Engel des Universums

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Mit "Engel des Universums" ist dem isländischen Schriftsteller Einar Már einer der größten internationalen Erfolge der skandinavischen Literatur gelungen. Auch die Verfilmung des Romas konnte über die Landesgrenzen hinaus für Aufsehen sorgen. In der Kolumne wollen wir euch Roman und Film vorstellen.

Entstehung des Romans

Seinen 1993 erschienenen Roman "Engel des Universums" widmet Einar Már seinem ein Jahr zuvor verstorbenen älteren Bruder Pálmi, der im Mai 1992 sein Leben, das von der Geisteskrankheit Schizophrenie geprägt war, im Alter von dreiundvierzig Jahren beendete. Einar Már lehnt die Geschichte seines Protagonisten Páll an die seines Bruders an. Wie Páll wurde Pálmi am 22. April 1949 geboren und verbrachte viele Jahre seines Lebens in der Nervenheilanstalt Kleppur.

Roman

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Schon zu Anfang erfährt der Leser durch den Ich-Erzähler, dass dieser seine Lebensgeschichte erzählt, nachdem er bereits verstorben ist. Dadurch hat der Erzähler die Möglichkeit, mit Abstand über sein Leben zu reflektieren, er ist Subjekt und Objekt zugleich. Durch diese Spaltung klingt die Thematik der Schizophrenie bereits auf struktureller Ebene an.

Die Erzählung wird insgesamt von einem Traum der Mutter Pálls eingerahmt. In der Nacht vor seiner Geburt träumt sie von vier Pferden, die in Gefahr geraten. Drei von ihnen laufen vor der Gefahr davon, nur das vierte, das einzig gefleckte und somit andersartige Pferd strauchelt und stirbt. Die Mutter selbst ist im Traum noch ein Kind und kann dem Pferd nicht helfen. Aus diesem Traum erwacht sie, weil sich Pálls Geburt ankündigt. Der Traum steht für das Leben als Mutter, da sie vier Kinder hat, von denen das einzige andersartige, nämlich das an Schizophrenie erkrankte, frühzeitig verstirbt, und auch in diesem Fall kann sie die Entwicklung nicht aufhalten.

Der Schwerpunkt des ersten Teils liegt auf der Jugend Pálls, der sich der Aufgabe gegenübersieht, im städtischen Leben Reykjavíks der fünfziger Jahre in einer Außenseiterposition das Erwachsenwerden bewältigen zu müssen. Er wird geboren an dem Tage, an dem Island in die Nato eintritt, am 22. April 1949, und erlebt sein Heimatland in der Nachkriegszeit, als man versucht, die alten Traditionen Islands zu wahren, während man sich gleichzeitig dem Fortschritt des Westens öffnet.

Dass die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Wahnsinn verschwimmen, deutet sich innerhalb dieses ersten Teils mehrfach an. Der Erzähler geht mit der Schilderung seiner Geisteskrankheit ganz selbstverständlich um, auch in ihrem frühen Stadium, als sie gerade erst im Entstehen ist. Ebenso schildert er, scheinbar völlig aus dem Kontext gegriffen, bereits gegen Ende des ersten Teils, was es mit den Zuständen in Kleppur auf sich hat, indem er von einem Osterfest erzählt, an dem Patienten aufgrund mangelnden Personals mit Medikamenten ruhig gestellt werden. Der Erzähler wertet diese Begebenheiten aus der Distanz allerdings genauso wenig, wie er den Verlauf seines Lebens an sich in Frage stellt.

In der zweiten Hälfte, die den Titel "Wandelnde Schattenbilder" trägt, liegt der Schwerpunkt auf Pálls Lebensumständen, nachdem die Krankheit in seinem Leben die Oberhand gewonnen hat. Der Anlass für seine Einweisung in Kleppur ist ein aggressiver Anfall, nachdem Páll realisiert, dass seine große Liebe Dagný die Beziehung zu ihm mit Nachdruck beenden will. Keineswegs aber bewertet der Erzähler diese Tatsache als Ursache für seine Geisteskrankheit an sich.

Der Aufenthalt in Kleppur ist gezeichnet von deutlichen Stimmungsschwankungen. So beschreibt der Erzähler im fließenden Wechsel einerseits allerhand Streiche, die er mit den anderen Patienten gemeinsam spielt und die von Humor und Leichtigkeit zeugen, andererseits Gewaltausbrüche, die mit seinen Anfällen einhergehen, und die dazu im starken Kontrast stehen. Seinem Tod geht Páll in aller Ruhe entgegen, nicht während eines Anfalls und auch nicht während seines Aufenthalts in Kleppur, vielmehr erst, nachdem er "ins Leben entlassen" wird. So wie Páll seine Krankheit mit Selbstverständlichkeit schildert, so erscheint ihm auch der Tod "als Beginn eines Weges in ein für ihn lebenswerteres Leben".

