Bewertung

Review: #2.02 Beirut

"Homeland" legt ein Tempo vor, das seinesgleichen sucht. Kaum hat sich Brody in der letzten Folge vollkommen überraschend vor seiner Familie zum Islam bekannt, holen die Macher der Serie in #2.02 Beirut Is Back zum nächsten Paukenschlag aus – und zwar so richtig. Und das schon in der zweiten Folge dieser Staffel! Was soll da noch kommen? Wie wollen die Autoren dieses hohe Erzähltempo aufrechterhalten? Und vor allem: Wenn schon die ersten beiden Episoden mit derartigen Überraschungen aufwarten, auf was können sich die Zuschauer dann noch gefasst machen? Nach guter alter "Homeland"-Manier hoffentlich auf so einiges. Aber erst einmal der Reihe nach.

"I made a mistake." - "It happens."

In Brodys Familienleben scheinen sich die Wogen nach den Vorkommnissen im Staffelauftakt geglättet zu haben. Brodys Islam-Bekenntnis wird nur in einer kurzen Szene zwischen Jessica und Dana thematisiert. Dabei ist schnell zu merken, dass Jessica mit dieser neuerlichen Enthüllung ihres Mannes noch immer nicht ganz umzugehen weiß. Ansonsten fühlt sie sich in der Washingtoner High Society rund um Vizepräsidenten-Gattin Cynthia Walden sichtlich wohl und wird auch prompt in die Organisation eines Charity-Events eingespannt. Und auch Dana scheint sich mit Cynthias Sohn Finn anzufreunden – trotz anfänglicher Skepsis ihm gegenüber.

Für Brody haben währenddessen ganz andere Dinge Priorität. Dinge, von denen seine Familie nicht die geringste Ahnung hat. Ganz im Gegensatz zu seinen ehemaligen Marine-Kameraden. Denn ohne es zu wissen, haben sie genau den richtigen Riecher: Sie haben starke Zweifel am offiziellen Bericht über die Todesumstände von Tom Walker und bitten Brody darum, Nachforschungen anzustellen. Mit ihren vermeintlichen Verschwörungstheorien treffen sie so exakt ins Schwarze, dass Brody im wahrsten Sinne des Wortes ins Schwitzen gerät. Und der Zuschauer gleich mit ihm.

Lauder: "Walker is dead."

Brody: "That's right."

Lauder: "A brother Marine. It is fucking unbecoming your lack of interest in the truth of his demise."

Brody: "You want the truth? Walker broke. He gave up everybody's position including yours. All of you here. I was there. I heard it. And I know you're all waiting for some other explanation that somehow keeps Walker the guy you knew. But the fact is, Walker is not the person you think he is. He stopped being a Marine the day he turned traitor."

Nur mit Mühe und Not kann sich Brody aus dieser Unterhaltung retten. Die Frage ist jedoch, ob sich seine Kameraden mit Brodys Erklärung zufriedengeben werden. Wohl kaum. In jedem Fall eine interessante Entwicklung, die in den kommenden Folgen hoffentlich noch für ordentlich Zündstoff sorgt. Trotzdem kommt man nicht umhin, in Brodys Worten unterschwellig auch etwas anderes zu lesen: Bezieht er sich wirklich nur auf Walker? Ist Walker der einzige Verräter? Oder nagt es nicht doch an seinem eigenen Gewissen, dass er sich von Nazir für dessen Machenschaften hat einspannen lassen und damit nicht nur sein Vaterland, sondern auch seine Kameraden und seine Familie betrügt?

Hier wird fortgeführt, was in der letzten Woche begonnen wurde: Brody sitzt zwischen allen Stühlen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, als er sich gemeinsam mit Walden plötzlich in einem Raum voller hochrangiger Militärs wiederfindet, die seit Jahren nichts anderes wollen, als Abu Nazir zu fassen, was ihnen diesmal auch fast gelingt. Mit seiner Warnung an Nazir riskiert Brody zum wiederholten Male Kopf und Kragen für diesen Mann, und jedes Mal zieht sich die Schlinge um seinen Hals weiter zu. Dass es ihm reicht, wird später in einer Unterhaltung deutlich, die Brody mit Roya Hammad führt. Er betont nochmals, dass er nicht mehr länger für Nazir tätig sein kann. Roya lässt jedoch nicht locker. Nachdem alle Argumente, die an Brodys Verstand appellieren, nichts nützen, gelingt es ihr ihn mit einem simplen "He needs you" zu besänftigen. Offenbar ist Brody Abu Nazir emotional so tief verbunden, dass er ihm einfach nicht in den Rücken fallen kann. Seine Loyalität ist ungebrochen. Und trotzdem wird man den Eindruck nicht los, dass Brody immer stärker bewusst wird, dass es ein Fehler war, sich auf Nazirs Seite ziehen zu lassen. Durch sein Gespräch mit Dana drängt sich einem sogar der Gedanke auf, dass er sich insgeheim wünscht, dass die Menschen in seinem Leben irgendwann in der Lage sind ihm zu verzeihen, sollten sie jemals die ganze Wahrheit über ihn erfahren.

