Tote Mädchen lügen nicht - Review, Staffel 3
Meine Vorfreude auf die dritte Staffel der viel diskutierten Serie "Tote Mädchen lügen nicht" war sehr gering, da die zweite Staffel nach dieser intensiven und inhaltlich bedrückenden ersten Staffel, die sogar viele Buchkenner zufrieden gestellt hat, eher unnötig war. Mit Staffel 1 war alles gesagt und alles Nachfolgende ohne Buchverlage ist in meinen Augen nur künstliche Verlängerung und Ausnutzen eines medialen Hypes, der sich in Geld ummünzen lässt. Aber gerade diese pessimistische Grundeinstellung hat meiner Bewertung der dritten Staffel vielleicht sogar gut getan, denn Großes habe ich definitiv nicht mehr erwartet.
Schon früh hat Netflix durch Promos bekannt gegeben, dass Hassfigur Nummer 1, Bryce Walker (Justin Prentice), getötet wird und dass die zentrale Frage der Staffel sein wird, wer sein Mörder ist. Diese Grundidee fand ich von Anfang an sehr vielversprechend, weil es Raum gibt, sich von Hannah Baker und damit auch von Katherine Langford zu lösen, die nun endgültig nicht mehr Teil der Serie sind. Ihre Geschichte und ihr Leid standen lange genug im Fokus und werden die Serie auch für immer entscheidend prägen, aber dennoch ist dieser neue Fokus alleine aus Gründen der Langeweile gerne gesehen. Zwar erinnert man mit der Fragestellung nun sehr an "Pretty Little Liars" und "Wer ist A?", aber dennoch behält "Tote Mädchen lügen nicht" seinen ganz eigenen Stil bei und verleibt die Inspiration an eine andere Teenieserie einfach ein.
© David Moir/Netflix
Mit Hannahs Weggang ist der Platz für eine neue Erzählstimme frei und statt eine bekannte Figur mit dieser neuen Rolle zu betrauen, wagen die Serienschöpfer ein Risiko und führen eine neue Figur namens Ani Achola (Grace Saif) ein, die uns fortan mit ihrer Stimme und ihrer Sichtweise auf die Dinge durch die Geschehnisse begleitet. Das Wagnis war alleine schon da, weil bei neuen Figuren immer die Frage ist, ob sie bei den Fans ankommen und ob sie sich gut in ein eingespieltes Schauspielensemble einfügen können. Mein abschließendes Urteil fällt sehr zwiespältig aus. Auf der einen Seite hatte ich das Gefühl, dass sich Ani schnell in das Geschehen eingefügt hat, weil sie viele Interaktionen mit allen Figuren erhalten hat und so eben als das Teil des Ganzen inszeniert wurde. Auf der anderen Seite fand ich aber die Darstellung ihrer Persönlichkeit unzureichend. Obwohl wir alles durch ihre Sichtweise präsentiert bekommen, würde es mir schwerfallen, nun eine Einschätzung zu ihrer Figur abzugeben. "Wer ist Ani?" könnte ich nach 13 Stunden mit ihr definitiv nicht beantworten. Einerseits wirkt sie unheimlich herzlich, mitfühlend und loyal, aber auf der anderen Seite erleben wir ständig, wie sie lügt und manipuliert. Auch ihre Beziehung zu Bryce ist natürlich aufgrund seiner Vergangenheit extrem brisant, aber auch hier werden ihre Motive und ihre wahren Gefühle nicht einmal aufs Silbertablett gelegt. Abschließend bleibt für mich daher die Frage, was genau mit ihr eigentlich bezweckt werden sollte und ob es sie überhaupt gebraucht hätte.
Stringent bleibt man auch in anderen Erzählelementen. Nach wie vor haben wir es mit verschiedenen Zeitebenen zu tun, diesmal die Geschehnisse nach dem Schulball, die Vorkommnisse während des Homecoming-Spiels und eben die Gegenwart mit Bryces Ermordung und dazwischen wird munter hin- und hergesprungen. Teilweise sind die Zeitachsen so fließend ineinander montiert, dass man erst nach einigen Sekunden feststellt, dass wir die Zeitebene gewechselt haben. Das Schauen erfordert also hohe Konzentration, zumal man sich gerade in der ersten Episode echt zurechtfinden muss, weil vieles für den Verlauf der gesamten Staffel angedeutet wird. Aber je länger die Staffel geht, desto leichter fällt es, die einzelnen Ebenen auseinanderzuhalten, denn immer mehr erkennt man auch unterschiedliche Farbstile.
