Bewertung

Review: #2.01 Willkommen in Briarcliff

Foto: Jessica Lange, American Horror Story - Copyright: Frank Ockenfels/FX
Jessica Lange, American Horror Story
© Frank Ockenfels/FX

Jesses, Maria und Josef. Man kann über "American Horror Story" ja sagen, was man will, doch eines kann man dieser Serie wirklich nicht vorwerfen: Konventionalität. Da hat eine Nonne erotische Träume von einem Priester, da wird ein Tankwart durch gleißendes Licht geschleudert, da bringt eine junge Schwester bedenklich große Fleischbrocken in eine Waldlichtung und der Maroon-5-Frontsänger verliert einfach mal einen Arm.

Willkommen zu "American Horror Story", Runde 2.

Ganz in der Manier der ersten Season bricht auch dieser Staffelauftakt sämtliche Tabus, suhlt sich förmlich in diesem Vergnügen und liefert dabei so manche Schockmomente zum Zusammenzucken. Dabei gelingt es der Serie, eine Richtung einzuschlagen, die so manche Defizite des ersten Jahres umgehen können dürfte, die gleichzeitig aber auch noch ein wenig der Kurskorrektur bedarf.

"Sister Jude calls this her Stairway to Heaven."

Ryan Murphy und Brad Falchuk zeigten bereits in Staffel 1 von "American Horror Story", dass sie mit den gängigen Tropen des Horrorgenres bestens vertraut sind und ihnen eine Idee ganz besonders gefällt: die Idee nämlich, dass Horror sehr eng mit einem Ort verbunden ist, ganz im Sinne eines Fluches, einer Verdammnis. Während diese Lokalität im ersten Jahr das mysteriöse Herrenhaus in Los Angeles war, so wechseln wir nun an einen noch schauerlicheren Ort. Briarcliff ist definitiv nicht für den Erholungsurlaub geeignet und stellt mit seinen dunklen Gängen, unterirdischen Tunneln, den gespenstischen Ecken und Nischen und dem angrenzenden Wald eine albtraumhafte Kulisse dar. Ein ideales Horrorsetting. Den Machern ist es gelungen, den Gruselfaktor in Sachen Location nochmal ordentlich in die Höhe zu schrauben und man darf gespannt sein, ob sie diesen auch so gut zu nutzen wissen werden wie schon in Season 1.

Doch der wahre Horror ist nicht die Anstalt, sondern vielmehr die Menschen, die sie bevölkern. Als Leiterin von Briarcliff sticht natürlich zunächst einmal Schwester Jude heraus (man beachte den sprechenden Namen: Jude = Judas), die von Jessica Lange wie gewohnt großartig dargestellt wird. Jude wirkt auf den ersten Blick wie eine strenge und erbarmungslose Mutter Oberin, doch in ihr brodeln dunkle Triebe. Ihre unrechtmäßigen Gefühle für Monsignor Timothy (hallo, Joseph Fiennes!) sind da nur die Spitze des Eisbergs. Judes Glaube ist von einer vordergründigen Frömmigkeit geprägt, die jederzeit außer Kraft gesetzt werden kann, wenn es ihrem Spiel nutzt. Wie sie ihre Patienten behandelt, wie sie gegen Dr. Arden wettert, wie sie Wendy droht – diese Frau hat es faustdick hinter den Ohren. Gleichzeitig jedoch schimmert in ihren Taten durchaus ein wenig Mitgefühl durch, gerade in ihrer sehr eigenartigen Beziehung zu Schwester Mary Eunice.

Mary Eunice ist in dieser Episode erstmal vor allem eines, nämlich eine Heulsuse, doch man sollte sich womöglich davor hüten, sie zu unterschätzen. Obwohl sie sich gegenüber Jude einfältig und ergeben zeigt, arbeitet sie insgeheim auch für den undurchsichtigen Dr. Arden und es wird interessant sein, wem von den zweien ihre Loyalität wirklich gehört. Ganz besonders, weil Arden, genauso wie Jude, Anspruch auf die Leitung von Briarcliff erhebt und mit seinen grausamen Methoden, seiner eiskalten Art und seinen mysteriösen Aktionen absolut angsteinflößend ist. Die erbitterte Konkurrenz zwischen Jude und Arden könnte zu einem Highlight werden, nicht zuletzt, weil Jessica Lange und James Cromwell einfach zwei hochkarätige Mimen sind.

