Den Nerv getroffen - Review Staffel 1
Um eine neue Serie auf dem Markt zu profilieren, braucht es eine gute Grundidee, eine Inszenierung, die die Zuschauer zum Dranbleiben zwingt, und am besten auch noch einen sympathischen Cast. Den Erfindern von "Prison Break" ist genau dies gelungen. In einem eher männeraffinen Genre konnte man sogar viele weiblicher Zuschauer überzeugen.
Die Grundvoraussetzung
Der Kriminelle Lincoln Burrows ist wegen des Mordes am Bruder der Vizepräsidentin zum Tode verurteilt wurden und hat nur noch wenige Wochen bis zum Hinrichtungstermin. Michael Scofield führt einen bewaffneten Raubüberfall auf eine Bank durch und versucht erst gar nicht zu fliehen. Er will nach Fox River gebracht werden, wo auch Lincoln einsitzt. Michaels Ziel ist es, über einen detailiert ausgetüftelten Plan den Ausbruch für sich und seinen Bruder zu organisieren, denn er hat das Gefängnis mit geplant und sich die Baupläne des Gefängnisses und andere wichtige Eckpfeiler des Planes als künstlerisches Ganzkörpertattoo verpassen lassen.
Wenn man das so liest, ist man natürlich schnell geneigt, das als völlig absurde Idee zu entlarven. Doch genau das ist das Faszinierende an dieser Geschichte. Sie basiert auf einem unglaublich akribisch vorbereiteten Plan, der wahnsinnig und trotzdem so weit ausgefeilt ist, dass es funktionieren kann. Scofield ist einfach ein unglaublicher Fuchs, was einem gleich mit der ersten Episode bewusst wird. Es gibt eigentlich nichts, was er nicht berücksichtigt oder bedacht hat. Man entwickelt also schnell eine gewisse Art von Zutrauen in diesen Wahnsinn und ist einfach gespannt, wie er das trotz aller Variablen schaffen will.
Doch das ist bei Weitem noch nicht alles. Der Zuschauer wird auch mit der Frage konfrontiert, ob Lincoln denn nun wirklich ein Mörder ist. Michael glaubt fest daran, Lincolns Freundin Veronica Donovan versucht mit Fakten der Wahrheit auf den Grund zu gehen und schnell stellt man fest, dass es bis in die höchsten politischen Ebenen verläuft. Die Hauptcharaktere haben also sofort die Sympathien auf ihrer Seite. Doch eine dicke Verschwörung und eine Mission Impossible sind noch keine Garantie. Um ganz sicher zu gehen, ist eine Ärztin, Sara Tancredi, ein wichtiger Teil der Geschichte. Es gibt also auch genügend Stoff für alle Shipper, obwohl der wesentliche Teil der Geschichten im Männergefängnis abläuft.
Die Storylines
Die Voraussetzungen sind geschaffen und die ersten Episoden machen kaum Fehler. Die Intensität wird gleich zu Beginn enorm gesteigert. Das Gefängnis ist alles andere als einladend, doch die Vielfalt der Charaktere eröffnet einige Potenziale, die man neben der Hauptstoryline gerne verfolgt. Zumal alles miteinander verworren ist. Fernando Sucre ist als Zellenkumpel von Michael zwangsläufig schnell die erste Wahl, um ein Freund und Vertrauter zu werden, John Abruzzi ist als Bösewicht, den Michael für seinen Plan benötigt, gleich ein spannender Charakter. Hinzu kommt der Widerling T-Bag und der gute Beobachter C-Note und weitere Insassen, die ihren Part spielen. Von der Wärterseite aus gibt es ebenfalls einige Spannungsherde. Der Bastelfreund Henry Pope erliegt dem Charme von Michael, was für Hauptwärter Brad Bellick ein Grund mehr ist, absolut skeptisch zu sein. Dieses Spannungsgemisch wurde einfach perfekt ausgearbeitet, denn die Motive des Einzelnen sind nie einseitig, sondern befinden sich immer auf mehreren Ebenen. Persönliche Ziele und persönliche Sympathien oder Antipathien wechseln sich ab. Das sind auch genau die Dinge, die Michael nicht mit in seinen Plan involvieren konnte. Hinter jeder Ecke lauert also ein Problem und diese werden auch immer pünktlich zum Ende einer Episode offenbart, sodass man einfach weiter schauen musste. Positiv ist dabei, dass die Probleme nicht an den Haaren herbeigezogen wurden.
Zumal der nicht-planmäßige Verlauf nicht nur durch gefängnisinterne Querelen zustande kommt, sondern auch von außen bedingt ist. Die politschen Verschwörer sitzen dort am längeren Hebel und versuchen Lincoln so schnell wie möglich los zu werden. Auch in dieser Hinsicht wird Michaels Plan also torpediert, was eine weitere Spannungssteigerung zur Folge hat. In jeder Episode steht Michael mit dem Rücken zur Wand und das ist aufgrund des Planes selbst immer absolut nachvollziehbar. Dass die Hoffnung immer am Leben bleibt, lässt sich auf Michaels Willen und Kreativität, Überzeugungskraft und Durchsetzungsvermögen zurückzuführen. An der ein oder anderen Stelle ist es natürlich auch Glück dabei, dass er einfach haben muss, damit die Serie funktioniert. Trotzdem bleibt hier (gerade im Vergleich zu den letzten beiden Staffeln) alles im Rahmen des Glaubhaften.
