Psych. Betrachtungen zur ersten Staffel. Live und in Tinte.
Nach den fünfzehn Episoden der ersten Staffel ist es Zeit, ein wenig Bilanz zu ziehen. Wo heute US-Serien oft in einer Art Post-9/11-Depression immer mehr Zynismus, Bitterkeit und Böses auftischen, sticht "Psych" angenehm hervor mit einer sorglosen Munterkeit, die fast schon anachronistisch daherkommt und an flippige Dauerbrenner der 80er erinnern mag. Man schlägt ganz offenbar einen anderen Weg ein als die düsteren Leichenfledderer à la "CSI" oder auch die sensiblen Exzentriker à la "Monk". Hier ist gute Laune angesagt und im Dienste dieses Konzepts werden selbst potenzielle Brandherde - wie das offensichtlich belastete Verhältnis zwischen Shawn Spencer und seinem Vater Henry - auf allerkleinster Flamme und meist spaßig abgekocht.
Die Besetzung
Über die Besetzung gibt es am Ende der ersten Staffel eigentlich nur Gutes zu sagen. Als wahrer Glückstreffer hat sich James Roday erwiesen, der das Zeug zum ganz großen Komiker haben könnte. Es macht schlicht einen irrsinnigen Spaß, ihm zuzuschauen, wenn wieder mal eine eigentlich seriös erworbene Entdeckung als übersinnliche Erleuchtung zu verkaufen ist. Manchmal wandert Roday dabei hart an der Grenze zur nervigen Überzeichnung, aber sein Timing verbessert sich definitiv mit der Routine. Selbst Nuancen der Ernsthaftigkeit streicht Roday sorgfältig heraus, und gerade diese Qualität zeichnet intelligente Komiker aus. Rodays Spielpartner Dulé Hill hat sich ebenfalls gemausert. Vom bloßen watsonesken Sidekick der ersten Folgen bis zum gleichberechtigten Akteur der letzten hat sich Hill in souveräner Manier freigeschwommen und weiß dabei mittlerweile durchaus eigene - nicht nur komische - Akzente zu setzen.
Den längsten Weg auf meiner persönlichen Skala von "nicht mehr wegzudenken" bis "Gott, wie nervig" haben aber die drei von der Polizeidienststelle hinter sich - Timothy Omundson, Maggie Lawson und Kirsten Nelson. Zu Anfang blieb Lawson blaß und austauschbar, Omundson agierte schlicht unsympathisch und Nelson konturlos. Mittlerweile sind die drei eben "nicht mehr wegzudenken". Besonders Omundson offenbart einen erstaunlichen Facettenreichtum als harter Cop, der eigentlich ein bisschen eifersüchtig auf Shawn und überdies auch recht clever ist. Überhaupt: Dass man dem schrägen Duo Shawn & Gus nicht den stereotypen Polizeitrottel beiseite gestellt hat, sondern eigenständig agierende Figuren, verdient ein Lob am Rande.
Maggie Lawsons vornehmliche Eigenschaft ist es zwar noch, die Kumpeline vom Dienst darzustellen und ab und an mit Shawn zu flirten, doch auch sie deutet mehr an, besonders in der letzten Folge, die ihr als Undercover-Cop eine Art Elle-Woods-Imitation abverlangt. Kirsten Nelson als raubeinig-liebenswerte Mutter der Kompanie ergänzt die Vertreter von Recht und Gesetz effektiv. Bliebe da noch Corbin Bernsen. Ich war lange unsicher, wie seine Rolle jetzt eigentlich angelegt sein soll: komisch, realistisch, dramatisch? Bernsen selbst schien das nicht genau zu wissen. Mittlerweile agiert er aber relativ sicher und changiert bei Bedarf solide zwischen den Fächern. Dennoch ist seine Rolle definitiv ausbaufähig. Überhaupt würde ich mir noch deutlichere Thematisierungen abseits vom Fall der Woche wünschen; der familiäre Hintergrund der Spencers böte sicher Stoff für Anekdotisches, und ich persönlich habe es gern, wenn eine Serie immer auch nebenbei an ihrem Fundament werkelt.
