Rectify - Review Staffel 3

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Möchte man versuchen, für die einzelnen Staffeln von "Rectify" Schlagwörter zu finden, die die großen, übergreifenden Themen und Entwicklungen auf den Punkt bringen, liegt es gar nicht so fern, auf die bekannten Kübler-Ross-Begriffe zurückzugreifen, die die so genannten fünf Phasen des Sterbens beschreiben: Nicht wahrhaben wollen – Zorn – Verhandeln – Depression – Akzeptanz. Laut Kübler-Ross durchläuft ein Sterbender – und oft auch dessen Angehörige – diese Stadien, deren Reihenfolge nicht unbedingt festgelegt ist und bei denen einige auch gänzlich wegbleiben können, auf dem Weg zu seinem Lebensende. Münzt man dieses Phasenmodell auf die ersten drei Staffeln von "Rectify" um, werden gewisse Parallelen sichtbar: Während Season 1 sich mit Daniels Entlassung aus der Todeszelle im Bereich des Nicht wahrhaben wollens und Verhandelns bewegte, und Season 2 sich mehr mit der Depression und dem Zorn, die aus dieser Situation entwuchsen, auseinandersetzte, steuert Season 3 langsam aber stetig auf die Akzeptanz zu. Die Akzeptanz dessen, dass Daniel (unberechtigterweise?) schuldig plädiert hat, dass das Leben der einzelnen Protagonisten ein Wrack ist, dass die Welt ein ungerechter Ort ist.

Foto: Aden Young, Rectify - Copyright: 2015 SUNDANCE FILM HOLDINGS LLC. All Rights Reserved
Aden Young, Rectify
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Mit Daniels Geständnis, dass er Hannah Dean vor 19 Jahren ermordet hat, bricht für die gesamte Familie Holden-Talbot eine Welt zusammen. Obwohl weiterhin niemand weiß, ob Daniel diese Gräueltat wirklich begangen hat – er selbst am allerwenigsten –, so ist die alleinige Tatsache, dass er dieses Geständnis offiziell abgelegt hat, letztlich wichtiger als die Beantwortung der Schuldfrage selbst. Doch die innere Ruhe, der Frieden, den sich Daniel dadurch erhoffte, tritt nicht ein. Nicht nur muss Daniel innerhalb der nächsten 30 Tage den Bundesstaat Georgia verlassen, sich eine neue Bleibe suchen und sich bestimmten Kontrollauflagen unterziehen, er ist auch mental alles andere als stabil oder ruhig. Den experimentierenden, teilweise unkontrollierten Daniel aus Staffel 2 findet man nicht mehr vor – zu sehr haben das System und die Umstände ihn niedergedrückt, als dass er diese Seite von sich zeigen könnte. Stattdessen verliert sich Daniel – wie gewohnt absolut fantastisch gespielt von dem wunderbaren Aden Young – in einem Zustand der depressiv-zornigen Unsicherheit, in einer Art Lethargie, die nicht nur sein Leben, sondern auch das seiner Familie ganz stark bestimmt.

Foto: Abigail Spencer & Michael Vartan, Rectify - Copyright: 2015 SUNDANCE FILM HOLDINGS LLC. All Rights Reserved
Abigail Spencer & Michael Vartan, Rectify
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Für Amantha etwa bedeutet Daniels Geständnis der totale Zusammenbruch all dessen, für das sie die letzten 19 Jahre gekämpft hat. Es ist für sie ein Schlag ins Gesicht, dass ihr Bruder, dessen Unschuld sie jahrelang zu beweisen versuchte und dies letztlich auch schaffte, nun aus scheinbarer Bequemlichkeit und Resignation behauptet, doch schuldig zu sein. Daniels Weggang nach Nashville bedeutet für sie zudem eine Umstrukturierung ihrer Prioritäten und ihres kompletten Lebens: War für sie die vergangenen zwei Jahrzehnte immer nur ihr Bruder an erster Stelle gestanden, so muss sie nun versuchen, ihr Leben ohne ihn und ohne das Ziel, ihm zu helfen, auf die Beine zu stellen. Das führt dazu, dass sie auch berufliche und vor allem private Dinge in Frage stellen muss, was letztlich (leider) zum vorläufigen Ende der Beziehung zu Jon führt. Abigail Spencer verleiht Amantha dabei stets eine interessante Mischung aus vordergründigem Selbstbewusstsein und innerer Hilflosigkeit, zeigt all die komplizierten Facetten dieser Person und kreiert hier einen starken Frauencharakter.

