Bewertung

Review: #4.22 Schöne neue Welt (2)

Foto: Leonard Nimoy, Fringe - Grenzfälle des FBI - Copyright: 2012 Fox Broadcasting Co.; Cate Cameron/FOX
Leonard Nimoy, Fringe - Grenzfälle des FBI
© 2012 Fox Broadcasting Co.; Cate Cameron/FOX

Bisher hatte jede Staffel eine Daseinsberechtigung für die Gesamtmythologie von "Fringe", denn die Entwicklungen jeder Staffel legten gleichzeitig die Weichen für die darauffolgende. Staffel 1 stand ganz im Zeichen des damals noch ominösen William Bells, bis Olivia in #1.20 Nichts ist einzigartig schlussendlich auf ihn traf – im Paralleluniversum. Das Geheimnis des Paralleluniversum spielte dann wieder in der zweiten Staffel die große Rolle und letztlich befanden wir uns in #2.22 Die andere Seite (1) und #2.23 Die andere Seite (2) dann auch in jenem Paralleluniversum und wir lernten nicht nur die zahlreichen alternativen Charaktere kennen, die uns in den kommenden Jahren begleiten sollten, sondern auch die mysteriöse Maschine, mit der Walternate unser Universum zerstören wollte. Diese Absicht bildete dann gleichzeitig den großen Rahmen für Staffel Nummer Drei, in der Walternate alles in seiner Macht stehende versuchte, um die Maschine in Gang zu setzen und unsere Welt somit zu zerstören. Das alles endete in #3.22 Der Tag, an dem wir starben dann damit, dass Peter die Maschine zwar aktivierte, dadurch aber eine Brücke zwischen den beiden Welten erschuf, wodurch beide Parteien zusammenarbeiten sollten, um eine friedliche Lösung zu finden. Daraufhin wurde Peter aus der Zeitlinie gelöscht.

Man sieht also: Jede Staffel war bisher ein wichtiges Puzzleteil für die Gesamtmythologie von "Fringe" und oftmals erfolgte erst im jeweiligen Staffelfinale die Erkenntnis, welchen Zweck die Staffel erfüllte. Exakt jenen Zweck zu erkennen erhoffte man sich nun also beim Schauen von #4.22 Brave New World: Part 2. Denn welchen Sinn für den weiteren Verlauf der Serie hatten die ganzen Entwicklungen innerhalb der vierten Staffel? Zu welchem nächsten wichtigen Puzzleteil zur Vervollständigung der Mythologie sollte uns Bells Bestreben, ein neues Universum zu erschaffen, führen? Welchen Mehrwert hatte letztlich die Entscheidung der Autoren, die Brücke zur anderen Seite zu schließen? Und wie brachte es uns weiter, dass man durch Peters Verschwinden eine neue Realität erschuf?

Und nun kommt das wirklich Schockierende: keine dieser Fragen lässt sich beantworten. Nach diesem Staffelfinale sucht man sämtlichen Sinn der Staffel, denn kein einziges Storyelement dieser Season scheint für die kommende Staffel auch nur ansatzweise relevant zu sein und stattdessen hatte man das Gefühl, als hätten wir einen Fall der Woche gesehen, der diesmal nicht eine Folge umfasst, sondern dessen Auflösung sich 22 Episoden lang erstreckte.

"The bible tells us that God created his universe in seven days. It has taken me considerably longer."

Heimlich hatte ich ja spekuliert und auch gehofft, dass William Bells Plan irgendetwas mit der kommenden Invasion der Beobachter zu tun haben wird. Die Tatsache, dass Bell im Jahr 2036 mit den anderen im Bernstein eingefroren war, machte schon einmal deutlich, dass er in der Vergangenheit zusammen mit dem Fringe-Team gegen die Beobachter vorgegangen war. Darum wäre es mehr als vorstellbar gewesen, dass hinter Bells vermeintlich wahnsinnigen Plan, ein neues Universum zu erschaffen, der durchaus humane Wille dahintersteckt, die Welt dadurch irgendwie vor den Beobachtern zu beschützen. Doch leider hat man keine Brücke zwischen den beiden Storys geschlagen, womit Staffel 4 eine tolle Daseinsberechtigung erhalten hätte, sondern Bells Plan blieb einfach das, was er von Anfang an zu sein schien: absolut größenwahnsinnig.

