Bewertung

Review: #1.12 Hinten anstellen

Foto: Mike Colter & Krysten Ritter, Marvel's Jessica Jones - Copyright: Marvel Television and ABC Studios
Mike Colter & Krysten Ritter, Marvel's Jessica Jones
© Marvel Television and ABC Studios

Die vorletzte Folge setzt unmittelbar nach den Ereignissen der vorherigen an und zeigt Jessica und Luke nach der Explosion wieder vereint. Die Rückbesinnung auf die Auseinandersetzung mit der Beziehung von Jessica und Luke ist dann auch das bestimmende Thema der Folge, in der langsam und bedächtig die Weichen gestellt werden für das Finale. Dabei offenbart sich aber auch erneut eine der zentralen Schwächen der ersten Staffel in Form einer teilweise unnötig langgezogenen Dramaturgie, die erst verzögert auf den Punkt kommt. Nach dem Höhepunkt der Serie in der achten Folge wirkten die darauffolgenden Episoden trotz einiger grandioser und kraftvoller Momente ziemlich gestreckt und in Bezug auf die erneute Flucht von Kilgrave arg konstruiert. Mit einer 10-teiligen Staffel und einer dadurch zwangsläufig mehr komprimierten Erzählweise wäre das Endergebnis wohl noch etwas runder ausgefallen.

Den Großteil der Folge nimmt die Detektivarbeit von Jessica und Luke ein, die Indizien nachgehen, um an Kilgrave zu kommen, der mit Hilfe seines Vaters seine Kräfte verstärken will. So hofft er, einerseits größere Menschenmassen manipulieren zu können, andererseits aber auch Jessica wieder unter Kontrolle zu kriegen. Die Spurensuche gestaltet sich aber eher unspektakulär, da Kilgrave Jessica und Luke stets zwei Schritte voraus zu sein scheint. Ein etwas ärgerlicher Höhepunkt in dieser Hatz nach Kilgrave ist ein erneuter ziemlich drastischer Gewaltausbruch, der in der Dramaturgie der Folge eigentlich keinen wirklichen Zweck erfüllt, außer erneut zu schockieren und zum wiederholten Male zu symbolisieren, was für ein Psychopath Kilgrave ist. Eine solche Effekthascherei hat die sonst in vielen Momenten auf Subtilität setzende Serie eigentlich gar nicht nötig. Eine weitere verstörende, psychopathische Kilgrave-Szene bezieht sich auf einen Moment mit seinem Vater, welcher um eine kurze Auszeit bittet und dafür von seinem Sohn auf brutale Art und Weise in die Schranken gewiesen wird. Ein Mixer spielt dabei eine zentrale Rolle. Diese Szene funktioniert deshalb besser, da hier die Gewalt mal nicht zum äußersten getrieben wird und dadurch eher ein Kopfkino in Gang gesetzt wird, was weitaus effektiver ist, als eine weitere Blutfontäne.

Spannung bezieht die Folge nicht durch die Jagd auf Kilgrave, die erst in den letzten zehn Minuten wirklich an Fahrt gewinnt, sondern durch die Darstellung der Beziehung von Jessica und Luke, die sich einander wieder langsam annähern. Der stärkste Moment der Folge, in der Luke Jessica vergibt und ihr wieder sein Vertrauen schenkt, wird schließlich aber über die Ereignisse in den finalen Minuten der Folge augenscheinlich konterkariert, stellt sich hier doch raus, dass Kilgrave Luke zu einem Großteil der Zeit unter seiner Kontrolle hatte und so auch den Moment der Vergebung angeblich fingiert hat. In welchen Momenten Luke aber tatsächlich unter der Kontrolle Kilgraves stand, kann noch nicht in Gänze beantwortet werden, da auch diese Behauptung wieder nur eines von Kilgraves kranken Spielen sein könnte.

Neben der Fokussierung der Ermittlungen von Jessica und Luke und den Experimenten Kilgraves gibt es in dieser Folge noch zwei weitere Nebenplots. In einem trifft Trish auf ihre um Vergebung bittende Mutter, was zu einer Intensivierung dieser Beziehung führt. Nebenher entdeckt Trish noch den Umstand, dass Jessicas Krankenhausrechnungen nach ihrem Unfall in der Kindheit von einer ominösen Organisation namens IGH bezahlt wurden. Hier wird wohl bereits der Grundstein gelegt für eine ziemlich wahrscheinliche zweite Staffel, beziehungsweise für Elemente, die auch in der kommenden "Luke-Cage"-Serie wieder aufgegriffen werden könnten.

So sehr man sich über jede Szene mit Trish freut, so uninteressant gestalten hingegen sich die Szenen, die sich um Malcolm und Jessicas Nachbarin Robyn drehen. Hatte Malcolm kurzzeitig noch eine sinnvolle Funktion im übergreifenden Narrativ der ersten Staffel, so zerrte Jessicas Nachbarin zumeist eher an den Nerven und zeichnete sich darüber hinaus eher für die Konstruktion entbehrlicher Konflikte aus. Die Darstellung ihrer Trauerarbeit hätte deshalb auch wesentlich komprimierter dargestellt werden können und wirkt in dieser Folge zumeist eher wie Füllmaterial.

Wie bereits eingangs erwähnt, dümpelt die Folge streckenweise so vor sich hin und hat nur in der Jessica-und-Luke-Beziehung vereinzelt starke Momente zu bieten. Das Gaspedal wird jedoch in den finalen Minuten der Folge kräftig durchgetreten, als es zu einem erneuten Aufeinandertreffen von Kilgrave und Jessica in einer leeren Konzerthalle kommt. Da Kilgrave trotz der Erweiterung seiner Kräfte immer noch keinen Zugang zu Jessicas gedanklicher Schaltzentrale hat, spielt er Luke gegen sie aus und es kommt zu einem brutalen Kampf zwischen Luke und Jessica, in dem diese versucht ihn aus Kilgraves Gedankenkontrolle zu reißen. Dieser Kampf mündet in einen grausigen finalen Moment, in dem deutlich wird, dass Jessica zum Äußersten gehen muss, um Luke aus seinem Wahn zu befreien. Die hier ausgetauschten Blicke, als Jessica Luke mit einer Flinte ins Gesicht schießt, sprechen Bände und können zu den emotionalsten Momenten der ersten Staffel gezählt werden. Die komplizierte Beziehung zwischen Jessica und Luke wird hier somit geschickt und actionreich auf die Spitze getrieben.

Insgesamt hinterlässt die zwölfte Folge einen zwiespältigen Eindruck: Einerseits handelt es sich hier über weite Strecken um ein kraftvolles Charakterdrama voll kleiner subtiler Momente gelungener Figurenentwicklung. Andererseits wird dieses immer wieder durchbrochen von störenden Momenten, die die Haupthandlung kaum voranbringen und sich entweder in effekthascherische Brutalität verlieren oder Charaktere in den Vordergrund rücken, zu denen im Verlauf der ersten Staffel nur teilweise oder überhaupt keine Bindung hergestellt werden konnte. Ausgeglichen werden diese Schwächen aber durch das fulminante Finale, in der die in Bezug auf Luke und Jessica geleistete Charakterarbeit kulminiert in einer aufrüttelnden und emotionalen Actionsequenz, die optimal einstimmt auf das anstehende Finale.

Moritz Stock - myFanbase

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