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Decemberists, The

The Decemberists im Flex in Wien

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Durch das Erscheinen ihres neuen Albums "The Crane Wife" ergab sich für die Decemberists erstmals die Gelegenheit, in Österreich aufzutreten – und für ihre Fans, die liebenswürdig-verrückte Folkband aus Portland zum ersten Mal live zu sehen. Diese Chance ließen sich auch einige ungarische Fans, Tschechen und sogar Austauschstudenten aus den Staaten nicht entgehen – auch wenn sich Colin Meloy über die kulturelle Vielfältigkeit freute, konnte er es doch nicht lassen, ein "these fuckin’ americans are everywhere" anzuhängen.

Die Vielfältigkeit war auch im Publikum breit gesät: Neben den üblichen Normalos und leicht alternativ Angehauchten schlichen ein paar Gestalten herum, die gut und gerne selbst aus einem Stück der Band stammen könnten, elfengleiche Mädchen, ein vom Wetter und Leben geprägter Seebär und – mein absoluter Favourit – ein Opa im Ramones-Shirt und einer Harley Davidson-Jacke.

Eines hatten aber alle gemeinsam: Es herrschte strenges Rauchverbot - allerdings für einen guten Zweck, wie die zahlreichen Plakate aufmerksam machten: "Wegen einer Allergie des Sängers/Songwriters bitten wir auf ausdrücklichem Wunsch der Band Decemberists beim heutigen Konzert nicht zu rauchen!"

Um Colin Meloy zu schonen, kam man dieser Bitte gerne nach (zumindest so lange, bis der letzte Ton verklungen war) – wie es da bei der mit Blumen geschmückten Sängerin der Vorgruppe "Lavender Diamond" stand, ist eher unklar: Sie wirkte tatsächlich ein wenig eingeraucht – entweder das oder sie hat sich das Hippietum soweit verinnerlicht, dass sie nicht mehr anders kann, als mit großen Augen in der Gegend herumzuschweben, ab und zu auf und ab zu hüpfen, mit verklärter Stimme blumige Sätze von sich zu geben und alles "beautiful" zu finden. Dennoch wirkte sie auf ihre eigene Art und Weise irgendwie liebenswürdig, als sie um Punkt 20 Uhr die Bühne betrat und ein wenig unbeholfen versuchte, das anfangs skeptische Publikum für sich und ihre Band zu gewinnen. Nach einer halben Stunde voll mit Dramatik, Leidenschaft und Händegefuchtel vorgetragenen Songs gelang ihr das auch ansatzweise.

Mission erfüllt, also ging man zum nächsten Punkt über: Während man auf die Bühne haufenweise Instrumente schleppte und diese allesamt dem Soundcheck unterzog, durften die Zuschauer indessen andächtig "Peter und der Wolf" lauschen. Gegen 21 Uhr schien es endlich ernst zu werden: Per Lautsprecher wurde das Publikum unter anderem dazu aufgefordert, sich mit seinem Nachbarn bekannt zu machen und sich näher mit der Architektur der Räumlichkeiten zu beschäftigen.

Ob dem irgendjemand nachgegangen ist, ist fraglich – die Stimmung hob es allemal. Das Erscheinen der Decemberists auf der Bühne tat natürlich sein Übriges – diese legte sofort mit den ersten beiden Stücken des neuen Albums los, also "The Crane Wife 3" und "The Island". Man konnte nicht umhin zu bemerken, wie prächtig die neuen Stücke live funktionieren – sie zogen einen kompromisslos in ihren Bann, und damit nicht nur uns Zuschauer, sondern auch die Band selbst, wie der teilweise arg entrückte Blick von Jenny an den Keyboards bzw. am Akkordeon deutlich machte.

Nach dieser Darbietung nahm sich Colin Meloy erstmal Zeit, ein wenig zu scherzen (auch auf Kosten des Publikums) und eine Wien-Anekdote zum Besten zu geben, bevor man mit "We Both Go Down Together" und "Engine Driver" ein Album weiter zurückgriff. Bei diesen Stücken ebenso wie bei "Billy Liar" von "Her Majesty" war der Wiedererkennungswert sehr hoch, deswegen auch der Jubel dementsprechend groß. Danach widmete man sich wieder ausgiebig dem neuen Album – immerhin galt es ja auch ein bisschen Werbung zu machen -, unter den folgenden drei Stücken befand sich auch die aktuelle Single "O Valencia!", deren erste Töne sofort mit Freude begrüßt wurden.