"I have never been so sure and so wrong."

Stand in der letzten Folge Carries innere Zerrissenheit und ihre persönliche Weiterentwicklung im Vordergrund, widmet sich #2.02 Beirut Is Back vor allem ihrer Beziehung zu Saul, die seit Carries Nervenzusammenbruch distanzierter geworden ist. So dient diese "Homeland"-Episode insbesondere dazu, das ursprüngliche Vertrauensverhältnis der beiden wiederherzustellen, auch wenn das nicht ganz so einfach ist. Während Carrie sich nicht an Anweisungen hält, zweifeln Estes und Saul an ihrem Urteilsvermögen, was wegen ihrer Krankengeschichte nachvollziehbar scheint. Dennoch ist es für sie eine ungewohnte Situation bei der Mission in Beirut keine eigenen Entscheidungen treffen zu dürfen, sondern nur 'zu Gast' zu sein, während Saul das Sagen hat. Man merkt hier deutlich, dass ihr das Agenten-Dasein im Blut steckt. Sobald sie gefordert ist, läuft sie zur bekannten Hochform auf und wirkt dabei fast wieder wie die alte... Aber eben nur fast. Denn Carrie ist sich ihrer Sache selbst ganz und gar nicht sicher: Als Estes und nicht zuletzt auch Saul an den beschafften Informationen und Carries Urteilsvermögen zweifeln, löst dies bei ihr eine Panikattacke aus, die Claire Danes – wie auch schon den Nervenzusammenbruch am Ende der letzten Staffel – unglaublich authentisch darstellt. Als Zuschauer kann man gar nicht anders und MUSS mit ihr fühlen. Im Gespräch mit Saul, der sie zu beruhigen versucht, offenbart Carrie ihre Unsicherheit: "It fucked me up, Saul. Being wrong about Brody. It really… It fucked me up. Because I have never been so sure and so wrong. And it's that fact that I still can't get my head around. It makes me unable to trust my own thoughts. Every time I think I see something clearly now, it just disappears."

Die Autoren von "Homeland" geben ihrer Figur Tiefgang. Carrie ist keine 08/15-, jedes Klischee erfüllende Geheimagentin, die man schon aus zig anderen Filmen oder Serien kennt. Sie ist tough, kann durchgreifen und Härte zeigen, wenn es sein muss. Und doch hat sie auch diese andere, wahnsinnig zerbrechliche Seite und ist (zumindest zum jetzigen Zeitpunkt der Serie) innerlich alles andere als stabil. Carries innerer Tumult, der schon in der letzten Folge Thema war, wird hier nochmals aufgegriffen und auf die Spitze getrieben. Sie weiß selbst nicht mehr, was sie noch von sich halten soll, was richtig oder falsch ist. Wie soll sie dann von anderen vollstes Vertrauen in ihre Fähigkeiten erwarten? Schön ist an dieser Stelle, dass es schließlich Saul ist, der ihr letztlich genau dieses Vertrauen entgegenbringt, indem er Fatimas Informationen als glaubwürdig beurteilt. Die CIA versucht daraufhin Abu Nazir bei besagtem Treffen mit Fatimas Ehemann auszuschalten, scheitert jedoch. Dank Brody - wie der Zuschauer weiß.

Im Übrigen ein wahres Highlight dieser Folge! Die wahrscheinlich spannendste Sequenz der bisherigen Staffel zeigt in einer tollen Schnittfolge abwechselnd Estes, Brody, Carrie und Saul, wie sie live die Militäroperation zur Ergreifung Abu Nazirs in Beirut verfolgen. Nicht nur sind die Nerven aller Beteiligten, auch die des Zuschauers, bis zum Zerreißen gespannt. Nun werden auch die bis dahin separaten Erzählstränge um Carrie und Brody geschickt miteinander verwoben. Sie treten hier als Antagonisten auf: Carrie will das eine, Brody das andere. Mit beiden fiebert man gleichermaßen mit. Carrie wünscht man, dass die Ergreifung Nazirs gelingt, damit sie aus diesem Erfolgserlebnis neue Stärke ziehen kann. Brody hingegen drückt man die Daumen, dass seine Warnung an Nazir nicht auffliegt und er aus dieser äußerst prekären Situation unbemerkt herauskommt.