Somit driftete die gesamte Rahmenhandlung dieser Staffel also in schockierend klischeehafte Bahnen ab. Die Story des größenwahnsinnigen Wissenschaftlers, der die Welt zerstören möchte, um eine eigene neue Art von Menschheit zu erschaffen, erinnert viel mehr an die schlimmsten James-Bond-Filme (hier gibt es beispielsweise durchaus große Parallele zu dem Roger Moore-Bondstreifen "Moonraker") als an eine Science-Fiction-Serie, der es noch ein Jahr zuvor wunderbar gelang, die Grenzen zwischen Gut und Böse sehr transparent darzustellen und auch den vermeintlichen Antagonisten der Serie, besonders Walternate, nachvollziehbare Motive für ihre weniger gute Taten zu verleihen. Was das betrifft, war die Story um William Bell sowie der Charakter an sich eine echte qualitative Talfahrt. Da wäre es vielleicht sogar besser gewesen, wenn David Robert Jones der einzige Gegenspieler der Staffel geblieben wäre, denn zu ihm passte die Rolle des Größenwahnsinnigen tausendmal besser, während Bells Bestreben, kurz vor seinem Tod noch einmal Gott spielen zu wollen, stellenweise einfach nur lächerlich wirkte.

Und auch die Szenen zwischen Walter und seinem ehemaligen Laborpartner fielen bei weitem nicht so gut aus, wie man es sich zuvor erhofft hatte. Lediglich die ein wenig überraschende Erkenntnis, dass Walter Bell in der Vergangenheit erst auf die Idee des neuen Universums brachte, war eine interessante Erkenntnis in diesem sonst sehr überraschungsarmen Finale.

"If you've lost your mind, now would be the time to tell me!"

Zugute halten muss man, dass immerhin einige Geschehnisse der Staffel im Nachhinein betrachtet Sinn gemacht haben. So wissen wir nun also, weshalb Olivia die ganze Zeit über heimlich Cortexiphan injiziert wurde und weshalb Jones in #4.14 The End of all Things versuchen wollte, Olivia zu aktivieren. Diese fungierte nämlich als sehr umweltfreundliches Stromkraftwerk, das die nötige Energie bereitstellte, um Bells Plan in die Tat umzusetzen. Ebenso das Infizieren von Menschen mit Nanites sowie der riesige Lichtstrahl sollen nun Sinn machen, da so Olivias Emotionen überkochen und sie somit erneut aktiviert werden sollte. Ob es dafür aber nicht einen einfacheren Weg gegeben, als Menschen mit kleinen Robotern zu infizieren oder halb Boston in die Luft zu sprengen, sei einfach mal dahingestellt.

Absolut unklar blieb im Übrigen, wie Bell nun die beiden Universum beinahe zum Kollabieren brachte. Da wurden wir praktisch die ganze zweite Staffelhälfte lang Zeugen von Jones' unterschiedlichsten und kompliziertesten Herangehensweisen, um beide Universen zu zerstören, und am Ende erhalten wir noch nicht einmal eine Erklärung, wie Bell es letztendlich vollbracht hat? Generell wirkte das Drehbuch an vielen Stellen extrem unausgegoren und lückenhaft. Wieso haben Bells Männer Astrid beispielsweise noch das Leben gerettet, indem sie einen Krankenwagen riefen, obwohl eigentlich sowieso geplant war, das komplette Universum zu zerstören? Und war Bell etwas ganz alleine auf seiner Arche, oder weshalb konnten Peter und Olivia seelenruhig das ganze Schiff nach Bell durchsuchen, ohne auch nur einmal gestört zu werden?