"16 Military Wives" bot mit seinem "La di da di da" natürlich die ideale Gelegenheit, das Publikum gesangstechnisch einzubeziehen – abgesehen von Meloys kleinem "Oh Vienna"-Vers, den er immer wieder zur eigenen Belustigung heranzog.

"The Crane Wife 1" und "Sons And Daughters" sollten dann auch schon den Abschluss des regulären Konzerts bilden, die unterschiedlichen Rufe nach Songs wie "Soldiering Life" oder den "Revenge Song" ignorierend, holte man stattdessen noch einmal Lavender Diamond inklusive auf und ab hüpfender Sängerin auf die Bühne und sang mit ihnen gemeinsam das Lied zu Ende.

Die Sache mit den Zugaben ist sowieso schon eine abgekartete Sache, dennoch brüllte, klatschte und kreischte man sich die Seele aus dem Leib, um die Decemberists erneut auf die Bühne zu befördern. Und oh Wunder, sie kamen unseren Wünschen nach: Colin Meloy begab sich alleine mit Gitarre vors Mikro und stimmte "Red Right Ankle" an. Dann folgte die restliche Truppe und startete mit "Chimbley Sweep" einen fulminanten Showdown der Extra-Klasse, der klar machte, dass die Decemberists zwar weiterhin in erster Linie schräge, theatralische Käuze mit nur gelegentlichem Bezug zur Realität bleiben, aber dennoch genau wissen, wie man sein Publikum bei Laune hält, Eindruck macht und die großen Posen so richtig gut einsetzt.

"Chimbley Sweep" wurde bis zur Unkenntlichkeit in seine Einzelteile zerlegt, inklusive Improvisation, Jam-Session und Rollentausch zwischen Colin Meloy und Schlagzeuger John (große Überraschung: sie beherrschen auch die Instrumente des jeweils anderen). Letzterer bewies, dass er keine Berührungsängste hat, indem er den Sprung ins Publikum und ein Tänzchen mit einem Zuschauer wagte – dieser schien aber angesichts seines irritierten Gesichtsausdrucks nicht zu sehr auf Körperkontakt zu stehen.

Anschließend begab sich John unter den Anfeuerungsrufen von Gitarrist Chris Funk und Sänger Meloy auf Crowd-Surfing-Reise in die hinteren Regionen des Raumes, genauso wie Bassist Nate und letztendlich sogar Meloys Gitarre, die aber nicht über ein paar Köpfe hinausgelangte.

Naja, aller Anfang ist schwer – etwas, dass die Decemberists mit Sicherheit schon hinter sich gebracht haben. Sie mögen womöglich nicht mehr ganz der Indie-Geheimtipp sein, der sie mal waren, aber man wird bei ihnen nie das Gefühl verlieren, dass sie im Grunde nur Geschichten erzählen wollen, dass sie einfach bloß Märchenonkel der etwas abgefahrenen Art und Weise sind – sie werden nie große Rockstars sein. Deswegen kann man auch darüber hinwegsehen, dass die Spontanität ein bisschen flöten geht und man sich auf bewährte Gags und Durchläufe verlässt.

Richtig schade ist nur die Länge des Konzerts – da wäre ruhig noch mehr drinnen gewesen, vor allem an älterem Material mangelte es. Aber wie heißt es? Man soll dann aufhören, wenn es am schönsten ist.

Setlist

The Crane Wife 3 / The Island / We Both Go Down Together / Engine Driver / Billy Liar / Yankee Bayonet (I Will Be Home Then) / Shankill Butcher / O Valencia! / 16 Military Wives / The Crane Wife 1 / Sons And Daughters / Red Right Ankle / Chimbly Sweep

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Stephanie Stummer - myFanbase
08.03.2007

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