Der Schluss des Romans lässt den Leser nicht im Schock zurück, vielmehr in der Gewissheit, dass es Páll dort besser geht, wo er jetzt ist, und nicht zuletzt gelingt dem Erzähler dies, indem er für seine Mutter in den abschließenden Worten des Romans die "Morgensonne" aufgehen lässt.

Entstehung des Films

Für das Drehbuch zum Film "Engel des Universums" hat Einar Már selbst seinen Roman adaptiert. Friðrik Þór fungiert sowohl als Regisseur als auch als Produzent. Im Rahmen des Island Bilder Festivals 2005 ist Friðrik Þór am 19. November bei der Vorführung des Films "Engel des Universums" zugegen und beantwortet Fragen aus dem Publikum, unter anderem meine eigenen.

Er spricht von Einar Már als seinem besten Freund und hat insofern die Entwicklung der Geisteskrankheit des Bruders aus der Nähe miterlebt. In einem bildlichen Vergleich des Lebens mit einem Friedhof sagt er, dass er mit diesem Film, an dessen Idee er sechs Jahre gearbeitet hat, ein Grabstein für den Bruder seines Freundes setzen will. Damit verarbeitet er das Geschehene mit den Mitteln seines Mediums ebenso wie Einar Már durch das Romanschreiben. Zum Zeitpunkt des Filmdrehs lebten auch Pálmis Eltern noch. Durch ihr Einverständnis und das Schreiben des Drehbuchs Einar Márs selbst zeigt der Film das Geschehen auf eine sehr persönliche Art und Weise. Kleinste Details weisen auf die realistische Nähe des Films zur echten Geschichte hin, so besetzt Friðrik Þór zum Beispiel seinen eigenen Sohn in der Rolle des kleinen Bruders Pálls.

Der Film erzielte in seinem Erscheinungsjahr 2000 in Island einzigartige Erfolge, ein Drittel der Bevölkerung sah den – dort als Komödie betrachteten - Film im Kino.

Film

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Umfasst wird die gesamte Geschichte von einer Rahmensequenz, die einen Traum der Mutter von vier Pferden erzählt, der in Parallelität zu Pálls Leben steht. Hingeführt zum ersten Teil dieser Rahmensequenz wird man von Páll selbst, der in Form des Erzählers aus dem Off die ganze Geschichte kommentiert. Seine Worte schweben mit einer ebensolchen Leichtigkeit über der Geschichte, wie die Kamera im Vorspann über den Wolken mit Blick auf Reykjavík, und diese Leichtigkeit ist es auch, die dem Zuschauer die Selbstverständlichkeit näher bringt, mit der der Erzähler seine Geschichte über den zweiten Teil der Rahmensequenz am Ende des Films und weiterhin auch über seinen eigenen Tod hinaus kommentiert. Die Vogelperspektive des Vorspanns in Kombination mit den Worten "ich bin nicht tot" aus dem Epilog des Films vermitteln dem Zuschauer den Eindruck, einen Charakter vor sich zu haben, der sich in der sprichwörtlich grenzenlosen Freiheit befindet.

Der erste Handlungsabschnitt ist ähnlich einer Einleitung. Er zeigt uns den jungen erwachsenen Páll im Kreise seiner Familie und vor allem auch in der glücklichen Beziehung mit seiner Freundin Dagný. Der Charakter ist gezeichnet als empfindsamer, reflektierender Poet, der sich in der realen Welt als "Wolke in Hosen" versteht. Einwände und Kritik an der ungleichen Beziehung zu der sozial höhergestellten Dagný scheinen Páll nicht in seiner schönen Illusion erschüttern zu können. Rasch aber wechselt diese Stimmung zu Beginn des zweiten Handlungsabschnitts. Die Traumwelt zerbricht, Dagný beendet die Beziehung. Páll verzweifelt und wird von innerer Unruhe und Kopfschmerzen heimgesucht. Beim Ergründen der Ursache für diese Labilität attestiert ihm sein Arzt "Kopfschmerzen im Herz". Im weiteren Verlauf der Trennungsphase überkommen Páll Stimmungsschwankungen von Aggression bis hin zur Depression.

Im nächsten Handlungsabschnitt werden Pálls Wahnvorstellungen eingeführt. Er leidet sogar im eigenen Elternhaus unter Paranoia und wird von ersten schizophrenen Anfällen, dargestellt durch traumartige Bilder, heimgesucht, denen zufolge er ausrastet, was ihm eine Nacht in einer Gefängniszelle einbringt und letztlich seine Einweisung in die "Irrenanstalt" Kleppur begründet.

