Transparent - Review Staffel 1
Das Wort "transparent" kommt aus ursprünglich aus dem Mittellateinischen und setzt sich zusammen aus trans ("hindurch") und parere ("parieren"). Etwas, das transparent ist, das ist durchsichtig, Licht durchlässig, durchscheinend. Auf metaphorischer Ebene bedeutet transparent zudem, dass etwas nachvollziehbar und durchschaubar ist. Und dann kann man das Wort auch nochmal ganz anders interpretieren, nämlich als eine Kombination aus der Vorsilbe trans im Sinne von "Transgender" und parent, dem englischen (und letztlich wiederum aus dem Lateinischen stammenden) Wort für "Elternteil". Allein schon die Vielschichtigkeit des Titels deutet an, was Jill Soloway in Kollaboration mit den Amazon Studios hier auf die Beine gestellt hat: nämlich eine Dramedy, die es in nur zehn halbstündigen Episoden schafft, einen vollkommen in ihren Bann zu ziehen und sich selbst als eine der erfrischendsten neuen Familienserien der letzten Jahre zu präsentieren.
Der Name Jill Soloway dürfte so manch geneigtem Serienfan ein Begriff sein und er erklärt zum Teil auch, wieso "Transparent" scheinbar mühelos einen Grad von Authentizität und Komplexität erreicht, den manch andere Serie gar nie erlangt. Soloway war als Produzentin und Drehbuchautorin nämlich maßgeblich an "Six Feet Under" beteiligt, jener genialen HBO-Familienserie, die Anfang bis Mitte der 00er Jahre neue Maßstäbe setzte. So verwundert es einen kaum, dass sich auch "Transparent" nicht selten so ein bisschen wie "Six Feet Under" anfühlt, zugegebenermaßen etwas leichtfüßiger, da komödiantischer konzipiert, als ob man noch einen Schuss "Girls" und ein bisschen glitzernden trans-Esprit hinzugemischt hätte. Et voilà: Soloway erschafft mit "Transparent" einen faszinierenden Familienmikrokosmos mit vielschichtigen, interessanten und ziemlich verschrobenen Protagonisten, deren Beziehungen zueinander herrlich verkorkst sind und damit gleichzeitig sehr echt wirken.
Die Pfeffermans sind eine jüdische Akademikerfamilie bestehend aus – man kann es nicht anders sagen – fünf völlig selbstzentrierten Mitgliedern, die alle mit ihren persönlichen Problemen zu kämpfen haben und dabei oft das Leid ihrer Mitmenschen übersehen, ja sich gar nicht damit beschäftigen können, weil sie so mit sich selbst beschäftigt sind. Diese Selbstzentriertheit hält den Zuschauer aber nicht davon ab, sofortige Sympathie für diese Charaktere zu entwickeln, zum einen dank der hervorragenden Darstellung durch die Schauspieler, zum anderen dank der feinfühligen Charakterzeichnung Soloways. Anders, als es der Titel vielleicht vermuten lässt, ist der Fokus dabei gar nicht so stark auf Mort bzw. Maura Pfefferman gerichtet, sondern vielmehr auf die komplette Familie Pfefferman, ihre Krisen und Komplexe, ihre Streitereien und Versöhnungen. Vieles ist trans bei "Transparent": Es geht nicht nur um die Transformation von Mort zu Maura und die Transgenderszene, es geht vor allem auch um die Transformation und Entwicklung ihrer Kinder Sarah (Amy Landecker), Josh (Jay Duplass) und Ali (Gaby Hoffmann), und um das kraftraubende Durch- und Überqueren – den Transit, wenn man so will – eigener Grenzen und Verhaltensmustern.
