As We See It - Review, Staffel 1
Als Serienfan habe ich natürlich definitiv meine bevorzugten Serienmacher*innen und dazu gehört definitiv Jason Katims, von dem ich besonders die beiden Herzensserien "Friday Night Lights" und "Parenthood" in sehr guter Erinnerung habe. In letztgenannter hat er sich bereits mit Autismus beschäftigt, da dort das Thema durch Max Braverman (gespielt von Max Burkholder) dargestellt worden ist. Dass Katims sich mit dem Autismus-Spektrum in seinem Wirken speziell beschäftigt, liegt daran, dass er auch öffentlich schon öfters von den Erfahrungen mit seinem Sohn berichtet hat, der sich auf dem Autismus-Spektrum befindet. Kein Wunder also, dass der Serienmacher zugeschlagen hat, als ein israelisches Format mit dem Thema erschienen ist, das ihn zu einer englischsprachigen Adaption inspiriert hat. Dass ihm die Serienentwicklung von "As We See It" persönlich viel bedeutet hat, das merkt man mit jeder Faser der acht Episoden der ersten Staffel. Wundert euch also nicht, dass nachfolgend eine begeisterte Lobrede erfolgt.
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Rick Glassman, Sue Ann Pien und Albert Rutecki, die unsere drei Protagonisten Jack, Violet und Harrison darstellen, sind laut eigenen Angaben selbst auf dem Autismus-Spektrum. Auch wenn sich die Diskussion in den letzten Jahren aufgeheizt hat, ob transsexuelle, schwule etc. Rollen nur noch von entsprechenden Schauspieler*innen übernommen werden sollten und ich es schwierig finde, mich in diesem Diskurs eindeutig zu positionieren, so finde ich die Castingwahl hier wirklich großartig. Auch wenn Burkholder oder auch Keir Gilchrist in "Atypical" ihre Rollen, die sich auf dem Autismus-Spektrum befinden, wirklich großartig gespielt haben, so geht es bei "As We See It" nur um Autismus und um nichts anderes, so dass es hier die Authentizität extrem steigert, dass Glassman, Pien und Rutecki die Rollen ergattern konnten. Auch wenn nicht bekannt ist, wie ihre jeweilige Form von Autismus ausgeprägt ist, so ist es durchaus ein faszinierender Gedanke, dass sie vielleicht sich selbst oder zumindest sehr ähnliche Versionen von sich selbst gespielt haben. Sie wie auch Katims werden dadurch sichergestellt haben, dass die Handlung es genau so erzählt, wie es im echten Leben tatsächlich ist. Dennoch wird die Rolle sicherlich auch eine emotionale Herausforderung gewesen sein, denn nicht umsonst fällt das Wort 'Autismus' erst sehr spät in der Staffel das erste Mal. Im Deutschen wurde dementsprechend auch passend der Untertitel 'Ungewöhnlich normal' gewählt, denn die drei Figuren können noch so unterschiedlich sein, sie haben ein gemeinsames Ziel: einfach nur normal sein. Alle drei Figuren knüpfen über die erste Staffel hinweg neue Kontakte, doch nie folgt: 'Hi, ich bin… und ich befinde mich auf dem Autismus-Spektrum.' Zwar geht es hauptsächlich um die Botschaft, dass sie gar nicht normal sein sollen, aber ich könnte mir vorstellen, dass die drei Hauptdarsteller*innen diesen Wunsch nach Normalität selbst schon durchgemacht haben oder es sogar noch durchmachen und so nah am eigenen Alltag, an den eigenen Sorgen und Ängsten zu spielen, das wird nicht leicht gewesen sein.
