen Glauben ist. Insgesamt wird Eric sowieso die Figur sein, die ich am meisten vermissen werde. Gatwa hat diese Rolle so unfassbar großartig gespielt und mir Freude und Tränen gleichermaßen über vier Staffeln geschenkt. Zudem bleibt auch Erics Freundschaft zu Otis (Asa Butterfield) für mich kostbar, auch wenn die beiden noch einmal auseinandergetrieben wurden, aber von allen Beziehungen, die uns in der Zeit geboten wurden, die beiden auseinander hat immer am meisten wehgetan. Dazu noch ein paar Worte zu Cal. Cals Geschichte in dieser finalen Staffel war sicherlich die aufwühlendeste. Als transsexuelle Person sich genau in diesem Schwebezustand zwischen zwei Ichs zu befinden, das kann nicht einfach sein, auch weil der Anker und die Orientierung fehlt. Die Geschichte wurde wirklich zufriedenstellend sensibel präsentiert.

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Sensibilität und Tiefgang gab es dann auch noch bei dem Rest zu feiern. Auch wenn ich den Humor immer auch in guter Erinnerung behalten werde, ich war immer dann besonders glücklich mit "Sex Education", wenn man sich auch die ruhigen Momente genommen hat, um sie voll auszuleben. Bei Jean haben wir es dieses Mal mit einer postnatalen Depression zu tun, die auch besonders schwer wiegt, weil wir durch davor wissen, was das damals auch Otis angetan hat, als Jean erstmals in die Knie gegangen ist. Nun mit zwei Kindern war nur umso logischer, wie verbissen sie sich dagegen gewehrt hat, sich ihre Erkrankung einzugestehen, vor allem wenn dann noch Schwester Jo um sie herumschwirrt, die zeitlebens durch den Missbrauch des Freundes ihrer gemeinsamen Mutter gelitten hat und deswegen nie sesshaft bei einer Person oder an einem Ort werden konnte. Dazu dann eben noch die Konflikte mit Otis, obwohl Jean eigentlich immer eine großartige Ratgeberin ist, und das Fiasko ist perfekt. Ich muss aber auch sagen, dass es ein wirklich anstrengender Otis in dieser Staffel war. Klar, er war viel mit Maeve beschäftigt und hat sich dann im privaten Wettstreit mit O (Thaddea Graham) aufgerieben, aber es war teilweise verrückt, wie er sein konnte, wenn er seine Kunden in der Sexklinik hatte, weil da war er immer die beste Vision seiner selbst und sobald es um eine private Verbindung geht, da hat er seine besten Ratschläge fleißig in den Wind geschlagen und Menschen verletzt. Mit seiner Mutter, mit Maeve, mit O, mit Eric und Ruby (Mimi Keene) war die Liste ganz schön lang. Aber sie brauchen zum Glück alle Otis nicht, um ihren Weg wieder zu finden. Auch wenn O für mich ein ebenso ambivalenter Charakter wie Otis ist, ich fand, dass sie eine wichtige Funktion in dieser Staffel übernommen hat. Auch wenn sie wirklich aus jedem Gespräch eine Therapie gemacht hat, sie hat sehr, sehr viele Wahrheiten gesagt, für Jean, für Otis und für viele andere. Und selbst Ruby ist indirekt dank ihr noch zur Heldin geworden. Aber gut, dass eine gewisse Arroganz ihr wohl nie ganz ausgetrieben wird, denn so haben wir sie schließlich kennengelernt.

Foto: Emma Mackey, Sex Education - Copyright: 2022 Netflix, Inc.; Thomas Woods/Netflix
Emma Mackey, Sex Education
© 2022 Netflix, Inc.; Thomas Woods/Netflix

Emotionaler Höhepunkt war aber sicherlich der unerwartete Tod von Erin Wiley. Wobei unerwartet? Nun gut, als Drogenjunkie immer eine Option, aber wirklich einzuplanen war das sicherlich nicht. Aber es war eine verdammt starke Storyline, die Maeve eben zum einen wieder in die englische Provinz geholt und zum anderen sie im denkbar ungünstigsten Punkt trifft, weil sie auf eine Art endlich ihre Flügel ausbreiten konnte. Mackey ist eine tolle Schauspielerin und das hat sie mit dieser Abschlussstaffel noch einmal toll unter Beweis gestellt. Die Szenen, als sie vom Tod erfährt und dann verbissen das Kreuzworträtsel löst, die ganze Beerdigungsepisode und dann später noch das Gespräch mit Jean, da war ganz viel tolles Material dabei. Die Episode mit der Trauerfeier war sowieso eigentlich der größte Höhepunkt, eben weil hier die meisten Ursprungscharaktere zusammengekommen sind, um Maeve bei dem schweren Abschied zu helfen. So kam es auch zu einem ganz wichtigen Gespräch zwischen Eric und Adam, das diesen beiden einen friedvollen Abschied gegeben hat. Endgültig perfekt für Tränen fließen lassen war dann natürlich die Gesangseinlage aller Anwesenden. Das ist mit einer DER besten Serienmomente für mich, ohne Frage. Otis ist bei all dem sehr als Freund bemüht und man kann ihm wirklich nicht viel vorwerfen an dieser Stelle, aber ich weiß nicht, ob er an den Punkt gekommen wäre, Maeve selbständig ziehen zu lassen. Er hat es im Nachhinein erkennen können, aber davor wäre er wohl zu lange egoistisch geblieben. Jetzt könnte man natürlich sagen: wie? "Sex Education" endet nicht mit Maeve und Otis zusammen? Das fand ich aber gar nicht schlimm. Denn die Zukunft ist nicht erzählt und alle können sich da nun ihre eigene Version denken, aber es war für den Moment richtig, dass Maeves Zukunft woanders liegt, keinesfalls in Moordale. Deswegen ist es am Ende auch kein wirklich perfekt rundes Ende, weil beispielsweise auch Cals Situation in der Schwebe bleibt, aber der Brief von Maeve an Otis war dennoch eine passende letzte Idee. Die Serie war zwar nicht nur die Sexklinik, aber es ist schon richtig: Otis war der Ursprung dieser Serie und er hat bei wirklich allen Figuren und bei allen Zuschauer*innen ein Teil von sich selbst gelassen und das ist stellvertretend für die gesamte Serie zu sehen.

Die Serie "Sex Education" ansehen:

Fazit

"Sex Education" bietet keine perfekte finale Staffel, denn zu viele verschiedene Schauplätze, zig neue Charaktere und kein echtes Abschiedsfeeling am Ende sind nicht die besten Voraussetzungen. Dennoch sind vor allem bei den ursprünglichen Charakteren der Serie noch einmal richtig intensive und passende Handlungen erzählt worden. Mit Lachen und Weinen, wie in jeder Staffel, wurde ich also entlassen sowie mit tollen Botschaften. Denn am Ende wurden wir nicht nur über Sex aufgeklärt, sondern über so viel mehr und das Gelernte können wir in die weite Welt hinaustragen, die kann das gebrauchen.

Lena Donth – myFanbase

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