Bewertung

Review: #4.09 Konturen der Zukunft

Mal ganz ehrlich: eine Folge, die zu etwa 75 Prozent Screentime mit Michael Emerson bietet? Kann das weniger als 9 von 9 Punkten geben?

Ganz klar: Nein!

#4.09 Konturen der Zukunft liefert uns endlich das heißerwartete Ben-Flashforward und wir werden nicht enttäuscht – denn neben einem mehr als genialen Flashforward haben wir auch noch ein wildgewordenes Lostzilla, fünf Tote (von denen drei ihre Funktion als Kanonenfutter vorbildlich erfüllt haben) und einen heldenhaften Sawyer. Ich würde sagen: Volltreffer, Darlton!

"We're all gonna die."

Camp Locke: Der Diktator, Sawyer und Hurley spielen eine Partie Risiko. Es muss wohl nicht gesagt werden, dass dieses Trio einfach herrlich ist. Und, dass diese Partie womöglich eine sehr bedeutungsschwere ist: nicht nur sagt Hurley, dass Australien der "Schlüssel" sei, Sawyer erwähnt auch Sibirien – dies erinnert den eingefleischten "Lost"-Fan natürlich an Pennys Portugiesen im Iglu aus #2.24 sowie an Mikhail Bakunin, der in #3.11 erzählte, dass er auf einem Abhörposten in Wladiwostok (Sibirien) stationiert war. Besonderes interessant ist hierbei, dass Sawyer sich dafür entscheidet, Sibirien zu attackieren – eine Andeutung auf Zukünftiges?

Dann plötzlich... drrrrriiiiiiiiiiiiinnnnnnnggg!

Oh, wie köstlich. Das Telefon klingelt. Und das ist so normal, dass es schon wieder absurd ist. Dementsprechend verdutzt sitzen die drei Männer am Tisch und starren auf den Apparat, ja sogar Aaron guckt das Telefon an. Locke hebt ab und es ertönt eine Computerstimme, die "Code 14J" wiederholt. Die drei denken sich, dass so etwas Abgedrehtes eigentlich nur mit Ben zu tun haben kann und erzählen ihm von "Code 14J". Ben ist völlig aus dem Häuschen und packt gleich mal ein Gewehr aus dem Klavierstuhl.

Was lernen wir? Wenn Ben mal in Panik ist, dann ist es echt Zeit für Panik.

Der Angriff der Widmore-Söldner unter der Führung von Keamy lässt nicht lange auf sich warten. Das Feuer wird eröffnet, die Bazookas geladen und es folgt ein unfreiwillig komischer Moment: Sawyer fragt Mann #1 nach Claire, da wird Mann #1 plötzlich erschossen. Frau #1 kommt aus dem Haus, um nachzusehen und wird erschossen. Mann #2 tritt hinaus, um nach Frau #1 zu sehen und wird erschossen. Hah! Nur Sawyer überlebt das geballte Kreuzfeuer und kann Claire heldenhaft aus den Trümmern ihres Hauses retten.

Währenddessen haben sich Locke, Ben und Hurley verbarrikadiert. Locke und Ben sind radikal und wollen Sawyer und Claire doch tatsächlich nicht hineinlassen (!), doch da schreitet Hurley zur Tat. Während beraten wird, was als nächstes zu tun ist, ereignet sich die zweite alltägliche-aber-deswegen-total-absurde Aktion: es läutet an der Tür. Es ist Miles, der ein Walkie-Talkie für Ben hat sowie die eher weniger erfreuliche Nachricht, dass Keamy Alex in seiner Gewalt hat. Ben, der Meister der Verhandlung, willigt ein, mit Keamy zu reden, doch tragischerweise schätzt er seinen Gegner falsch ein und Keamy erschießt Alex, ohne mit der Wimper zu zucken. Woah. Zugegeben, nach dem Tod von Karl und Rousseau hätte ich mit dem Tod von Alex erstmal nicht gerechnet.