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J. Smith-Cameron, Rectify
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Gleichermaßen facettenreich gestaltet sich die Weiterentwicklung der anderen beiden Protagonistinnen. Janet steht als Daniels Mutter, Teddys Stiefmutter und Teds Ehefrau stets zwischen den Stühlen und vollführt den geradezu unmöglichen Drahtseilakt, all den Familienmitgliedern gerecht zu werden, mit einer stillen Ruhe und Kraft, die imponiert. Die Mutter-Sohn-Chemie zwischen Young und J. Smith-Cameron sorgt besonders im Staffel-3-Finale für einige wundervolle, mitreißend-rührende Momente, in denen all der Ballast um Schuld und Vergebung in einer fantastischen Szene am Meer abgeworfen wird: Geradezu spiegelbildlich zu Daniels Taufe in Staffel 1, die jedoch nicht die erhoffte spirituelle Erneuerung brachte, taucht Daniel ein in den Ozean und erlebt dort einen Augenblick der Reinigung und Wiedergeburt, der für ihn auf dem Weg zur Akzeptanz seiner Situation entscheidend zu sein scheint. Janet wartet währenddessen am Strand auf ihren Sohn, ist für ihn wie ein Anker und muss gleichzeitig versuchen, die Vorwürfe, die sie sich wegen Daniel macht, loszulassen.

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Adelaide Clemens, Rectify
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Auch Tawney hadert enorm mit sich in dieser Staffel und kämpft mit den Nachwirkungen ihrer Fehlgeburt und der zusehenden Distanzierung von Teddy. War Tawney zu Beginn noch eine enorm zurückhaltende und naive Person, deren Gutgläubigkeit und Unschuld ihr gesamtes Wesen prägten, so schlägt sie mit der vorläufigen Trennung von Teddy einen ganz neuen Pfad ein, der sie vor neue Herausforderungen und Fragen stellt. Die bedeutungsschwere Begegnung mit Daniel entwickelt sich für Tawney zu einem Impuls, der sie ihr ganzes Leben in Frage stellen lässt. Sie beginnt an sich, an ihrem Glauben und an ihrer Ehe zu zweifeln, was sie in eine tiefe Sinnkrise stürzen lässt. Sehr intensiv gestalten sich die Szenen zwischen ihr und Teddy, die eine sehr komplizierte, von den Schauspielern hervorragend dargestellte Beziehung verbindet, die irgendwo zwischen Zuneigung und Abstoßung, zwischen gegenseitiger Fürsorge und dem Wunsch nach einem Ausweg aus dem Eheleben pendelt. Auch wenn die Ehekrise in Tawneys und Teddys Storyline die meiste Zeit beansprucht, werden beide Charaktere nicht darauf reduziert – stattdessen resultiert diese Krise und all ihre Auswirkungen konsequent aus dem einen, alles verändernden Ereignis, das das Leben der Holden-Talbots auf den Kopf gestellt hat: Daniels Entlassung in die Freiheit.

