Bewertung
Bong Joon-ho

Mother

"I did a terrible thing."

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Inhalt

Die überfürsorgliche Yun Hye-ja (Kim Hye-ja) lebt mit ihrem leicht geistig behinderten 27-jährigen Sohn Do-jun (Won Bin) zusammen, verkauft Getreide und behandelt die Frauen aus ihrem Ort mit Akupunktur. Der schüchterne Do-jun verbringt viel Zeit mit Jin-tae (Jin Ku), einem stadtbekannten Krawallmacher, was seiner Mutter gar nicht schmeckt. Sie ahnt jedoch nicht, dass ihrem Sohn, den sie so abgöttisch liebt, noch viel mehr Ungemach droht. Denn als eines Tages ein Mädchen aus der Oberschule auf einem Dach tot aufgefunden wird, gilt Do-jun plötzlich als Hauptverdächtiger für den Mord, hat er sich doch zum Tatzeitpunkt in der Nähe des Geschehens befunden und darüber hinaus auch noch einen von ihm signierten Golfball dort hinterlassen.

Die Polizei ist chronisch überfordert und akzeptiert die geringsten Indizien. So gelingt es ihr schließlich, den völlig verunsicherten Do-jun dazu zu bringen, ein Geständnis zu unterschreiben, das ihm eine langjährige Haftstrafe einbringt. Nachdem sich dann auch noch sein Anwalt als unzuverlässig herausstellt, schreitet seine Mutter Hye-ja zur Tat, um seine Unschuld zu beweisen. Doch auch sie kann nicht ahnen, welche Abgründe sich bei ihren eigenmächtigen Ermittlungen vor ihr auftun würden.

Kritik

Nach einem Kriminalfilm ("Memories of Murder") und einem Monsterfilm ("The Host") nun also ein Kriminalthriller. Bong Joon-ho, so scheint es, kehrt zu seinen Wurzeln zurück. Wenn man jedoch seine bisherigen Werke näher betrachtet, so ist der neben Park Chan-wook ("Lady Vengeance", "Oldboy", "Durst") wohl bekannteste südkoreanische Regisseur alles andere als jemand, der typische Genrefilme macht. Vielmehr sind seine Filme von einer Vielschichtigkeit geprägt, die auch nicht ausschließt, dass ein Monsterfilm wie "The Host" auch gleichzeitig knallharter Umweltthriller und aberwitzige Komödie sein kann. Und so ist auch sein neuestes Werk "Mother" lediglich auf den ersten Blick ein Kriminalthriller, auf den zweiten ist es vor allem ein Familien- und Charakterdrama mit einer prächtig aufgelegten Hauptdarstellerin und einer Brise lakonischem Humor.

Kim Hye-ja, bisher vor allem bekannt durch ihre Mutterrolle in südkoreanischen TV-Serien und –Filmen, gelingt es, die Rolle der Yun Hye-ja auf eine Art und Weise zu verkörpern, dass man teilweise nicht umhin kommt sich zu fragen, wieso sie bisher keinem breiteren Publikum außerhalb Asiens bekannt war. In Asien bekam sie für ihre Rolle neben unzähligen wohlwollenden Stimmen auch die wichtigsten Filmpreise. Der größte Pluspunkt ihrer Performance ist zweifelsohne, dass man ihr in ihrer Rolle jeden einzelnen Moment abnimmt, wieso sie sich so verhält, wie sie es eben tut. Sie ist angetrieben von Wut; Wut über die Demütigung, der sie und ihr Sohn seit einer gefühlten Ewigkeit ausgesetzt sind, über die Art und Weise, wie ihr Sohn seinem eigenen Verderben entgegen rennt und niemand ihm hilft, über die Unfähigkeit der Polizei, über die Gleichgültigkeit, mit der die gesamte Ortschaft stillschweigend die schockierendsten Missstände zu akzeptieren scheint.

