Bewertung
Grossman, Wassili

Leben und Schicksal

"Der in Versklavung gefallene Mensch wird aufgrund seines Schicksals zum Sklaven, nicht aber aufgrund seiner Natur. Der natürliche Freiheitsdrang des Menschen ist unauslöschlich; man kann ihn unterdrücken, doch ausmerzen kann man ihn nicht. Der Totalitarismus kann nicht auf Gewalt verzichten. Verzichtet er auf Gewalt, so bedeutet das den Untergang des Totalitarismus. Immerwährender, nie endender, totaler oder indirekter, getarnter Terror ist die Basis des Totalitarismus. Freiwillig verzichtet der Mensch nicht auf Freiheit. In dieser Erkenntnis leuchtet ein Licht für unsere Zeit, ein Licht für die Zukunft."

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Inhalt

Als Anfang Februar 1943 die sechste Deutsche Armee in Stalingrad kapituliert, bedeutet dies nicht nur die Wende im Zweiten Weltkrieg, für die Sowjets ist Stalingrad auch ein Wendepunkt in ihrem Verhältnis zu Diktatur und Terror. Mit großer Anteilnahme beschwört man Episoden aus dem Kampf an der Wolga, erzählt vom Häftlingsleben und -sterben im deutschen KZ und in den sowjetischen Gulags, wobei die frappierende Verwandtschaft von Nationalsozialismus und Sowjetregime offengelegt wird.

Ob der Physiker Strum, die weitverzweigte Stalingrader Familie Schaposchnikow und der in einem deutschen Lager inhaftierte Michail Mostowskoi, oder die deutschen und sowjetischen Militärs, Wissenschaftler und Bürger - all diese Einzelschicksale werden zu einem großen Erzählkosmos verwoben, der trotz der Schrecken des Totalitarismus von der Hoffnung nicht lässt: der einfachen menschlichen Güte, die selbst dann ihre Wirkung zeigt, wenn die äußeren Ereignisse gleichgültig und brutal über sie hinweggehen.

Kritik

Was wäre wenn sich der Faschismus, der Antisemitismus und der Bolschewismus in Europa des letzten Jahrhunderts nicht ausgebreitet hätten wie eine abtrünnige, widerliche und ekelerregende Würgeschlange? Hätten wir dann niemals aus den begangenen Fehlern lernen können? Aber "was wäre wenn" sollte man sich niemals stellen, da das nur von einer fiktionalen Vorstellung in die nächste führt.

Betrachten wir den Menschen als nie perfekt von Gott gestaltenes Werk, und somit nur von Fehlern überhäuftes Wesen, der eigentlich den Sinn der Perfektion in sich trägt, aber diese Position niemals erreichen würde, da er sich so immer mehr dem Göttlichen nähern müsste, so kann man eigentlich verstehen, weshalb seine Ignoranz vor der Vernunft steht. Der Mensch, so scheint es, lernt aus seinen Fehlern, aber wir sehen unsere Welt, und was sehen wir? Alles wiederholt sich. Fehler aus der Vergangenheit werden erkannt, und man versucht sie auszumerzen, es besser zu machen, doch dann auch nur für eine kurze Dauer, denn sobald der Mensch einen Vorteil für sich aus den Fehlern sieht, vergisst er, welche Folgen sie hatten, und begeht es von neuem. Schließlich ist Demokratie und Autokratie nicht weit von einander entfernt, wie wir immer wieder feststellen mussten und müssen.

Wassili Grossman prangert diese Wertvorstellung an, doch gehört haben ihn nur wenige, weshalb es eine Schande der Gesellschaft ist, sich eines solchen Werkes zu entziehen. Man liest lieber Romane von verloren gegangenen Liebschaften oder unbedeutende Kriminalromane, die wenig Tiefe und Aussage enthalten. Dabei enthält dieses Buch genau das, was man sich nur wünschen kann: den Schmerz einzelner Personen, wie sie die Hölle auf Erden überstehen müssen, und das an den verschiedensten Orten der Welt. Alle sind sie weit entfernt, doch verbindet sie alles eines - die Qualen und der Terror einer Instanz. Die Rede ist vom autoritärem Staat, oder dem Totalitarismus.

Mit journalistischem Einfluss schrieb Grossman sein Werk, für welches wir uns bei Andrej Sacharow bedanken müssen, da er dieses überhaupt durch die sowjetischen Grenzen bringen und eine Erstauflage erstellt werden konnte. Leider nicht mehr zu Lebzeiten des Autors.

Doch ausschließlich um den Totalitarismus, nur des autokratischen Hintergrundes wegen, verfasste Grossman dieses Buch nicht. Sein Lebenswerk schrieb er, um das Leiden und die wenigen Glücksgefühle, um die die Menschen in der Zeit kämpfen mussten, aufzuzeigen und um den Menschen unserer Zeit zu verdeutlichen, dass das alles kein reines Glücksspiel ist. Die Volkssouveränität in der Welt sinkt, und die meisten schauen weg. Das Machtgefüge wiederholt sich in der Welt. Wer verteidigt noch das System, das in der Welt eine Balance des Friedens und der Demokratie sichert? Etwa die UNO, deren größte Mitgliedsländer eine autoritäre politische Linie führen, und die restlichen augenscheinlich vorbeisehen?

Nein, der Mensch lernt zwar nie aus, doch ist seine ausgeprägte Dummheit der einzige Stein, der ihn zum Stolpern bringt. Nur der Stolperstein von diesem Jahrhundert wurde noch nicht geworfen. Erst wenn die erkämpfte Freiheit verloren gegangen ist, und man sich an alte Zeiten zurückbesinnt, wird es schon zu spät sein. Die Schicksale werden sich wiederholen, und ein anderer wird von diesen berichten, doch wird dies unnötig sein, da ein Griff zu Grossman gereicht hätte. Es ist nicht nur ein Werk des Jahrhunderts, wie es etwa "Krieg und Frieden" im 19. Jahrhundert war, es ist ein Epos für die Ewigkeit, das uns aufzeigt, dass die freie Marktwirtschaft nicht die letzte Stufe der Entwicklung ist. Somit hatte auch Karl Marx Recht, nur was wird die nächste Stufe sein? Der Kommunismus ist es auf jeden Fall nicht.

Fazit

Wer ein Fünkchen Vernunft hat, sich nicht für perfekt hält, und nichts daran auszusetzen hat, Angesprochenes zu intensivieren, wird sich für dieses Buch begeistern.

Ignat Kress - myFanbase
27.05.2008

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