Der vierte Handlungsabschnitt zeigt uns Páll bei seinem ersten Aufenthalt in Kleppur. Die getragene Stimmung in der Anstalt wirkt antithetisch zu den sich überschlagenden Ereignissen im voherigen Handlungsabschnitt. Páll wird durch Medikamente ruhiggestellt und findet seine Hauptbeschäftigung, ähnlich wie auch die übrigen Patienten, im die Nerven betäubenden Rauchen. Der Erzähler erklärt im Voice Over seine Situation gänzlich ohne Groll und ohne jegliche Wertung gegenüber der Einrichtung oder der Krankheit an sich. Das Tempo dieses Handlungsabschnitts wirkt insgesamt behäbig, woran auch kurze handgreifliche Auseinandersetzungen mit den Pflegern nichts ändern. Sie wirken vor allem daher wie selbstverständlich, weil die Grenzen zu diesen wenigen Szenen fließend verlaufen.
Die Gespräche Pálls mit seinen Mitpatienten bewegen sich auf der gleichen Realitätsebene wie unter Menschen mit normalem Bewusstsein. Auf diese Weise entsteht der Humor des Films, so zum Beispiel wenn der Patient Viktor erzählt, wie er auf den Namen Adolf Hitlers einen Bankkredit aufgenommen hat.

Im folgenden Abschnitt wird Páll aus der Anstalt entlassen und zieht wieder im Elternhaus ein. Er wirkt allerdings stark entfremdet und driftet ziel- und planlos umher, bis er eigenmächtig die "verfluchten Pillen" absetzt. Eine kurze Euphoriephase schlägt daraufhin alsbald wieder in aggressive Attacken um, die dazu führen, dass er erneut in Kleppur eingewiesen wird.

Den zweiten Anstaltsaufenthalt zeigt der nächste Handlungsabschnitt. Durch Medikamente gedämpfte Phasen, Therapiesitzungen und gemeinsame Unternehmungen mit den gleichen Mitpatienten wie auch im ersten Anstaltsaufenthalt wechseln sich in diesem vergleichsweise langen Abschnitt ab. Auch beinhaltet er die längste Szene des Films. Sieben Minuten dauert die Szene im Hotelrestaurant „Grill“, die mit humorvoller Liebe zum Detail darstellt, wie Páll und seine Freunde es sich, statt zur Beerdigung ihres Freundes Pétur zu gehen, ohne Geld bei einem kulinarischen Festmahl gutgehen lassen.

Erneut wechselt die Stimmung aber abrupt, als Páll kurz nach dem Besuch seines besten Freundes aus Schultagen, Rögnvaldur, von dessen Selbstmord erfahren muss. Diese trostlose Atmosphäre beibehaltend beginnt der nächste Abschnitt der Geschichte damit, dass Páll nach seiner Entlassung aus der Anstalt in ein Sozialasyl einzieht. In der realen Welt weiß er nichts mit sich anzufangen, und nachdem er in seiner Einsamkeit auch noch überfallen und seiner niedrigen Sozialrente beraubt wird, bleibt für ihn als letzte Konsequenz nur noch der Sprung vom Balkon des Sozialasyls.

Pálls Entwicklung insgesamt wird von Ingvar Eggert Sigurðsson "mit mal stiller, mal mit wütender Intensität" gespielt, sich immer fühlbar "auf der Kippe zwischen Rausch und Wahn" befindend.

Filmsprache: Bild und Ton

Friðrik Þórs Bildsprache ist sehr intensiv gezeichnet. Sie ist abwechselnd poetisch, humorvoll und zutiefst deprimierend. Das eindringlichste filmische Stilmittel für die Thematik des Films ist das Ausblenden von Filmelementen. So ist die Welt des Schizophrenen: Reales und Irreales alternieren im willkürlichen Wechsel. Als weiteres Stilmittel benutzt Friðrik Þór häufig Einstellungen, in denen Páll in oder hinter Glasscheiben zu sehen ist. Eine typische Metonymie für das Krankheitsbild des gespaltenen Bewusstseins zeigt in diesem Zusammenhang die Szene bei der Polizei, nachdem Páll den Türsteher des Restaurants angepöbelt hat, in dem sich Dagný aufhält: eine doppelte Spiegelung Pálls, einmal im Fenster und gleichzeitig in der Scheibe eines Bilderrahmens. Eine Steigerung dieses Eindrucks bildet die letzte Dialogszene mit Dagný. Sie sitzt auf einem Stuhl vor ihrer Spiegelkommode und spricht nur mit Pálls Spiegelbild, der hinter ihr auf dem Bett sitzt. Die Einstellung, in der man Páll in der kleinen, nackten Polizeizelle auf der Pritsche liegen sieht, bildet eine Synekdoche für das Gefangensein in der Geisteskrankheit, was noch verstärkt wird aufgrund der Kamerafahrt durch das enge Zellenfenster.