In Hinblick auf Carries Figurenentwicklung zeigt #2.02 Beirut Is Back, dass sie und Saul zwar die eine oder andere Meinungsverschiedenheit haben und ihr Verhältnis sicherlich noch nicht wieder das alte ist. Doch gerade in der Szene, in der Carrie aus Fatimas Wohnung Material beschafft, das für die CIA von Nutzen sein könnte, wird klar, dass sich beide nach wie vor uneingeschränkt aufeinander verlassen können, sobald es hart auf hart kommt. In Saul hat Carrie also noch immer weitaus mehr als nur einen gewöhnlichen Kollegen.

Zurück in den USA kehrt sie in das Haus ihrer Schwester zurück und damit in ein Leben voller Vorstadtidylle, Kinderspielzeug und Patriotismus, der sich für den Normalbürger lediglich darauf beschränkt, die US-amerikanische Flagge im eigenen Vorgarten zu hissen. Ein Leben also, das so ganz und gar nicht ihres ist und nach dem Carrie sich trotz ihres gefährlichen Einsatzes in Beirut nicht zurücksehnt. So schlägt dann auch die Wanduhr, als Carrie allein in ihrem beschaulichen Wohnzimmer sitzt, und erinnert sie ganz im Sinne Aschenputtels daran, dass jede noch so schöne Fantasie irgendwann ein Ende hat und stattdessen der Alltag Einzug hält. Eine ziemlich treffende Symbolik, der sich die Macher der Serie hier glücklicherweise sehr subtil, aber dennoch effektiv bedienen.

"My name is Nicholas Brody..."

Während sich Carrie also zwangsläufig mit ihrem bürgerlichen Leben abfinden muss, macht Saul in den von ihr aus Fatimas Wohnung gestohlenen Dingen eine Entdeckung, die endgültig beweist, dass alle Zweifel von und an Carrie unbegründet sind. Übereifer hin oder her, ihre Intuition hat sie noch nie im Stich gelassen - nicht einmal bei Brody. Und ab jetzt weiß das nicht mehr nur der Zuschauer, sondern auch Saul…

Was für ein Ende!

Saul weiß Bescheid. Brody ist entlarvt.

Wer, bitte schön, hätte DAMIT gerechnet!??? Das ist Folge ZWEI!

Ein echter Schocker.

Vor allem: Wer hätte gedacht, dass dieses kleine Video aus der letzten Staffel, das man als Zuschauer schon gar nicht mehr auf dem Schirm hatte, plötzlich so wichtig werden würde?

Vor dieser Serie und dem Mut der Autoren muss man wirklich den Hut ziehen. Schon jetzt, zu diesem frühen und absolut unerwarteten Zeitpunkt in dieser Staffel, kommen sie mit einem derartigen Hammer um die Ecke und drehen die Storyline damit mal eben um komplette 180 Grad.

Eines ist klar: Diese Wendung verändert einfach alles. Die ganze Dynamik der Serie wird auf den Kopf gestellt. Carrie kann nun hoffentlich ihre Selbstzweifel ad acta legen. Saul, Estes, Walden und Co. wissen nun, wer der Maulwurf in ihren Reihen ist und werden vermutlich entsprechende Maßnahmen in die Wege leiten. Und Brody… Ja, Brody – aus dieser Schlinge wird er seinen Hals nun definitiv nicht mehr ziehen können… (Obwohl man bei dieser Serie ja nie so genau weiß…)

Auf jeden Fall hat "Homeland" hier einen Cliffhanger aus dem Ärmel gezaubert, wie er im Buche steht. Der Zuschauer bleibt mit offenem Mund vor dem Fernseher zurück und kann mit Sicherheit gar nicht früh genug erfahren, wie es in der nächsten Folge weitergeht. Neben all den tiefen charakterlichen Einblicken, die diese Episode geliefert hat, geht's spannender wohl wirklich nicht mehr. Hut ab – und schnell weiter zu Folge 3!

Franziska G. - myFanbase

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