Die enge Verzweigung der einzelnen Geschichten ist also ein weiterer Grund, warum die erste Staffel einen solchen Suchtfaktor aufbauen konnte. Jedes kleine Ereignis im Gefängnis kann alles auf den Kopf stellen, die Situation völlig neu gestalten und alles zunichte machen. Überhaupt ist die gesamte Gefängnisdarstellung mit den Insassen und ihren Hahnenkämpfen sehr überzeugend. Jeder hat sein Geheimnis und nicht jeder ist grundsätzlich Böse. Es wird also viel dafür getan, dass man mit den Charakteren sympathisieren kann, manchmal sogar zu viel. Insgesamt stimmte es aber auch hier.
Außerhalb des Gefängnisses machte die politische Verschwörung viele Pluspunkte, auch wenn diese derart verworren war, dass man sehr gut aufpassen musste, um dem folgen zu können. Veroncias Suche und die resolute Jagd der Agenten ließ keine Zeit zum Durchatmen. Auch außerhalb fühlten sich die wichtigen Charaktere gefangen und ständig bedroht und da man auch nie wusste, ob man Nick Savrin nun trauen kann oder nicht, wahr man als Zuschauer einfach auch mittendrin auf der Suche nach der Wahrheit. Da war einfach kein Moment, an dem man abschalten könnte.
Bei so viel Spannung konnte man dann noch einige kleine Romanzen mitverfolgen, die zusätzlich dafür gesorgt haben, dass der Serie nichs fehlt. Dies wurde zudem auch wirklich sinnvoll impliziert, denn wenn man ehrlich ist, liest man aus der Grundkonstellation keine wirklichen Liebesgeschichten heraus. Gerade diese übererfüllten Erwartungen sorgen aber dafür, dass sich eine breite Masse für die Serie begeistern konnte. Neben der spannenden Geschichte konnte man Diskussionen um Sucre und Maricruz, Lincoln und Veronica und ganz besonders natürlich Michael und Sara Tancredi. So gibt es gute Unterhaltung auf allen Ebenen und das sind die besten Voraussetzungen um jeder neuen Folge entgegenzufiebern.
Der Cast
Wenn die Basis vorhanden ist und auch die Autoren für eine gesamte Staffel ein gutes Konzept ausgearbeitet haben, dass den Zuschauer packen kann, ist schon viel geschafft, doch es muss auch noch die wichtige Komponente der Darstellerauswahl passen, um die Leute vor dem Gerät zu halten. Auch hier hat die Serie ein glückliches Händchen bewiesen, denn besonders mit Wentworth Miller hat man auch die weiblichen Zuschauer für die Serie gewinnen können, was nicht in erster Linie an der schauspielerischen Fähigkeit gelegen hat, aber man kann ihm nicht absprechen, dass er Michael Scofield überzeugend das Helfersyndrom verliehen hat und all das Leid der Welt in sich aufzunehmen wusste. Auch bei den ganzen Insassen hat man Schauspieler gefunden, die Skrupellosigkeit und Machtwille miteinander vereinen (insbesondere Robert Knepper) oder aber hilflos und unauffällig wirken wollen (zum Beispiel Amaury Nolasco). Jedem Schauspieler nimmt man seine Rolle ab, auch wenn die ein oder andere Stereotypisierung nicht ausbleibt und gerne auch mal amerikanisch überzogen wird. Hier ist Peter Stomare leider eher negativ aufgefallen. Sehr hinterhältig und gierig konnte auch Wade Williams seinen Charakter des obersten Wärters darstellen und von dieser Seite aus das Potenzial der Serie nutzen.
Die Liste der Namen könnte noch weiter fortgeführt werden, denn im Großen und Ganzen konnte Jeder überzeugen und die Vorgaben umsetzen. Nur die persönlichen Vorlieben lassen hier Differenzierungen zu. So habe ich mich zum Beispiel nur selten mit Sarah Wayne Callies wirklich anfreunden können. Nur wenn sie sich gegen ihren Vater auflehnte, war das für mich überzeugend. Letzlich kann man aber sagen, dass die Schauspieler die intentionierten Wirkungen des Drehbuchs sogar noch verstärken konnten und so ihren Teil zum Gelingen der Staffel beigetragen haben.
Fazit
Die Serie konnte mit ihrer ersten Staffel voll überzeugen, weil alle nötigen Zutaten für ein Gelingen im richtigen Maße vorhanden waren. Gute Schauspieler, eine kreative Basis, spannende Handlungsentwicklung und sogar ein gewisses Maß an Romantik. All dies erschwerte es ungemein, einfach abzuschalten, und so wurde man nahezu süchtig und verfolgte Michaels schier unmöglichen Plan mit großem Interesse. So muss Serienunterhaltung in diesem Genre aussehen.
Emil Groth - myFanbase
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