Der Inhalt
Kommen wir zu etwas Strukturellem: Am Anfang jeder Folge wird eine Szene aus Shawns Kindheit gezeigt, in der etwas geschieht, dass der Zuschauer meist mit dem aktuellen Geschehen in der weiteren Folge verbinden soll. Da werden kleine Lehren gezogen, an deren Leitfaden Shawn dann später (unbewusst) agiert, oder es wird einfach das Vater-Sohn- bzw. das Beste-Freunde-Verhältnis ausgeführt. Mir fehlt bei den meisten dieser kleinen Eingangsepisoden einfach der Pfiff und dementsprechend dürfte an dieser Stelle ruhig noch etwas zugespitzt und überdreht werden; manchmal wirkt das Ganze einfach zu pädagogisierend. Das mag allerdings auch ein bewusstes Stilmittel sein, um dem späteren Ton ein seriöseres Vorspiel und eine kleine Denkanregung mit auf den Weg zu geben.
Der letzte Blick soll dem gelten, was in herkömmlichen Krimiserien eigentlich im Mittelpunkt steht: der jeweilige Fall der Woche. Und hier verdient sich "Psych" leider einen ernsten Rüffel: Ein Großteil der Fälle ist leider weder originell noch - wenn schon konventionell - raffiniert aufgezogen. Klar, es gibt schöne und noch nicht ausgelutschte Settings zu bestaunen, unter anderem hätten wir da: einen Buchstabierwettbewerb, nachgestellte Bürgerkriegsschlachten, ein Planetarium, eine Comicmesse und so weiter. Und weil "Psych" eben so sehr von der - unumstritten manchmal brillanten - Interaktion der Charaktere und insbesondere von Shawns (bwz. James Rodays) One-Man-Show lebt, übertüncht der obligatorische Parforceritt durch den wackeligen Plot mit Killerdialogen so manche Banalität im Kriminalfall. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Shawns ursprüngliche Legitimation für die Detektivarbeit ja seine herausragende Beobachtungsgabe darstellt. Und da kann das Drehbuch manches Mal punkten, enttäuscht aber auch des Öfteren. Shawn registriert das eine oder andere Mal Kleinigkeiten, die jede gründliche Spurensicherung konventioneller Natur ebenso hätte protokollieren müssen. Oder es sind Beobachtungen, die Shawn zu Schlüssen verleiten, die gar nicht so zwingend sind, wie das Drehbuch es uns glauben machen will. Insbesondere die Pilotfolge wirkte in diesem Punkt schlampig. Dennoch - es gibt auch die wirklich kniffeligen Petitessen, auf die eben keiner kommt, der nicht wie Shawn Spencer von Klein auf dazu angehalten wurde, auch die unwichtigsten Nebensächlichkeiten mit Hingabe zu registrieren. Aber die Trefferquote in dieser Hinsicht muss doch verbessert werden.
Das Fazit
"Psych" besitzt außerordentliches Potenzial, weil uns eine solche Serie gerade noch gefehlt hat - eine Serie, die den unschätzbaren Vorzug eines phänomenalen Hauptdarstellers vorzuweisen hat und die sich mit nahezu aufreizender Lässigkeit wacker dem Zeitgeist entgegen wirft. Offensichtlich hat man nicht auf die einzelnen Elemente, sehr wohl aber auf deren Kombination lange vergeblich gewartet in der heutigen Serienlandschaft. Weil da - wie oben beschrieben - aber der Stachel der qualitativ nicht gerade überragenden Stories im Fleisch sitzt, muss man aufpassen, dass Shawns Exaltiertheit und überhaupt der ganze Stil der Serie nicht zur bloßen Masche verkommen. Mehr Sorgfalt beim Aufbau der Kriminalhandlung ist also gefragt; das soll aber nicht davon ablenken, dass "Psych" auch so einen enormen Gewinn darstellt. Wenn es einfach Spaß macht, zuzusehen, ist schon viel erreicht. Bitte mehr davon.
Melanie Holtmann - myFanbase
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