The Hour - Review

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Es war schon ein sehr effektiver Köder, den die PR-Abteilung von BBC Two den lechzenden "Mad Men"-Fans im Frühsommer 2011 hinwarf. Angepriesen als britisches Äquivalent zu Matthew Weiners Meisterwerk, sollte das zeitgeschichtliche neue BBC-Drama "The Hour" all jenen, die sehnsüchtig auf die fünfte "Mad Men"-Staffel warteten, qualitativ hochwertigen Ersatz bieten. Ein wenig irreführend war diese Marketingstrategie sicherlich, beschränken sich die Ähnlichkeiten der beiden Serien doch hauptsächlich auf das beeindruckende Kostüm- und Szenenbild sowie den wunderbar atmosphärischen Soundtrack. So richtig böse kann man der BBC aber trotz dieser Erkenntnis einfach nicht sein. Denn "The Hour" lieferte in seiner ersten Staffel in der Tat erstklassige Unterhaltung, die sich keinesfalls hinter britischem Understatement zu verstecken braucht.

"A new program, a new era."

Auf den ersten Blick ist "The Hour" eine Serie, die ihrem Publikum allem voran einen Einblick hinter die Kulissen des britischen Nachrichtenfernsehens zur Zeit des Kalten Krieges bietet. Und das allein wäre eigentlich schon wahrlich spannend und faszinierend genug. Doch so wie die Protagonisten von "The Hour" sich nicht mit Gewöhnlichem zufriedengeben wollen und vielmehr nach bahnbrechender Berichterstattung streben, so hat auch die Serie selbst offenbar weitaus größere Ambitionen als sich lediglich als simples Newsroom-Drama zu präsentieren. Denn zur Überraschung vieler Zuschauer werden schon im Piloten politisch gefärbte Thriller-Elemente in die Handlung eingestreut, die sogleich deutlich machen, dass die Vorab-Vergleiche der Serie vielmehr einer anderen AMC-Produktion gebührt hätten: dem Verschwörungsdrama "Rubicon". Tatsächlich erinnern die zahlreichen Beschattungs- und Verfolgungsszenen, die allgemeine Film Noir-Ästhetik der Serie und insbesondere die allgegenwärtige Präsenz von geheimnisvollen Kreuzworträtseln immer wieder an die Abenteuer von Will Travers. Doch auch dieser Vergleich hinkt ein wenig, da der teils regelrecht apathisch anmutende "Rubicon"-Protagonist mit Freddie Lyon, sozusagen dem Will Travers von "The Hour", kaum etwas gemeinsam hat. Denn Freddie ist impulsiv, forsch, aufsässig und unerbittlich – ein Provokateur und Unruhestifter, der nicht nur seinen Vorgesetzten immer wieder ein Dorn im Auge ist.

"You don't know what you've got yourself into. And now you know too much."

Was Starrkopf Freddie letztlich zum Dreh- und Angelpunkt der Serie macht und was ihn zusehends in einen Strudel korrupter Machenschaften verwickelt, weil er selbst dann noch weiterbohrt und -knobelt als sein Leben auf dem Spiel steht, ist interessanterweise weniger seine Leidenschaft für investigativen Journalismus an sich, als vielmehr sein ausgeprägter Sinn für Loyalität und Gerechtigkeit. Denn Dissident Freddie ist kein simpler "rebel without a cause", sondern ein von seiner Herkunft und Vergangenheit gezeichneter junger Mann, dem die Zukunft seines Landes sehr am Herzen liegt und der vor allem deshalb stets vehement für seine Ideale einsteht. So sind die Nachforschungen, die Freddie in zwei vertuschten Mordfällen anstellt, auch allem voran durch sein Versprechen an Kindheitsfreundin Ruth motiviert, die große Verschwörung dahinter aufzudecken. Pflicht- und Schuldgefühl gegenüber Ruth ist also das, was ihn letztlich in seinen Ermittlungen wirklich antreibt und was ihn im Endeffekt auch zur zentralen Identifikationsfigur für das Publikum macht. Denn auch wenn sich Freddie manchmal wie ein trotziges Kind verhält oder gar völlig kopflos agiert, wird einem als Zuschauer schnell klar, dass er ein mindestens genauso selbstloser wie selbstgerechter Mensch ist, der das Wohl seiner Familie und seiner Freunde stets über sein eigenes stellt. Die Tatsache, dass man dementsprechend auch einfach nicht umhin kommt, Freddie bereits im Piloten ganz fest in sein Herz zu schließen und bis zum Finale mit ihm mitzufiebern, ist zum Teil sicherlich auf Abi Morgans generell unwahrscheinlich geistreiche Charakterzeichnung zurückzuführen. Im Wesentlichen rührt die ungeheure Faszination, die Freddie ausübt, jedoch wohl eher von der famosen Leistung von Ben Whishaw, der seiner Figur durch nuanciertes und unheimlich charismatisches Schauspiel eine ganz eigene, unverwechselbare Stimme verleiht, die man in der Serienwelt fortan nicht mehr missen möchte.