Genau diesen ständigen individuellen Kampf, den jede/r einzelne Pfefferman mit sich und der Welt auszutragen hat, weiß Soloway ganz hervorragend in die Dramaturgie der Serie einzuweben. In "Transparent" passiert die meiste Zeit über de facto nicht viel. Der Plot tritt in den Hintergrund, was viel wichtiger ist, ist die Charakterentwicklung, eben jene Transformation (oder der Versuch dazu), die ihre Zeit und ihren Raum braucht. Ganz ausgezeichnet wird dies exemplifiziert an Morts Wandel zu Maura (eine Wucht: Jeffrey Tambor), den äußerlichen wie innerlichen Veränderungen, die zwar schrittweise erfolgen, jedoch radikal sind: Maura zieht aus ihrem Haus aus, um in der LGBT-Community zu wohnen, sie trägt andere Kleidung, schminkt sich, verhält sich anders, und vor allem, sie muss ihre neue Identität gegenüber ihren Kindern verständlich machen, die alle völlig unterschiedlich auf die Transformation ihres Vaters reagieren. Mauras Entwicklung ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Transparent-Machen ihres tatsächlichen Wesens (und das im Alter von fast 70 Jahren!), sowohl gegenüber sich selbst als auch gegenüber ihren Kindern.
Die Dynamik der Pfefferman-Geschwister ist ein weiterer unwahrscheinlich interessanter Aspekt bei "Transparent", denn Sarah, Josh und Ali könnten unterschiedlicher nicht sein, raufen sich in wichtigen Situationen aber doch immer wieder zusammen und haben trotz aller Differenzen eine enge Bande, die sie zusammenschweißt. Sarah, die Älteste der Geschwister, wirkt auf den ersten Blick ein bisschen wie die klischeehafte Vorzeigehausfrau, deren Ehe den Bach heruntergeht und die in ihrer Jugendliebe Tammy (Melora Hardin) einen Ausweg sieht – bald aber zeigt sich, dass Sarah trotz (oder vielleicht gar wegen) der Tatsache, dass sie von allen Pfefferman-Kindern das geregeltste Leben führt, am meisten Verständnis für den Identitätswandel ihres Vaters aufbringen kann, ja ihn geradezu als Inspiration sieht, um in ihrem eigenen Leben den nötigen Wandel zu vollziehen. Ali, die jüngste, hat hingegen noch etwas Schwierigkeiten, diesen Wandel zu verstehen, was nicht zuletzt daran liegt, dass sie sich ihrer eigenen Identität noch überhaupt nicht sicher ist. Josh, der mittlere Bruder, hat schließlich die größten Schwierigkeiten, seinen Vater nun als Maura zu akzeptieren und diese Neuigkeit wirft sein eh schon völlig turbulentes Leben total aus der Bahn.
Allein schon an den verschiedenen Reaktionen der Pfefferman-Kinder, von Akzeptanz bis zum totalen Unverständnis, zeigt sich, dass bei "Transparent" nichts geschönigt wird. Es ist nun mal nicht einfach, solch einen radikalen Identitätswandel des Vaters als dessen Kind zu verstehen, nicht wenn man den Vater jahrzehntelang als Mann kannte. Das ist letztlich nur menschlich. Und genau diese Menschlichkeit weiß "Transparent" wunderbar einzufangen. Die Serie zeigt das Leben, wie es ist – mit all seinen Unsicherheiten, Absurditäten und Problemen, die man sich oft auch selbst verschuldet in dem Versuch, es besser zu machen und sich irgendwie besser zu fühlen. Die Geschichten von Maura und seiner Ex-Frau Shelly (immer toll: Judith Light), sowie Sarah, Josh und Ali gehen einem unter die Haut, sie reißen einen mit, bringen einen oft auch zum Lachen und Kopfschütteln, aber vor allem zum Mitfühlen und zum Nachdenken.
Ist "Transparent" dabei immer politisch korrekt? Soll es das überhaupt sein? Ist die Serie die längst überfällige Behandlung der Gender-Thematik oder ist sie zu gewollt liberal, zu überzogen? Man muss sich selbst ein Bild machen und kann sich dann eine eigene Meinung darüber bilden. Wie auch immer diese ausfällt: "Transparent" ist eine wunderbar tragikomische Familienserie, die komplexe, sehr real wirkende Protagonisten ins Zentrum stellt, allesamt auf der Suche nach sich selbst, und die sämtliche interpretatorischen Facetten ihres Titels – Transformation, Transgender, Transit, alles im engsten Familienumfeld – in die Tat umsetzt. Ein kleines Juwel, auf dessen zweite Staffel man sich unbändig freuen darf.
Maria Gruber - myFanbase
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