Insgesamt sind die Kamerabewegungen ruhig gehalten. Es gibt keine schnellen Schnitte. Dafür aber bewirken häufig auftretende grelle und leuchtende Farben, dass dem Zuschauer ein Gefühl von Beklemmung und Anspannung vermittelt wird. Im Kontrast dazu stehen Anfang- und Schlussszene, in denen die Mutter Pálls einmal im blassen Seitenlicht und einmal im gedämpften Gegenlicht zu sehen ist. Diese Szenen verbreiten ein Gefühl der Ruhe, wobei diese Atmosphäre in der Anfangsphase eher trostlos erscheint, während sie in der Schlussszene durch einige Sonnenstrahlen, die durch die Vorhänge scheinen, hoffnungsvoll wirkt.

Das Leitmotiv des Soundtracks von Hilmar Örn Hilmarsson ist bedrückend, so wie auch alle anderen Melodien hoffnungslos und verstörend klingen. In den Szenen, die Pálls Anfälle zeigen, unterstützt der Soundtrack die Stimmung mit regelrecht nervenaufreibenden, schmerzverzerrenden Geigenklängen, die diesen Darstellungen dazu verhelfen, jede für sich einen eigenen Klimax im Spannungsbogen des Films zu bilden. Weiterhin sind eigenständige Lieder eingesetzt, die den Szenen eine zusätzliche Bedeutung verleihen. So zum Beispiel nachdem Páll seinen Vater in einem aggressiven Anfall dazu gezwungen hat, ihm Geld zu geben, und barfuß mit seinem Radio in der Hand davonrennt: Diese Szene wird begleitet von dem Lied "Don´t let me be misunderstood", was unterstreicht, dass Páll sich von seiner Umwelt konstant missverstanden fühlt.

Die letzten zehn Minuten und der Abspann des Films werden komplett von zwei Liedern der isländischen Gruppe Sigur Rós begleitet, beginnend mit "Dánarfregnir Og Jarðafarir", welches eine neue Interpretation einer Radiomelodie ist, mit der Todes- und Beerdigungsnachrichten angekündigt werden. Darauf folgt "Bium Bium Bambalo", ein altisländisches Wiegenlied. Sigur Rós haben diese beiden Lieder nicht speziell für "Engel des Universums" eingespielt, daher ist es besonders faszinierend, dass sie die Aufnahmen gerade beendet hatten, als sie gebeten wurden, zwei Lieder zum Soundtrack beizusteuern. Denn "Dánarfregnir og jarðafarir" signalisiert dem Zuschauer nicht nur drohendes Unheil, sondern begleitet sowohl den Überfall und auch den Selbstmord Pálls, während das Wiegenlied "Bium Bium Bambalo" die Trauer der Eltern untermalt. De Positionierung dieses Wiegenliedes ist so zu verstehen, dass Páll sich nach seinem Tod erst wirklich geborgen fühlt.

Symbole und Motive

Das symbolbildende Leitmotiv des Films stellen zweifellos die Engel und die daran anknüpfende Symbolik aus der christlichen Religion dar. Zunächst findet sich die wörtliche Wiederkehr des Ausdrucks in den Aussagen des Familienfreundes Baldvin, der laut der Mutter Pálls in dessen Kindheit über ihn sagte: „Dies Kind beschützen Engel“. Kurz vor dem Ende seines Lebens trifft Páll noch einmal auf diesen Mann, der ihm nach spontaner Einschätzung mitteilt: "Du hast nicht auf deine Engel geachtet", wodurch dem Zuschauer der Eindruck entsteht, dass Pálls Krankheit nur um sich greifen konnte, weil er seinem Schutzengel abtrünnig geworden ist. Páll dagegen bezeichnet sich selbst und alle anderen Geisteskranken als die "Engel des Universums", was nach christlicher Auffassung bedeutet, dass sie als Boten Gottes in Menschengestalt, die nicht an die Rechte und Pflichten der menschlichen Sinneswelt gebunden sind, auf die Welt gesandt wurden. Friðrik þór geht in dieser Richtung der Symbolik noch weiter: Er lässt Páll in der Szene nach seinem Angriff auf den Angestellten des Restaurants, in dem Dagný sitzt, auf dem Wasser gehen, womit er die Anschauung der Isländer in Szene setzt, dass Behinderte heilig sind.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Roman und Verfilmung