Es wäre ein Leichtes gewesen, aus ihr eine furchtlose Frau zu machen, die nahezu mühelos den Fall um den Mord an dem Mädchen löst. Aber Hye-ja ist unsicher. Sie weiß nicht, wo sie beginnen soll. Sie rechnet nicht damit, dass der teuerste Anwalt aus dem Ort derart unfähig und desinteressiert ist. Sie ist getrieben von einer teils kindlichen Naivität in das Gute im Menschen, dass es nicht gerade selten herzzerreißend wirkt, wie ihre Erwartungen enttäuscht werden, immer und immer wieder. Man merkt, dass die Ermittlungen partout nicht ihre Welt sind, sie sich jedoch immer wieder dazu überwindet, um ihren Sohn zu retten. Sie ist keine typische Heldin in Form einer genialen Ermittlerin und auch nicht die beste Mutter der Welt. Man kann an ihr durchaus auch egoistische Charaktermerkmale festmachen. Am Ende ist sie vor allem eines – menschlich. Wenn sich nur mehr Filme mit ähnlicher Machart davon eine Scheibe abschnitten, würde man auch nicht so schnell abgeschreckt werden von ähnlichen Ausgangssituationen, die nur viel zu oft von diversen Regisseuren allzu vorhersehbar gelöst werden.

Denn eines ist der Film nie: vorhersehbar. Wie viele klassische Kriminalfilme entfaltet sich das Geschehen "scheibchenweise". Während der Ermittlung erhalten die Mutter und der Zuschauer neue Informationen, die wiederum zu einer neuen Spur führen, die wiederum neue Details preisgibt usw. Ist bei vielen Genrevertretern bereits nach kurzer Zeit klar, wer den Mord begangen hat, tappt man bei "Mother" nicht nur äußerst lange im Dunkeln, sondern wird auch noch mit einer sehr dichten Erzählweise konfrontiert, die ob all der interessanten Nebenaspekte manchmal gar den Hauptplot ein wenig in den Hintergrund rückt. "Mother" ist mehr als nur ein herkömmlicher Kriminalfilm, er ist gleichzeitig amüsante bis knallharte Satire, die auch mal das eigene Lachen erstickt, Sittenbild einer Ortschaft und wie diese mit dem Mord und dessen Begleitumständen umgeht, Charakterdrama einer äußerst vielschichtigen Frauenfigur, spannungsreicher Thriller und schockierender Horror in einem. Je weiter der Film voranschreitet, umso eher geht es daher auch um die Beziehung zwischen Mutter und Sohn. Die Crime-Aspekte fungieren vielmehr als Türöffner zu einer äußerst facettenreichen Welt denn als eigentlicher Hauptbestandteil.

Und wenn das alles nicht schon genug wäre, erinnert die Inszenierung in dem Bestreben, im Profanen das Bizarre zu suchen, stellenweise sogar an David Lynch. Ganz allgemein lässt sich die Art und Weise, wie Bong Joon-ho das Geschehen darbietet, als äußerst gelungen bezeichnen. Der Soundtrack ist größtenteils erfreulicherweise zurückhaltend, bei wichtigen Szenen gelingt gar der äußerst schwierige Spagat zur unaufdringlichen Omnipräsenz. Auch aus optischer Sicht wird so einiges geboten, besonders auffallend bei der Kameraarbeit, die sich immer wieder eher nach hinten als nach vorne orientiert und so für großartige weitläufige Aufnahmen sorgt, und sich zudem nicht davor scheut, auch damit verbunden unscharfe Bilder zu zeigen, die den Realismus stärken.

Fazit

Mit "Mother" ist es Bong Joon-ho einmal wieder gelungen, mit gängigen Konventionen zu brechen und einen Film abzuliefern, der nur auf den ersten Blick als Kriminalthriller bezeichnet werden kann. Schnell erzeugt er durch einen wilden Genremix einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann, und erzählt bis zum bitteren Ende die ergreifende Geschichte um eine Mutter, die alles für ihren Sohn tut, und dabei ihre Hauptdarstellerin zu Spitzenleistungen treibt.

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Andreas K. - myFanbase
04.12.2010

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