Foto: Aden Young, Rectify - Copyright: 2015 SUNDANCE FILM HOLDINGS LLC. All Rights Reserved
Aden Young, Rectify
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Und so müssen alle Mitglieder dieser Familie versuchen, durch die Depression und den Zorn hindurch ihre neue Situation auszuhandeln, ihr Leben neu aufzustellen. Sinnbildlich dafür steht einerseits die Renovierung der Küche im Hause der Holden-Talbots, die Daniel in einer nächtlichen Aktion herausgerissen hatte, und die nun von Ted und Teddy neu eingebaut wird. Diese Aktion symbolisiert die Wucht, die Daniels Präsenz auf das Leben der Holden-Talbots hatte, und die sie nun abfedern müssen, um ihr Leben neu zu starten. Eine ähnliche Allegorie ist Daniels Projekt, den Pool in Amanthas Wohnkomplex neu zu streichen. So wie Daniel versucht, den Pool zu renovieren, versucht er auch seinem eigenen Leben einen neuen Anstrich zu verpassen, erfährt dabei jedoch immer wieder Rückschläge. So verwundert es nicht, dass er eines Nachts vor lauter Zorn den Farbeimer umwirft, dessen Farbe in den fast fertig renovierten Pool tropft – es ist der Zorn der Hilflosigkeit gegenüber Gesellschaft und System, den Daniel hier zum Ausdruck bringt und eine Metapher dafür, wie seine Versuche, sein Leben neu zu starten, immer wieder sabotiert werden – sei es durch andere oder durch sich selbst.

Foto: J.D. Evermore, Rectify - Copyright: 2015 SUNDANCE FILM HOLDINGS LLC. All Rights Reserved
J.D. Evermore, Rectify
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Während Daniel am Ende schließlich nach Nashville zieht und sein neues Zuhause in der Wohngemeinschaft New Canaan betritt, und die Familie Holden-Talbot langsam wieder zusammenfindet – zum Ausdruck gebracht durch eine wunderbare gemeinsame Szene von Amantha, Teddy und Jared am Küchentisch –, erreichen die Ermittlungen im Fall George Milton einen neuen Punkt: Sheriff Carl Daggett, der nach bestem Wissen und Gewissen versucht, Miltons Tod aufzuklären, verhaftet letztlich mit Trey den falschen Mann – oder vielleicht den richtigen Mann, aber für die falsche Tat. Der Versuch, Gerechtigkeit herzustellen, misslingt am Ende selbst dem aufrichtigen Sheriff und der Versuch der "Berichtigung" bzw. der "Wiederherstellung der Gerechtigkeit", wie es im Serientitel steckt, schlägt fehl. In dieser absolut realistischen Sicht der Dinge will uns "Rectify" eines klar machen: Die Welt ist ein ungerechter Ort – und Gerechtigkeit ist ein komplexes, nicht greifbares Konzept. Manche verdrehen sie zu ihren Gunsten, wie etwa Senator Foulkes, der vor 19 Jahren einen schnellen Schuldigen wollte, um seine Karriere voranzutreiben (und nun tatsächlich seine gerechte Strafe erhält). Manche wollen sie wiederherstellen, schaffen dies jedoch nicht, wie der Sheriff, der den falschen Mann verhaftet. Und manche entgleiten ihr, wie Daniel, dessen Unschuld bzw. Schuld weiterhin unklar ist.

In erzählerischer und besonders psychologischer Hinsicht absolut konsequent, erzählt "Rectify" in seiner dritten Staffel die Geschichten rund um Daniel und seine Familie weiter und liefert wie gewohnt sechs bewegende, dramatische und zum Nachdenken anregende Episoden ab. Man hält an, um die Situation der Charaktere angesichts Daniels bevorstehendem Weggang genauestens unter die Lupe zu nehmen und fährt zu diesem Zweck nochmal einen Gang runter. Doch diese langsame und bedächtige Erzählweise hat "Rectify" mittlerweile perfektioniert. Staffel 3 ist insgesamt vielleicht nicht ganz so stark ist wie seine zwei Vorgänger – dafür ist sie zu sehr als Übergangsstaffel konzipiert –, aber das ändert nichts daran, dass diese Serie weiterhin in der ganz oberen Liga der aktuellen TV-Dramen mitspielt und man sie nur jedem ans Herz legen kann.

Maria Gruber - myFanbase

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