"Ambition is like love, impatient both of delays and rivals."

Noch mehr Sympathie entwickelt man für Freddie – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes – angesichts seiner so komplizierten und scheinbar hoffnungslosen Beziehung zu Bel. Denn selbst ein Blinder ohne Krückstock sieht sofort, dass Bel für Freddie weit mehr als nur beste Freundin und Seelenverwandte ist, während sie selbst ihn eher als Bruder ansieht und romantische Gefühle für Hector hegt. Auf dem Papier klingt das wie eine klassische Dreiecksgeschichte über die Irrungen und Wirrungen der Liebe. Doch selbst wenn Parallelen zur 80er Jahre-Liebeskomödie "Broadcast News" sehr offensichtlich sind, wird schnell deutlich, dass "The Hour" in beziehungstechnischer Hinsicht weit mehr als bloß ausgelutschte RomCom-Klischees zu bieten hat. Was die Dreiecksbeziehung der drei Protagonisten in "The Hour" dabei so besonders macht, ist vor allem die Tatsache, wie erfrischend subtil und undramatisch sie inszeniert wird, indem man auf große Eifersuchtsdramen jeglicher Art weitestgehend verzichtet und stattdessen der Beziehung zwischen den beiden rivalisierenden Männern mit jeder Folge ein wenig mehr Tiefe verleiht. So weicht die anfängliche Animosität zwischen Hector und Freddy schon bald kleinen, aber feinen Bonding-Momenten, die von aufrichtigem Respekt füreinander geprägt sind. Und auch wenn man ganz genau weiß, dass Freddie zu Hectors Affäre mit Bel lediglich gute Miene zum bösen Spiel macht und Hector wiederum mit Argusaugen über Bels und Freddies Freundschaft wacht, ist die Art und Weise, wie die beiden trotz beruflich wie amourös kollidierender Ambitionen produktiv miteinander arbeiten und sich gegenseitig immer wieder beiseite stehen, angenehm unaufgeregt – und umso bemerkenswerter angesichts Hectors sozialer Herkunft und Freddies offener Abneigung gegenüber der privilegierten Gesellschaft.

"And we'd be happy?" – "Ecstatic! We wouldn't want to be anywhere else… with anyone else."

Für den geneigten Shipper bildet das eigentliche Herzstück der Serie jedoch zweifellos die so wunderbar ambivalent gezeichnete Beziehung zwischen Bel und Freddie. Dabei liegt der Reiz der beiden aber weniger in der altbekannten kriegen-sie-sich-oder-kriegen-sie-sich-nicht-Krux als in der Frage nach dem genauen Ursprung ihrer so tiefen Vertrautheit. Denn als Zuschauer spürt man zwar instinktiv, dass Bel und Freddie sich außergewöhnlich nahe stehen, man kennt allerdings nur einen minimalen Bruchteil ihrer gemeinsamen Vorgeschichte. Und so fragt man sich mit jeder gemeinsamen Szene der beiden, in der sie sich mal wieder vielsagende Blicke zuwerfen oder sich über ihre ganz persönlichen Insider-Gags amüsieren, aufs Neue, wie lange sie sich eigentlich schon kennen, ob jemals mehr als nur Freundschaft zwischen ihnen herrschte oder ob Freddie es zumindest je übers Herz gebracht hat, seiner Moneypenny offen und ehrlich seine Liebe zu gestehen. Doch selbst wenn man auch noch so aufmerksam ihren phänomenalen Dialogen lauscht und die Ohren nach Hinweisen offen hält, die ihren intimen und doch so ausgesprochen platonischen Umgang miteinander ein Stück weit erklären könnten, wird man nie so richtig schlau aus den beiden. Zum Glück, möchte man fast sagen, rührt die fesselnde und faszinierende Wirkung ihrer Beziehung doch gerade von der chronischen Undurchsichtigkeit ihrer kleinen Flirtereien.

"I love you." – "Is that the best you can do?"