Michael Emerson erreicht in dieser Szene mal wieder die absolute Höchstform. Er schafft es, dass Ben einem förmlich leid tut (!), dann jagt er einem eine Gänsehaut über den Rücken, als er sich erhebt, irgendetwas von "They changed the rules" murmelt und hinter der Hieroglyphen-Tür verschwindet. Einige Zeit später erscheint er wieder, absolut beherrscht, allerdings von oben bis unten dreckig (fantastisch: "Excuse me, James."). Und dann... beginnt die Erde zu beben.

Zwei Worte: Lost. ZILLA!

Es ist nicht das erste Mal, dass wir den Schwarzen Rauch in Aktion sehen, aber diesmal geht es wirklich zur Sache. Wie ein Tsunami in Rauchform reißt Lostzilla einfach alles mit, was ihm in den Weg kommt und verarbeitet Keamys Männer und die umstehenden Bäume zu Kleinholz. Miles, der Smokey zum ersten Mal sieht, fallen förmlich die Augen aus dem Kopf, aber zugegebenermaßen, ich saß nicht weniger baff vor dem Bildschirm. Da fragt Hurley das, was wahrscheinlich jeder in diesem Moment dachte: "Did you just call that thing?" Ben jedoch sieht sich das Massaker mit einem süffisanten Blick an, was ich als ein Ja interpretieren würde. Hat Ben tatsächlich Lostzilla gerufen? Und wenn ja, was war der Preis dafür? Wir wissen ja, dass es auf der Insel viele Mächte gibt, doch nichts ist kostenlos. Daher stellt sich nicht unbedingt die Frage, wie Ben Lostzilla hergeholt hat, sondern vielmehr was er dafür im Gegenzug tun musste.

"Were you ever gonna take us off this island?"

Währenddessen am Strand: Kate und Jack wechseln ein paar bedeutungsschwere Blicke, was alle Jate-Herzen wahrscheinlich höher schlagen lässt. Juliet hingegen wird von Jack gekonnt ignoriert. Moment mal... war da nicht neulich ein Kuss? Anscheinend nicht. Zumindest nicht, was Jack betrifft.

Da wird die Leiche von Dr. Ray an Land gespült, mit einer Narbe an der Backe und einem sauberen Schnitt durch den Hals. Ein weiteres Opfer des "Lagerkollers"? Oder hat ihn jemand umgebracht?

Doch es kommt noch viel interessanter: Daniel gelingt es, das Funkgerät zu einem Telegraphen umzubauen und dank Bernard erfahren alle eine verblüffende Nachricht, nämlich, dass Dr. Ray noch quietschfidel auf dem Frachter herumläuft. Wenn die Zeitverschiebung zwischen der Insel und dem Rest der Welt aber tatsächlich 31 Minuten und 18 Sekunden beträgt (#4.02), dann dürfte sich das innerhalb der nächsten halben Stunde ändern...

Daniel schafft es in dieser Episode tatsächlich, eine halbwegs überzeugende Lüge aufzutischen – Pech nur, dass Bernard Morsezeichen versteht. Jack kriegt natürlich die Krise, dass Dan gelogen hat, doch er muss sich zurückziehen, denn ihn plagen Schmerzen. Soso. Der Anführer schwächelt, das dürfte interessant werden.

"Oh, so you do speak English?"

Nun kommen wir aber zum besten Teil: dem genialen, unglaublich packenden Flashforward von Mr. Linus.

Dieses beginnt schon mal äußerst ominös: Ben erwacht mit einer Dharma-Winterjacke bekleidet und verletztem Arm mitten in der Sahara. Schaut man genau hin, sieht man, dass sein Atem noch ein Kältewölkchen produziert, was zusammen mit der Winterjacke stark darauf hindeutet, dass Ben zuvor in einer kälteren Umgebung gewesen ist. Zudem gibt es keine Spuren im Sand. Erklärung bitte? Nein? Dann stellt sich schon mal Frage #1: Wie zum Kuckuck ist Ben dort gelandet? Und wo war er zuvor? In Sibirien etwa?

