Rectify - Review Staffel 1
"I'm not sure what to make of this drastic change of course in my life. I'm certainly not against it. Over the past two decades I have developed a strict routine which I followed religiously you might say, a way of living and thinking or not-thinking as was often the point of... well, the point. This way of being didn't encourage the contemplation that a day like today could ever occur or a tomorrow like tomorrow... will be for me now. I had convinced myself that kind of optimism served no purpose in the world where I existed. Obviously this belief system was flawed and was ironically a kind of fantasy itself."
Homer Simpson hat einmal gesagt: Ich bin unschuldig, so lange meine Schuld nicht bewiesen ist. Dieses Grundprinzip der Justiz klingt auf den ersten Blick relativ einfach, doch selbst die scheinbar eindeutigste Beweislage kann sich manchmal als falsch herausstellen. Und was dann? Was, wenn der Verurteilte fälschlicherweise zu Tode verurteilt wurde und eigentlich unschuldig war? Was, wenn der Verurteilte fälschlicherweise seit 19 Jahren in Einzelhaft auf den Vollzug seiner Todesstrafe wartet und dann wieder freigelassen wird?
© 2013 SUNDANCE FILM HOLDINGS LLC. All Rights Reserved
Letzteres Szenario bildet die Prämisse für "Rectify", einer Serie aus der Feder von Ray McKinnon, die nicht nur eine völlig neuartige Betrachtung dieses komplexen Sachverhaltes rund um Schuld und Unschuld, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit bietet, sondern auch die Charakterstudie eines unwahrscheinlich faszinierenden Mannes, der nach zwei Jahrzehnten Einzelhaft wieder in eine Welt zurückgeschickt wird, von der er nie gedacht hätte, sie wieder zu erleben. Die Herausforderung, der sich McKinnon mit dem Thema Todesstrafe stellt, ist natürlich enorm, katapultiert es eine Erzählung doch quasi automatisch in ein moralisches Terrain, auf dem man ständig Gefahr läuft, den belehrenden Zeigefinger zu heben und das fehlerhafte Justizsystem anzuprangern, und das kann für das Publikum sehr schnell sehr anstrengend werden. Doch McKinnon geht einen völlig anderen Weg. Er beschäftigt sich nicht einmal wirklich mit der Frage, ob sein Protagonist schuldig oder unschuldig hinter Gittern saß, sondern interessiert sich vielmehr dafür, was mit einem Menschen passiert, der 19 Jahre lang auf den Tag seiner Hinrichtung gewartet hat, dem 19 Jahre lang jeglicher echter menschlicher Kontakt, jegliche Intimität verwehrt wurde.
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Mit Daniel Holden präsentiert uns McKinnon dabei einen Protagonisten, den man so wahrscheinlich noch nie auf der Leinwand gesehen hat und der in seiner ganzen Art wie ein unentschlüsselbares Enigma wirkt. Seine unerwartete Freilassung zwingt ihn dazu, einen nahezu unmöglich erscheinenden Resozialisierungsprozess anzutreten, der es nun von ihm verlangt, sich wieder mit der realen Welt auseinanderzusetzen, mit für uns völlig grundlegenden Konzepten wie Zeit und Ort, mit Kleidung und Etikette, mit der Idee, dass jeder Tag anders sein kann und unerwartete Dinge passieren können. Daniel wirkt bei der Erforschung seines neuen/alten Lebens dabei manchmal wie ein erwachsenes Kind, der schon allein von einer Hot-Dog-Maschine völlig fasziniert ist und den die vielen neuen Eindrücke um ihn herum teilweise komplett überfordern. Gleichzeitig ist Daniel ein enorm introspektiver und belesener Mann, dessen Intellekt keinesfalls zurückgeblieben ist, sondern der so viel Zeit mit sich selbst, seiner eigenen Sterblichkeit und seinen eigenen Gedanken verbringen musste, dass er außerhalb seiner sich selbst zurechtgelegten Denkstruktur, mit der er 19 Jahre Todeszelle überlebte, erstmal gar nicht funktionieren kann.