Trotz der grandiosen Chemie zwischen Romola Garai und Ben Whishaw muss jedoch selbst der größte James und Moneypenny-Shipper anerkennen, dass auch die übrigen Paarungen der Serie durchaus ihre Daseinsberechtigung haben. So führt die Affäre zwischen Hector und Bel dem Zuschauer nicht nur die Doppelmoral der damaligen Gesellschaft vor Augen, sondern gewährt auch Einblick in Hectors wahres Ich – den heimlichen Rebellen hinter der charmanten Fassade, der sich nichts sehnlicher wünscht, als von den sozialen Zwängen seiner Schicht befreit zu werden, seiner gebieterischen Familie letztlich aber einfach nicht den Rücken zuzukehren vermag, weil für alle Beteiligten einfach zu viel auf dem Spiel steht und Bel sich nicht fest binden möchte. Dass seine Frau Marnie (entwaffnend gespielt von Charlie Chaplins Enkelin Oona Chaplin) ihn dabei wie selbstverständlich einmal mehr mit offenen Armen empfängt, obwohl sie sich seiner wiederholten Seitensprünge sehr wohl bewusst ist, zeugt einmal mehr von den verqueren Konventionen der damaligen Zeit. Auf der anderen Seite scheint das kleine Intermezzo zwischen Freddie und der grandios von Anna Chancellor verkörperten Auslandkorrespondentin Lix bitter nötig, um dem emotional geschundenen Freddie wenigstens an seinem Geburtstag etwas Wärme und Geborgenheit zu gönnen. Wobei man als Zuschauer ehrlich gesagt ohnehin einfach nicht genug bekommen kann von der so herrlich zynischen, Whisky-trinkenden Sprücheklopferin – quasi dem weiblichen Äquivalent der Serie zu Roger Sterling, wenn man so will.

"The real question is: Do we live in a democracy or under the illusion of one?"

Das vielleicht Bemerkenswerteste an "The Hour" ist letztlich neben der mühelosen Verschmelzung von Workplace-Drama, Verschwörungsthriller und komplexer Liebesgeschichte insbesondere die Tatsache, dass die politischen und gesellschaftskritischen Themen, die in der Serie immer wieder anklingen, auch im heutigen Kontext von erstaunlicher Relevanz sind. Denn auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Sueskrise blickte zuletzt fast die gesamte Welt auf Ägypten, auch heute sind waghalsige Journalisten à la Freddie, die sich mit allen Mitteln für unbeschränkte Meinungs- und Pressefreiheit einsetzen, Regierenden ein Dorn im Auge (der Vergleich mit Wikileaks-Aktivist Julian Assange drängt sich förmlich auf) und bei so manch einer Szene kommt man auch einfach nicht umhin, an den unlängst aufgedeckten Abhörskandal in Großbritannien zurückzudenken. Dementsprechend erhält die so zentrale Frage von Lord Elms nach dem wahren Zustand der Demokratie in seinem Land aufgrund der erschreckenden Aktualität der Ereignisse in "The Hour" einen zeitlosen, gar universellen Charakter. Denn auch wenn die äußeren Umstände in der Serie völlig andere sind, macht man sich trotzdem so seine Gedanken darüber, wie viele Angus McCains (unwiderstehlich in seiner Widerlichkeit: Julian Rhind-Tutt) es in der echten Welt da draußen wohl gibt, die mit allen Mitteln die Unantastbarkeit der politischen Machtinhaber sicherzustellen suchen, und wie viele Zeitungs- und TV-Redaktionen weltweit sich mehr oder weniger bereitwillig einer Zensur unterwerfen, um zu verhindern, dass der Staat ihnen den Stecker zieht. Die bittere Erkenntnis: Es sind bestimmt weit mehr, als man glaubt.

"It has to be the hour you can’t miss, the hour you have to see."

And it is. Denn auch wenn Puristen sich gerne über anachronistische Details echauffieren und die Serie aufgrund ihrer geringen Episodenzahl "Mad Men" in Bezug auf Komplexität und Charakterentfaltung nicht wirklich das Wasser reichen kann, ist spätestens nach dem furiosen Finale der ersten Staffel trotzdem klar: Serienschöpferin Abi Morgan schuf mit "The Hour" einen unheimlich fesselnden Genre-Mix aus 50er Jahre-Gesellschaftsdrama, packendem Politthriller und charmanter romantischer Komödie mit außergewöhnlich liebenswerten Charakteren und bis in die Nebenrollen brillant besetzten Schauspielern. Dabei werden beim Zuschauer Gehirnzellen, Lachmuskeln, Fingernägel und Shipper-Herz gleichermaßen beansprucht und das brillante Drehbuch höchst beeindruckend in Szene gesetzt. Wie gut also, dass man die viel zu lange Wartezeit bis zur Ausstrahlung der nächsten Staffel wenigstens mit neuen "Mad Men"-Folgen im Frühjahr überbrücken kann.

Paulina Banaszek - myFanbase

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