Zwei Beduinen kommen angaloppiert, die Ben sowohl mit Arabisch als auch Türkisch anspricht. Wen wundert's? Mich nicht, Ben ist schließlich Ben. Oder Bond: in bester Agentenmanier erledigt er die beiden Beduinen, schnappt sich ein Pferd und reitet los. Er landet in Tozeur in Tunesien, wo er sich als Dean Moriarty ausgibt und in ein Hotel eincheckt, in dem er dem Blick der Rezeptionistin nach mal einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben muss. Dankenswerterweise fragt er dann nach dem aktuellen Datum und vor allem nach dem aktuellen Jahr, sodass sich die Frage nach Flashback/-forward/-time klärt. Es ist der 24. Oktober 2005, ein Jahr und ein Monat nach dem Flugzeugabsturz. Da sieht Ben Sayid auf dem Bildschirm, der seine Frau beerdigen will... der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

"I'm here to find the man who murdered your wife."

Ben verfolgt Sayid und Ishmael Bakir, einer von Widmores Leuten, der Nadia umgebracht hat, in den Irak. Doch warum? Wir können vermuten, dass Ben von Anfang an geplant hatte, Sayid auf seine Seite zu bringen und für ihn arbeiten zu lassen. Berechnend wie er eben ist, schafft Ben es, Sayid genau an dem Punkt zu packen, an dem er ihn kriegen kann: er erweckt das Verlangen nach Rache in ihm. Sein Plan geht auf: er bringt Sayid dazu, aus freien Stücken die Zusammenarbeit mit Ben vorzuschlagen und schließlich sehen wir, wie Ben mit einem zufriedenen Lächeln davongeht. Genial. So haben wir endlich erfahren, wie es zu der Kooperation zwischen Ben und Sayid in #4.02 gekommen ist und, dass der "Economist" offenbar Charles Widmore ist.

Charles Widmore. Wer hätte je gedacht, dass Pennys fieser Vater sich als eine zentrale Figur im "Lost"-Universum herausstellen würde? Widmore ist so etwas wie Bens Nemesis und gleichzeitig hat man am Beginn der Schlussszene in London auch irgendwie das Gefühl, dass Ben und Widmore womöglich einst einmal Freunde waren.

Von freundschaftlicher Natur ist Bens Besuch allerdings nicht: er ist gekommen, um Widmore anzukündigen, dass er Penny töten wird, um sich so an ihm dafür zu rächen, dass er Alex getötet hat. Bemerkenswerterweise sagt Widmore, dass Ben Penny nie finden würde. Was bedeutet das? Wo ist Penny? Und wieso kann Ben eigentlich Widmore nicht umbringen? Hat das ebenfalls damit zu tun, dass die Insel Widmores Tod nicht zulassen würde, was sowohl Ben als auch Widmore wissen? Oder ist es nur Teil ihrer Regeln, sich nicht gegenseitig zu töten?

Und dann Frage #4815: Wieso nennt Widmore Ben "boy"? Das lässt mir keine Ruhe. Wir wissen ja, dass Zeit relativ ist im "Lost"-Universum – kann es also sein, dass Widmore vergleichsweise viel älter als Ben ist und einfach nur nicht äußerlich gealtert ist, so wie anscheinend Richard Alpert auch? Wie ja mehrfach in dieser Episode klar wird, scheint Widmore mindestens einmal schon auf der Insel gewesen zu sein und könnte – ähnlich wie Alpert – Unsterblichkeit erlangt haben. Wer weiß, vielleicht muss er zurück auf die Insel, um diese zu bewahren und ist deswegen so versessen darauf, die Insel zu finden?

Zu guter Letzt stellen beide Männer klar, dass der Kampf begonnen hat. Ben vs. Widmore. Und Team Darlton entlässt uns mit einem fantastischen Enddialog, bei dem Ben – natürlich – das letzte Wort hat. Gut so.

Widmore: That island's mine, Benjamin. It always was. It will be again.

Ben: But you'll never find it.

Widmore: Then I suppose the hunt is on for both of us.

Ben: I suppose it is. Sleep tight, Charles.

Maria Gruber - myFanbase

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