Zuschauer haben eine gewisse Erwartungshaltung an Verfilmungen eines Romans, den sie vorher gelesen haben, und nehmen den Film meist nicht als eigenständiges Werk wahr. Besonders bei der Auswahl der Schauspieler können sich aufgrund dessen Enttäuschungen einstellen. Der Zuschauer füllt die Leerstellen in der Handlung mit seiner eigenen Phantasie und hat daher das Gefühl, an der Handlungsentwicklung einen gewissen Anteil zu haben. Beim Casting der Schauspieler aber und damit an der Entwicklung der Filmcharaktere ist er nicht beteiligt und reagiert daher oftmals mit Skepsis. Dies ist allerdings nur ein Aspekt, der bei Literaturverfilmungen Anlass zu Diskussionen gibt. Im folgenden werde ich näher auf die Hauptgemeinsamkeiten und –unterschiede des Romans "Engel des Universums" und seiner Verfilmung eingehen.

Eine wichtige Gemeinsamkeit von Roman und Film ist das Leitmotiv Engel. Die Hauptgemeinsamkeit der beiden Werke aber liegt meines Erachtens im unprätentiösen Umgang mit der Geisteskrankheit Pálls. Weder im Roman noch in der Verfilmung wird sozial- bzw. gesellschaftskritisch mit der Thematik umgegangen, auch gehen weder Romanautor noch Regisseur mit den Reaktionen innerhalb Pálls Familie oder dem Pflegepersonal der Einrichtung und ihrer Behandlung der Patienten ins Gericht. Beide Medien zeigen, dass es wie unter Menschen in der normalen Welt auch in der Anstalt Ärzte und Pfleger gibt, mit denen die Patienten ein besseres Auskommen haben als mit anderen, und zu keiner Zeit werden die Zustände in Kleppur derart aussichtslos und menschenverachtend dargestellt wie in "Einer flog über das Kuckucksnest" mit Robert de Niro. Positive Momente ebenso wie Ungerechtigkeiten und Auseinandersetzungen erleben die Patienten in Kleppur gleichermaßen wie die meisten gesunden Menschen. Der Eindruck, dass weder die Anstalt noch die Außenwelt ein perfektes Leben bieten kann, wird sowohl im Roman als auch im Film vermittelt; die Botschaft aus Rögnvaldurs Feststellung "Kleppur ist überall" transportieren beide Werke.

In der Wahl Ingvar Eggerts als Darsteller des Páll manifestiert sich eine leichte Charakterverschiebung gegenüber dem Protagonisten des Romans. Friðrik þór arbeitet häufig mit dem gleichen Team an Schauspielern zusammen und sagt, dass die Besetzung der Hauptrolle für ihn von Anfang an feststand. Nach meiner persönlichen Einschätzung wäre Hilmir Snær Guðnason, der Darsteller des Pétur, eine treffendere Wahl gewesen, da er durch seine weicheren Züge und schmalere Statur empfindsamer wirkt als der vergleichsweise grobe Ingvar Eggert. Auch wenn dieser die Rolle mit all ihren Facetten zweifellos ausfüllt und glaubwürdig verkörpert, so hätte man den Poeten und Künstler in Hilmir Snær optisch stärker erkannt.

Friðrik þór bedient sich der künstlerischen Freiheit, das Kind Péturs auf die Welt kommen und zum Kleinkind heranwachsen zu lassen, während Pálls kleine Geschwister nicht älter zu werden scheinen. Diese Tatsache kombiniert mit der Aussparung der Kindheit Pálls kommentiert Friðrik þór folgendermaßen: "Ich wollte damit letztlich einen zeitlosen Raum schaffen. Das Buch geht etwa von 1949 bis 1982. Ich habe die Kindheit weggelassen und so weiter, weil ich nicht wollte, dass die Leute aus dem Kino kommen und sagen: 'Aha, so lief das also damals. Gut, dass es vorbei ist.'" Damit weist er darauf hin, dass er mit dem Film an das Toleranzdenken des Zuschauers appellieren will.

Einar Már hat es als Drehbuchautor geschafft, die Aussage seines Romans trotz aller nötigen Kürzungen zu erfassen, und der Regisseur Friðrik þór setzte das Skript offensichtlich mit all seinem Herzblut filmisch um, weshalb man den Film mit wenigen Abstrichen als dem Roman ebenbürtig bezeichnen kann.

Nicole Oebel - myFanbase