Letztlich kam es dann zu der Szene, in der Olivia und Peter endlich Bell umstellen konnten, worauf auch der einzig wirkliche kleine Schockmoment des Finals folgte. Zwar war es schon klar, dass Olivia wohl irgendwie sterben müsste, um Bells Plan zu durchkreuzen – dafür wurde einfach per Holzhammermethode par excellence an die gefühlt zwanzig Mal erwähnt, dass nur durch Olivia das andere Universum erschaffen werden kann. Aber dass es dann schlussendlich Walter sein würde, der Olivia völlig unerwartet eine Kugel in den Kopf schießt, war wirklich ein kleiner Moment, indem man gebannt die Luft anhielt. Im Nachhinein muss ich eher schmunzeln, da Olivia nun im zweiten Finale in Folge von einem Walter eine Kugel in den Kopf verpasst bekam. Leider hatte man durch #4.19 Letters of Transit die ganze Zeit im Hinterkopf, dass Olivia gar nicht sterben könne, da ja noch Tochter Henrietta geboren werden muss. Daher war es nicht wirklich überraschend, dass Olivia letztlich doch nicht stirbt. Die Tatsache, dass das Cortexiphan in Olivia Gehirn die Wunde heilen ließ, war dann doch mal wieder ein wenig zu viel des Guten und man kann nur froh sein, dass, laut Walter, das Cortexiphan nun für immer aus ihrem Körper verschwunden ist. Langsam wurde es nämlich wirklich lächerlich: zu Beginn war Cortexiphan noch das Mittel, das verloren gegangene Fähigkeiten der Menschenheit wieder zum Vorschein bringen sollte. Zwar waren einige Eigenschaften schon immer ein wenig übertrieben, etwa Sally Clarkes Pyrokinese, aber dennoch immer zu akzeptieren. Dass Cortexiphan aber jetzt plötzlich auch dafür sorgte, dass Olivia die Kontrolle anderer Körper übernehmen konnte, Pistolenkugeln abfing und dann auch noch sämtliche noch so starke Wunden problemlos heilen, war so dermaßen zum Haare ausreißen, dass nicht mehr viel gefehlt hätte, um als Beobachter durchgehen zu können.

"At least now we know how you got shot."

Apropos Beobachter: Ich freue mich eigentlich immer, wenn wir September in größerem Ausmaß zu Gesicht bekommen, aber seine Rolle in dieser Episode möchte mir so gar nicht einleuchten. Weshalb wurde er von Jessica als Geisel gehalten? Welchen Sinn und Zweck soll das gehabt haben? Dann war es doch rätselhaft, weshalb man die Beobachter offenbar mit alten germanischen Schriftzeichen an eine Stelle fesseln kann. Schließlich sind Beobachter nichts anderes als weiterentwickelte Menschen, doch teilweise bekam man das Gefühl, als hätten hier Dean und Sam Winchester versucht, einen Dämon einzufangen. Der einzige interessante Aspekt hierbei war lediglich, dass wir nun wissen, von wem September angeschossen wurde. Und ein wenig Rätselraten kommt dadurch zustande, dass wir erfahren haben, dass Olivia Septembers Warnung in #4.08 Back To Where You've Never Been erhalten hat, noch bevor September selbst wusste, dass er sie ihr jemals aussprach. Hier bin ich wirklich gespannt, was uns noch erwarten wird. Andererseits ist man es langsam auch Leid, denn im Prinzip weiß man wirklich schon, dass Olivia sterben wird, falls man uns in #4.19 keine falsche Fährte legen wollte. Aber dennoch ist das Paradoxon um Septembers Warnung an Olivia interessant.

Erfreulich war das Wiederauftauchen von Rebecca Maders Charakter Jessica, die sich als Bells Komplizin erwies. Dieser kleine Twist brachte immerhin ein wenig Schwung in den gradlinigen und vorhersehbaren Verlauf der Episode. Die wohl beste Szene des ganzen Finals war dann Jessicas Verhör – bzw. das Verhör ihrer Leiche, das mich stellenweise an einige Szenen aus "Der Exorzist" erinnerte und insgesamt eine wirklich extrem bizarre und toll inszenierte Angelegenheit war.

"Excuse me, is that lemonjello?"

"These are urine samples."

"Well in that case: No, thank you. I'm more peckish than thirsty."

Gegen Ende merkte man diesem Finale dann an, dass die Autoren gezwungen versucht haben, daraus auch ein zufriedenstellendes, mögliches Serienfinale zu konzipieren. An sich ist ihnen das auch relativ gelungen. Zumindest ist es beruhigend und auch lobenswert, dass, hätte nach Staffel 4 Schluss sein sollen, jeder der Charaktere zu diesem Zeitpunkt ein kleines Happy End erhalten hätte: Broyles wurde zum General befördert, Astrid wurde von Walter tatsächlich bei ihrem richtigen Namen genannt und Peter bekam von Olivia mitgeteilt, dass sie schwanger sei. Was das betrifft, muss ich mich selbst korrigieren: Irrtümlicherweise hatte ich angenommen (und es auch in meiner Review geschrieben), dass die Schwangerschaft von Olivia bereits in der letzten Folge publik gemacht wurde, als Olivia Peter darauf hinwies, dass die neue Wohnung auch ein Kinderzimmer haben sollte. Da hatte ich mich schon gefreut, wie schön unspektakulär man diese Schwangerschaft verkündet hat, denn alles andere wäre eigentlich auch unsinnig gewesen, da wir Zuschauer durch #4.19 schon wissen, dass sie früher oder später schwanger würde. Aber tatsächlich wurde es also doch erst in dieser Folge enthüllt. An sich war es dabei natürlich rührend, Peter strahlend vor Glück seine Olivia umarmen zu sehen und gleichzeitig einen Walter, der im Hintergrund lächelnd dabei zusieht. Und ich glaube, in der nächsten Staffel wird Olivias Schwangerschaft besonders wegen Walters Rolle als baldiger Opa für einige sehr witzige und schöne Momente sorgen. Diese gab es natürlich auch in dieser Folge, besonders die letzte Szene zwischen Walter und Astrid als auch die Momente zwischen Peter und Olivia bzw. Olivia und Nina waren allesamt überzeugend. Auf dieser Ebene funktionierte die Episode mal wieder einwandfrei.

