Bewertung

Review: #1.02 Wohin die toten Männer gehen

Der noch immer in die Höhe ragende St. Louis Bogen erinnert jeden Bewohner und Besucher von Defiance daran, welche Stadt einst dort war, wo jetzt Defiance steht. Wer allerdings mehr von der früheren US-Großstadt sehen will, muss sich unter die Erde begeben, denn dort ist noch immer ein Teil von St. Louis erhalten und modert vor sich hin wie ein großer, dunkler und selten besuchter Friedhof der menschlichen Zivilisation. Auf der Suche nach dem flüchtigen Mörder Ben begeben sich Nolan und Rafe dort hinunter und bekommen die Gelegenheit, ein wenig die Ziele und Hoffnungen zu betrauern, die an dem Tag gestorben sind, an dem die Außerirdischen zur Erde kamen.

Wie nach dem durchaus spektakulären, aber in vielerlei Hinsicht noch recht oberflächlichen Serienauftakt erhofft, widmet sich diese zweite Episode etwas mehr den Eigenheiten der Aliens, speziell der Kultur der Castithaner. Sowohl ihr strenges Kastensystem als auch ihre Vorstellung von Ehre und ihr Umgang mit in Ungnade gefallenen Angehörigen ihrer Rasse werden thematisiert. Auf die meisten Nicht-Castithaner in Defiance (und natürlich auch auf die Zuschauer) wirkt das castithanische Reinigungsritual, das an dem Deserteur Elah vollzogen wird, grausam und sinnlos, lässt sich aber nicht aufhalten.

Auch in unserer realen Gegenwart gibt es noch immer viele Staaten und Kulturen, in denen im Namen der Gerechtigkeit Folterungen stattfinden und Hinrichtungen vollzogen werden. Jene Staaten, die solche Praktiken ablehnen und selbst nicht anwenden (wie glücklicherweise auch Deutschland), kritisieren dies zwar und distanzieren sich davon, können aber ansonsten wenig dagegen tun. Eine stärkere Einmischung in die Gepflogenheiten anderer Kulturen führt schnell zu Spannungen, die massive Auswirkungen auf Frieden und Sicherheit haben. Auch dafür gab und gibt es in der Weltgeschichte mehr als genug Beispiele. Wer als Außenstehender versucht, die Traditionen eines Volkes zu untergraben, erntet dafür zumeist nur Hass und Ablehnung, selbst wenn er aus der Sicht seines eigenen Kulturkreises dabei richtig und gut handelt. Grundlegende Veränderungen in Politik, Gesellschaft und Religion haben den größten Erfolg, wenn sie von innen heraus entstehen. So entwickelt sich auch Irisas und Tommys Versuch, von außen einzugreifen und Elah zu retten, zum Desaster. Das Verhältnis zwischen Datak, dem führenden Castithaner von Defiance, und den Stadtobersten um Amanda hat sich nun sehr verschlechtert und Elah ist trotzdem tot.

Ein anderer interessanter Aspekt dieser Folge ist die Art, wie Ex-Bürgermeisterin Nicolette Riordon und ihr Komplize Mr. Birch diesmal versuchen, die Einwohnerzahl von Defiance drastisch zu reduzieren: durch eine Explosion in einem alten Atomkraftwerk. Da sind Aliens auf der Erde gelandet, der Planet hat sich völlig verändert, die Menschheit muss sich an ganz neue Umstände gewöhnen, doch noch immer stellt die Atomenergie ein Problem dar. Die alten Atomanlagen bleiben ein Gefahrenherd, auch wenn sie aus den Augen der Öffentlichkeit verschwunden sind. Ob nun von den Autoren so beabsichtigt oder nicht, stellt dies eine schöne Referenz an die Diskussionen zum Thema Atomausstieg dar, die in den letzten Jahren zugenommen haben.

Nicolette rechtfertigt in ihren Gesprächen mit Birch ihr wiederholtes Bemühen, Defiance in eine Geisterstadt zu verwandeln, damit, dass es zum Wohle aller geschieht. Was genau sie damit meint und was es mit dem Objekt auf sich hat, nachdem sie und Birch suchen, wissen wir noch nicht, aber es ist zweifelhaft, dass wir uns jemals Nicolettes Ansicht anschließen und auch der Meinung sein werden, dass es gerechtfertigt ist, tausende Männer, Frauen und Kinder von einer bösartigen Armee niedermetzeln zu lassen oder qualvoll durch Verstrahlung zu töten. Wenn Nicolette so ehrenwerte Ziele hat, warum dürfen die Bewohner von Defiance nichts von dem wissen, was sie sucht, und sollen sterben? Nicolette gehört offenbar zu der sehr hassenswerten Sorte von Bösewichtern, die sich selbst noch als Opfer sehen, weil sie für ein angeblich höheres Ziel Blut vergießen müssen.

Als Schwachpunkt dieser Folge empfinde ich den Charakter Tommy. Seine Annäherung an Irisa wird bisher nicht sonderlich überzeugend umgesetzt. Dass er wieder, wie schon in der ersten Episode, aus dem Nichts auftaucht, um Irisa zu retten, ist ausgesprochen einfallslos. Wir wissen, dass Irisa viel auf dem Kasten hat, warum also wird uns Tommy wiederholt als ihr Retter in schimmernder Rüstung präsentiert? Es ist ein akzeptabler Storykniff , wenn die toughere Irisa einmal von dem netten Tommy gerettet wird, aber zweimal hintereinander macht es wenig Sinn. Zudem werden Tommys Handlungen zu sehr darauf reduziert, Reaktionen auf Irisa zu sein. Er handelt nur, wenn Irisa es tut. Vor ihrem Eingreifen in die brutale Zeremonie hat er nicht erkennen lassen, wie er selbst zu dieser steht.

Nichtsdestotrotz ist gegenüber dem Auftakt definitiv ein Fortschritt in Bezug auf die Ausschöpfung des Potentials, das in dieser Serie steckt, zu erkennen.

Maret Hosemann - myFanbase

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