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Staffel 1 hat sich inhaltlich durch die Kassetten gliedern lassen, Staffel 2 durch die jeweiligen Zeugenbefragungen. Staffel 3 nun müht sich auch, so ein Schema zu installieren, jedoch gelingt dies nur bedingt. Während die ersten Episoden noch alle Mysterien auf den Tisch bringen, widmen sich die anschließenden Folgen jeweils einer oder zwei Personen, die möglicherweise Bryce umgebracht haben könnte. Diese Idee ist grundlegend gut, weil man sich wieder intensiv auf die einzelnen Figuren konzentrieren kann, aber wenn Monty de la Cruz (Timothy Granaderos), Justin Foley (Brandon Flynn) oder Clay Jensen (Dylan Minnette) zum dritten Mal als mögliche Täter aufgeworfen werden, dann wirkt diese Idee irgendwann ausgeleiert. Möglicherweise hat diese Beobachtung aber damit zu tun, dass man die Staffel locker hätte verkürzen können. 13 ist offensichtlich die Lucky Number, aber dennoch sind gewisse Längen einfach nicht wegzudiskutieren. Daher musste man dann leider auch die Spannung um den Tathergang künstlich in die Länge ziehen, was gerade zum Ende der Staffel hin immer zäher wurde.
"Tote Mädchen lügen nicht" hat sich immer schon auf die Fahne geschrieben, dass es schonungslos die Themen anpackt, die die Jugendlichen von heute belasten. Auch in Staffel 3 ist dies wieder deutlich zu erkennen. Als ob man mit Vergewaltigung, Missbrauch, Drogensucht, Homosexualität etc. nicht schon genug aufgeboten hätte, kommt nun auch noch Deportation, Schwangerschaftsabbruch und BDSM hinzu. Zwar sind all diese Themen wieder eindrücklich und mitnehmend erzählt (vor allem der Schwangerschaftsabbruch!), aber dennoch hat diese Serie genug heftige Themen, die in allen Facetten ausgeleuchtet werden, so dass ich eher das Gefühl habe, dass die Autoren hier zu viel wollen. So als ob auch wirklich jedes Thema aufgeworfen werden muss, was einen Jugendlichen belasten könnte. Daher hat es mir auch deutlich besser gefallen, wenn wir mitverfolgen dürfen, wie Jessica Davis (Alisha Boe) und Tyler Down (Devin Druid) mit ihren Erlebnissen kämpfen und wie sie dann mit Freunden an ihrer Seite Mut finden weiterzumachen. Dort hat es einige wirklich ganz tolle Szenen gegeben, die auch jedem Betroffenen nur Gewissheit geben können, dass man niemals alleine ist.
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Abschließend gab es in meinen Augen noch zwei Aspekte, die mir in dieser Staffel besonders gefallen haben. Zum einen ist das die Perspektive, die uns auf Bryce geboten wird. Bereits zu Beginn dieser Review habe ich ihn als Hassfigur Nummer 1 bezeichnet, da wir eindimensional seine fiesen Seiten präsentiert bekommen haben. Diesmal nimmt man sich viel Zeit, damit wir als Zuschauer in seine Birne hineinsehen können und die dadurch entstehende intensive Charakterbeschreibung hat mich sehr fesseln können. Ich bin kein großer Fan von Schwarz/Weiß-Figuren, von daher fand ich es hochinteressant, seine inneren Dämonen präsentiert zu bekommen. Bryce ist nicht auf einmal sympathisch, auch wenn es genug Szenen gibt, in denen man ihn wirklich gerne in den Arm nehmen würde (Kompliment an Prentices Schauspiel!), aber die Autoren achten doch sehr darauf, dass wir immer auch seine dunkle Seite im Kopf behalten. Dies zeigt einfach authentisch, dass eine Persönlichkeit nicht um 180° gedreht werden kann. Es braucht Zeit, wenn es denn überhaupt funktioniert. Aber Bryce wird nie herausfinden, wohin sein Weg letztlich geführt hätte.
Zum anderen hat mir die Auflösung um Bryces Mord gut gefallen. Zwar ist einiges bei diesem Mysterium etwas in die Länge gezogen worden, aber das Faszinierende war, dass es wirklich jeder der Jugendlichen hätte sein können. So blieb die Spannung bis zum Ende hoch. Die letztliche Auflösung ist logisch und ich fand es sehr interessant, wie anschließend ein Ausweg für das Dilemma gesucht wird. Zwar werden hier auch moralische Fragen aufgeworfen, aber "Tote Mädchen lügen nicht" will ja gar kein Saubermann-Image, von daher passt diese Ende wie die Faust aufs Auge. Staffel 3 endet fast in einem friedlichen Ton, was einen großen Kontrast zu den vorangegangenen Staffeln bildet. Dennoch gibt es bereits erste Hinweise auf den Inhalt von Staffel 4, die aber eher unaufdringlich sind, so dass sich die finale Staffel in alle Richtungen entwickeln kann.
Fazit
"Tote Mädchen lügen nicht" hat in seiner dritten Runde eindeutig den Vorteil, dass es viel schlimmer nach Staffel 2 nicht mehr ging und dass so die Erwartungen automatisch runtergeschraubt waren. Aber dennoch hat es inhaltlich gut getan, dass man eine neue Fragestellung "Wer hat Bryce getötet?" in den Fokus gestellt hat, da sich so wieder neue Entwicklungen entfalten konnte. Qualitativ macht die Serie durch eine intensive Figurenzeichnung einen Sprung nach vorne, aber dennoch kann man gewisse Längen nicht wegdiskutieren. Insgesamt würde ich für die dritte Staffel aber wieder eine Sehempfehlung aussprechen.
Lena Donth - myFanbase
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