Richtig ärgerlich bleibt allerdings, wie unsinnig letztendlich die Schließung der Brücke zur anderen Seite war, die die Handlung eigentlich kein bisschen vorantrieb. Es wurde viel zu deutlich, dass dieser ganze Schritt nur als Notlösung diente, sollte die Serie nach dieser Staffel abgesetzt werden. Da dies nicht so ist, taucht die andere Seite in Staffel 5 hoffentlich noch einmal auf. Aber irgendwie passt es, dass die Zusammenarbeit der beiden Universen genauso unbefriedigend beendet, wie sie ein Großteil der Staffel inszeniert wurde.

Der obligatorische Cliffhanger durfte im Übrigen natürlich auch nicht fehlen. Dieser fühlte sich extrem eingeschoben an und wäre nach Staffel 4 Schluss gewesen, hätte man die letzten 30 Sekunden mit Sicherheit einfach weggelassen. Stattdessen bekamen wir noch einmal September zu Gesicht, der Walter davor warnte, dass "sie" kommen würde. Wir Zuschauer wissen Gott sei Dank, dass er damit auf die Invasion der Beobachter anspielte und es ist ein gutes Gefühl, dass uns diese verdammt vielversprechende Story, deren Vorgeschmack in #4.19 bereits sehr interessant war, nun tatsächlich in der finalen Staffel bevorstehen wird.

"It's going to be okay."

"You know, for the first time I don't think it is."

Und somit waren es die ein oder anderen wirklich rührenden und schönen Szenen zwischen den Charakteren sowie ein Verhör der etwas anderen Art, die positiv in Erinnerung bleiben. Ansonsten verabschiedet sich die vierte Staffel von "Fringe" mit einer finalen Episode, die leider unerwartet schwach ausfiel. Sei es das unausgegorene Drehbuch, die teils absolut hanebüchen Szenen oder die unzufrieden beendete Staffelhandlung, die noch dazu die bittere Erkenntnis bereithielt, dass die große folgenübergreifende Handlung der vierten Staffel nur auf ein Finale hinausarbeitete, das keinerlei relevante Nachwirkungen für die kommende Staffel zu haben scheint. Traurig aber wahr: Alles für den weiteren Verlauf der Serie Relevantes hätte man nicht nur in eine Episode stopfen können, sondern wurde uns auch tatsächlich nur in einer Episode präsentiert. Und so kann man den Autoren für #4.19 Letters of Transit nur dankbar sein, denn durch diese Folge ist mein Interesse an der fünften Staffel wirklich enorm, wohingegen ich nach diesem Finale deprimierter denn je bin.

Alles in allem und ganz unabhängig davon, dass durch das Finale die komplette vierte Staffel nachträglich in einem deutlich schwächerem Licht erscheint, erhält #4.22 Brave New World: Part 2 lediglich das Prädikat "ganz unterhaltsam", was für das Finale einer Serie, die im Jahr zuvor noch mit das Stärkste war, das die vergangene Fernsehseason zu bieten hatten, einem Schlag ins Gesicht gleicht.

Dankenswerterweise haben wir Zuschauer jetzt vier Monate Zeit, diese Staffel irgendwie aus unserem Gedächtnis zu verbannen und mit größtem Optimismus einer sicherlich furiosen finalen Staffel entgegenzublicken, die die Serie hoffentlich zu einem runderen Abschluss bringen wird, als es diese Staffel getan hätte. Bis dahin, wie Walter eine Folge zuvor so schön sagte: Peace out!

Manuel H. - myFanbase

Die Serie "Fringe - Grenzfälle des FBI" ansehen:


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