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"Rectify" nimmt sich die nötige Zeit, Daniels komplizierte, ja absurde Situation behutsam auszuarbeiten und dem Zuschauer seine Sicht der Dinge näher zu bringen. Es dauert nicht lange, bis man völlig vereinnahmt wird von dieser Geschichte und diesem Protagonisten, der von Aden Young nahezu unheimlich genial dargestellt wird. Manchmal scheint Daniel nichts anderes zu tun, als Löcher in die Luft zu starren, doch Young verleiht seinem Charakter selbst in Momenten totaler Passivität eine unwahrscheinliche Tiefe. Er vollführt den Drahtseilakt, Daniel in seiner Unbeholfenheit und Orientierungslosigkeit zu einem Sympathieträger zu machen, gleichzeitig aber auch eine gewisse Bedrohlichkeit auszustrahlen, die immer wieder durchsickert und dem Zuschauer ins Gedächtnis ruft, dass man es hier mit einem potentiellen Frauenmörder zu tun haben könnte. Doch das Erstaunlichste an Young ist, dass er es schafft, dass selbst dieser Umstand nichts an den Sympathien des Zuschauers für Daniel ändern kann.
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Obwohl Daniel der Dreh- und Angelpunkt von "Rectify" ist und sich intensiv mit seiner neuen Lebenswelt auseinandersetzt, so vernachlässigt die Serie es aber auch nicht, die externe Perspektive anzunehmen. Wie soll und kann eine Familie damit umgehen, nach 19 Jahren wieder ihren Sohn und Bruder zurückzuhaben und das auch noch unter dem Umstand, dass dessen Schuld bzw. Unschuld immernoch nicht geklärt ist? Die einzelnen Familienmitglieder begegnen Daniel dabei sehr unterschiedlich, mit zurückhaltender, da durch eigene Schuldgefühle geplagter Liebe (seine Mutter), mit offener Antipathie und Skepsis (sein Stiefbruder Teddy), mit christlicher, nahezu naiver Nächstenliebe (seine Schwägerin Tawney) oder auch mit uneingeschränkter Loyalität und Vertrauen (seine Schwester Amantha). Es sind diese Menschen in Daniels Umfeld, die von seiner Freilassung am meisten betroffen sind, die ihn aber gleichzeitig wieder zurück ins Leben stoßen wollen, die ihn manchmal geradezu zwingen, sich aus seiner Passivität zu befreien. Daniel trifft keine einzige Entscheidung aus eigenem Antrieb, ja kann dies nach 19 Jahren Gefängnis überhaupt nicht, und so ist alles, was er tut, Reaktion. Innerhalb dieses familiären Mikrokosmos, der durch Daniels Freilassung komplett durchgeschüttelt wird, kommt es immer wieder zu enorm intensiven Momenten, zu Momenten voller Rührung und Liebe, gleichzeitig aber auch Frustration, Ärger, Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit. In nur sechs Episoden wird den Figuren eine beeindruckende Vielschichtigkeit und Authentizität verliehen, die andere Serien teilweise nach sechs Staffeln nicht erreichen.
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Die außerordentlich gelungene Charakterzeichnung und Erzählstruktur, die sich auch immer wieder mit dem um Familie Holden/Talbot befindenden Makrokosmos der Südstaaten-Kleinstadt Paulie und den Reaktionen ihrer Bewohner auf Daniel beschäftigt, wird schließlich unterstützt von einer fabelhaften Inszenierung, die man als nahezu visionär bezeichnen kann. Selten hat man im Fernsehen eine auf den Inhalt derart perfekt abgestimmte Regiearbeit gesehen, die so gekonnt mit Licht, mit Kamerawinkel und Schnitt hantiert. Auf kreativer Ebene greifen hier wirklich alle Räder ineinander. Stets ist die Inszenierung ein Spiegelbild der Dramaturgie, verstärkt und unterstützt sie (zusätzlich mit einem grandiosen Soundtrack), und kreiert damit eine ganz eigene Ästhetik für "Rectify", das in seiner langsamen und bedächtigen Ausarbeitung der Erzählung mit einer unglaublichen Liebe zum Detail vorgeht, ja fast schon poetisch ist.
Mit "Rectify" transformiert Ray McKinnon das Medium Fernsehen zu einem Medium, das tiefgründige existenzielle Fragen behandelt, die bisher nur der Literatur oder dem Film vorbehalten waren. In gerade einmal sechs Episoden entfaltet diese Serie eine derart emotionale Wucht, dass man als Zuschauer wirklich noch tage- oder gar wochenlang mit seinen Gedanken um Daniel Holdens Geschichte kreist und sich mit den Grundsätzen seiner eigenen Weltanschauung beschäftigt. "Rectify" setzt mit seiner Thematik, seiner komplexen Dramaturgie, seiner formvollendeten Kinematographie und seinem spektakulären Hauptdarsteller Aden Young neue Maßstäbe für das Fernsehen. Virtuose, mitreißende, überwältigende Serienunterhaltung.
Maria Gruber - myFanbase
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