Bewertung

Review: #1.17 Ein schmaler Grat

Foto: Julianna Margulies, Good Wife - Copyright: Paramount Pictures
Julianna Margulies, Good Wife
© Paramount Pictures

Viel ist passiert, in diesen 40 Minuten von "Good Wife". Zuallererst natürlich einer der anrührendsten Fälle der bisherigen Geschichte der Serie, denn das Schicksal eine kleinen Babys geht einem als Zuschauer doch immer sehr nahe. Dieser Effekt wurde hier noch dadurch gesteigert, dass es eben Will ganz besonders so ging. Will ist ja ein eher ambivalenter Charakter innerhalb der Welt von "Good Wife". Einerseits präsentiert er den Gegenpol zu Alicias untreuem Ehemann und durch die grundlegend sympathische Art von Josh Charles ist man immer in Versuchung, in ihm einen reinen good guy zu sehen. Aber sein moralisches Verhalten in vielen Belangen der Justiz und der Kanzlei ist doch oft sehr, sehr fadenscheinig und profitorientiert. So richtig taugt er also nicht, um ihn als Alicias weißem Ritter auf dem schönen Pferd zu stilisieren. Aber genau darin liegt auch die Stärke von "Good Wife", die sich Folge für Folge immer klarer herauskristallisiert. Keiner der Protagonisten ist moralisch einwandfrei und selbst Saint Alicia begeht hier einen klaren Betrug sowohl an Peter, als auch an Will.

Aber von Anfang an. Beschäftigen wir uns erst einmal mit dem Justizfall der Woche, der die phänomenale Rückkehr von Patti Nyholm, nun mit Baby im Arm, bedeutet. Patti ist von den bisher kennengelernten Gegner sicher eine der unterhaltsamsten, Martha Plimpton hat sichtlich Spaß an ihrer Rolle und wie Patti nach ihrer Schwangerschaft nun ihr Baby als Ablenkungsmittel gegenüber dem Richter einsetzt, ist äußerst amüsant. Ich könnte mir ihre Wortgefechte mit Will stundenlang ansehen und gerade in diesem Umfeld hier, in dem es weniger gezwungen als vor einem richtigen Gericht zugeht, kommen diese so richtig zur Geltung. Aber auch abgesehen von ihrem Gastspiel war es wieder ein spannender Fall, der einen über die volle Laufzeit gut unterhalten hat und der ohne eine aufdringliche Parallelität zu erzeugen, dennoch das Seelenleben unserer Protagonisten wiedergespiegelt hat.

Und dann war da ja auch noch der Kuss. So sehr ich darauf gehofft und auch ein bisschen gewartet habe, so wenig habe ich ihn hier kommen sehen und ich war völlig überrascht, fasziniert und gefangen genommen von Wills spontaner Geste und besonders von Alicias Erwiderung. Besonders die Inszenierung der direkten Zeit danach, mit Alicias Flucht in die Garage, ihrer impulsiven Rückkehr und dann ihrer überraschenden Kompensation mit Peter. Ich saß mit angehaltenem Atem vor dem Fernseher, so aufwühlend wurde das Geschehen präsentiert. Das Alicia hier Peter mehr oder weniger benutzt, um ihre Gefühle irgendwie abzureagieren, obwohl sie klar Will in Gedanken hat, stößt sie natürlich von ihrem hohen moralischen Ross, auf dem sie bisher völlig zurecht platziert war. Aber egal ob Alicia nun mit Peter schläft, um sich selbst zu beweisen, dass sie zu ihm gehört, oder ob sie mit ihm schläft, weil sie Will nicht haben kann, es ist keine Geste der selbstlosen Liebe und das weiß sie. Da sie Peter nach ihrer gemeinsamen Nacht auch noch nicht wieder dauerhaft in ihr Bett lässt, kann man vermuten, dass zwischen ihnen das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Das ausgerechnet nach dieser Nacht Will vor ihrer Tür steht, um Peter um dessen Hilfe in dem Fall zu bitten, ist natürlich clever eingefädelt von den Autoren. Denn beide sind im Rahmen der Serie noch nie aufeinander getroffen und bezeichnender Weise verfällt Alicia in Anbetracht der beiden Männer in ihrem Wohnzimmer auch gleich wieder in alte Verhaltensmuster und kocht Kaffee und verteilt Snacks (auch wenn sie ihren ersten Reflex in dieser Richtung dann doch noch abschwächt). Das sie im anschließenden klärenden Gespräch zwischen ihr und Will dann auch weniger auf die Tatsache, dass sie verheiratet ist Wert legt, sondern viel mehr darauf, dass sie ihren Job liebt und diesen nicht durch ein eventuelles Verhältnis zu Will gefährden möchte, zeigt auch, dass sie selbst bemerkt hat, welche Wirkung dieser Vorfall auf sie hatte und sie versucht nun Schadenbegrenzung zu betreiben. Hut ab, innerhalb von wenigen Szenen wurde so einerseits die moralische Überlegenheit der Alicia Florrick demontiert aber gleichzeitig ihr Hang zur Professionalität um einiges gesteigert. Und Hut ab, ich hätte in Anbetracht des einfach nur hinreißenden Josh Charles in diesen Moment nicht eine solche Stärke besessen.

Was man von Peters neuer Liebe zur Religion halten soll, kann ich meinerseits noch nicht so recht einschätzen. Es wirkt ja bisher doch noch sehr ehrlich und aufrichtig von ihm und Pastor Isaiah macht ja auch schnell klar, dass er keiner ist, der sich nur für nette Fototermine vor die Kamera stellt und Hände schüttelt. Aber was Peter mit diesem plötzlichen Sinneswandel bezwecken will, bleibt mir eben noch unklar. Glaubt er wirklich, so sich im wahrsten Sinne des Wortes von seinen Sünden reinzuwaschen? Tut er dies wirklich, um Alicia seine reinen Absichten zu demonstrieren? Daran glaub ich ja selbst am allerwenigstens, denn bisher interpretiere ich ihre Reaktion auf die ganze Sache mit Peters neugefundenem Glauben ja auch eher als skeptische Zurückhaltung. Die subtile Ironie, dass Alicia gerade ihren Ausbruch auf die wilde und unmoralische Seite des Lebens hat, während Peter sich der Frömmigkeit zuwendet, entgeht mir natürlich nicht und die weiß ich wie immer sehr zu schätzen.

Fazit

Episode #1.17 Ein schmaler Grad ist in allen Aspekten Unterhaltung auf allerhöchstem Niveau. Die Serie zeigt im finalen Drittel der Staffel, was sie drauf hat und steigert sich von Mal zu Mal. In diesem Beispiel werden die Höhepunkte einiger länger währender Handlungsstränge so perfekt mit einem fesselnden Fall der Woche verwoben, dass man im Nachhinein gar nicht sagen kann, welcher Teil der Folge einem besser gefallen hat. "Good Wife" ist endgültig im Kreise der großartigen Dramaserien angekommen.

Cindy Scholz - myFanbase

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