"All monsters are human."

Die zentrale Frage, die sich in dieser zweiten Staffel stellen wird, ist natürlich: Was ist eigentlich Verrücktheit? Ist sie "a spiritual crisis, an absence of God", wie Jude sagt? Ist sie eine mentale, medizinisch erklärbare Krankheit? Oder wird sie vielmehr dadurch definiert, was die Gesellschaft als abnormal und sozial deviant bezeichnet? Damit stellt sich natürlich die Frage: Sind die Insassen wirklich verrückt und sind die Wächter, Schwestern und Ärzte wirklich normaler, als ihre Patienten?

Diese Frage stellt sich vor allem durch Kit Walker, dargestellt durch den wunderbaren Evan Peters, der in dieser Season einen vergleichsweise normalen Charakter zu spielen bekommt, der jedoch in eine komplett verrückte Situation gerät. Damit kommen wir auch zum kritischsten Punkt dieser Episode: die Aliens (!). Wenn Murphy und Falchuk in dieser Staffel allen Ernstes auf der Steven-Spielberg-Schiene fahren, dürfte das bei den Horrorfans eher Skepsis und Argwohn auslösen, als große Begeisterungsstürme. Es bleibt zu hoffen, dass der Science-Fiction-Anteil so klein wie möglich gehalten wird, denn alles andere droht sonst in die Lächerlichkeit abzudriften.

Jedenfalls scheint Kit zu den rar gesäten Sympathieträgern der Figurenpalette zu zählen, ebenso wie seine Mitinsassinnen Grace und Lana. Während Grace erstmal nur kurz zu sehen war, sich aber als eine Komplizin für Kit herausstellen könnte, so hat Lana bereits ein wenig mehr Profil bekommen. Dass die elegante, emanzipierte und zielstrebige Reporterin gleich im Auftakt in der Anstalt landet, ging unerwartet schnell, bietet jedoch viel Potential für interessante Storylines. Was man hingegen mit Shelley vorhat, die als notorische Nymphomanin bisher keinerlei andere Funktion hat als eben eine Nymphomanin zu sein, ist noch schleierhaft.

"Evil doesn't reside in hell."

Man sieht also, es gibt viele Ansatzpunkte, viele Steine, die ins Rollen gebracht wurden. So ist diese Episode vollgepackt mit verschiedenen Storylines und erscheint dadurch ein wenig inkohärent und fragmentiert, was auch an den eher unnötigen Szenen mit Adam Levine und Jenna Dewan Tatum liegt, die nur dem unverblümten Schocken des Zuschauers dienten. Überhaupt vermisst man in diesem Staffelauftakt durchaus so ein bisschen die Unterschwelligkeit, den latenten Horror, der in Staffel 1 über weite Strecken sehr gut inszeniert wurde. Murphy und Falchuk geizen wirklich nicht mit effekthascherischen Horrorelementen (darunter Hitchcocksches Geigenquietschen und plötzlich aufflackernde Momentaufnahmen) und sind auch sehr offen und überdeutlich, was ihre Kritik an Rassismus, Homophobie, Patriarchismus, gesellschaftlichen Normen und dem Katholizismus angeht. Eine differenziertere Auseinandersetzung mit diesen Themen wäre vielleicht ganz ratsam, sonst bekommt man schnell das Gefühl, dass "American Horror Story" zur Plattform für Murphys und Falchuks Weltansichten reduziert wird.

Als Staffelauftakt, der prinzipiell die schwierigen Aufgaben einer Pilotfolge erfüllen muss, hat es #2.01 Welcome to Briarcliff nicht einfach, eine geschlossene Geschichte zu erzählen, immerhin hat die Folge vor allem eine expositorische Funktion zu leisten. Doch obwohl hier und da noch einiges verbesserungswürdig ist, so hat die Folge ihre Hauptfunktion erfüllt: Sie entfacht in einem wieder die Neugier und Leidenschaft für "American Horror Story". Man will wissen, was passiert. Man hat viele Fragen, deren Antwort man wissen will. Man will wieder schockiert werden. Und so ist die Freude auf die zwölf weiteren Episoden definitiv vorhanden. Willkommen in der Anstalt.

Maria Gruber - myFanbase

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