Was "As We See It" neben der Authentizität weiterhin so großartig macht, ist, dass die Perspektive von Jack, Violet und Harrison genauso beleuchtet wird wie die ihrer Angehörigen und ihrer Betreuerin Mandy (Sosie Bacon). Es ist also keine einseitige Erzählung, sondern ein Vermitteln, denn oftmals scheinen sich beide Seiten nie mehr annähern zu können, aber so schnell wie sie auseinander sind, finden sie auch wieder zusammen, denn über allem steht die Liebe füreinander, die Vermittlerin schlechthin. Vermittlerin ist aber auch der perfekte Ausdruck für Mandy, denn diese steht oft zwischen den Stühlen. Schon früh hat sie eine Faszination für Autismus entwickelt, weswegen sich bei ihr der Berufswunsch durchgesetzt hat, sich auf medizinische Art und Weise mit der Entwicklungsstörung zu beschäftigen. Da beispielsweise an der Universität in Berkeley intensiv zu dem Thema geforscht wird, ist es ihre Traumuniversität, doch der Weg dahin ist steinig und schwer, weswegen Mandy also als Betreuerin in der 3er-WG anfängt. Das soll vorerst nur eine berufliche Überbrückung sein, woran sie vor allem ihr Freund Joel (Omar Maskati) immer wieder erinnert, denn sein Karriereweg ist schon deutlicher ausgeprägt und er wüsste Mandy gerne an seiner Seite. Sie fühlt sich aber durch sein Drängen zunehmend unter Druck gesetzt, zumal ihr die Arbeit mit Jack, Harrison und Violet viel bedeutet. Bacon, deren Karriere immer mehr durchzustarten scheint, spielt Mandy wirklich großartig. Ihre mitfühlende Art fängt sie grandios ein, aber auch die Selbstfindung innerhalb von gesellschaftlichen Erwartungen. Denn Mandy ist als Betreuerin noch nicht mal in Vollzeit angestellt, ihr Verdienst dürfte also bescheiden sein, doch es wird deutlich, dass Geld sie auch nicht glücklich macht. Es macht sie glücklich mitanzusehen, wie ihre drei Schützlinge unter ihrer Führung gedeihen und wachsen. Es gibt natürlich auch Rückschläge, die für Mandy ebensolche Tiefschläge sind, aber sie findet immer einen Weg der Aufmunterung, weil es das ist, was sie glücklich macht. Sie ist also wirklich eine Figur, in der ich mich sehr wiedererkennen konnte und die mich sehr berührt hat.
Kommen wir zu Jack, Harrison und Violet, die wie gesagt sehr unterschiedliche Ausprägungen haben, weswegen es spannend ist, nach und nach zu erkunden, was sie ausmacht, was sie bewegt und was sie antreibt. Jack ist sehr intelligent und Gefühle sind ihm eher fremd. Freundlichkeiten braucht man von ihm nicht zu erwarten, dafür gibt es schonungslose Ehrlichkeit umsonst. Sein Leben gerät aus den Fugen, als bei seinem Vater Lou (Joe Mantegna), der ihn alleine großgezogen hat, nachdem die Mutter überfordert das Weite gesucht hat, Krebs festgestellt wird. Da Jack sich schwer tut, einen Job zu behalten, weil er Kolleg*innen und Chefs schnell vor den Kopf stößt, wird beiden Seiten klar, wie aufgeschmissen er sein wird, wenn er kein lebendes Elternteil mehr hat, dem etwas an ihm liegt. Er recherchiert also akribisch zu der Krebsform seines Vaters, verlangt eine horrende Gehaltserhöhung und hat doch einen Lichtblick: Ewatomi (Délé Ogundiran). Diese reiht sich bei meinen Lieblingscharakteren gleich hinter Mandy ein. Sie arbeitet als Pflegerin bei Lous Onkologen, weswegen sie also das Dilemma kennt, in dem Jack steckt und zudem die medizinische Grundlage hat, seinen Autismus zu erkennen und zu bewerten. Die beiden verbindet auf den ersten Blick gar nichts, auch auf den zweiten und dritten nicht, aber dennoch bilden sie ein Duo, was man einfach großartig finden muss. Ewatomi scheut sich nämlich nicht, ebenso ehrlich zu Jack zu sein, wie er zu ihr. Wenn er ihr aber im Rahmen seiner Möglichkeiten zu verstehen gibt, wie sehr er sie mag, dann ist sie die Erste, die das anerkennt und ihm entgegenkommt. Würde sie am Ende nicht nach Nigeria zurückmüssen, um sich um ihre kranke Schwester zu kümmern, dann wäre sie wirklich alles in einer Person gewesen, was Jack braucht. Mit ihr und Mandy setzt er sich nämlich zusehends mit seiner Gefühlslosigkeit auseinander und kann auch Schritte auf Harrison zugehen, als dieser es am nötigsten braucht. Jack wird nie in Gefühlen baden, aber er wird doch so herausgefordert, dass er sich dahinter nicht versteckt.
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Violet ist sicherlich die dominanteste Figur, weil sie all das an Gefühlen hat, was Jack nicht hat. Dementsprechend ist es eine Achterbahn der Gefühle mit ihr. Sie sagt auch alles, was sie denkt, doch im Gegensatz zu Jack ist das keine Rüstung, sondern eigentlich das, was sie erst richtig verletzlich macht, weil sie sich mit jeder naiv geäußerten Wahrheit angreifbar macht. Sie ist es auch, die eigentlich jede Episode zehnmal betont, normal sein zu wollen, normale Freund*innen und eine normale Liebesbeziehung haben zu wollen. Doch auch wenn es ihr Kolleginnen Celeste (Heather Adair) und Tiff (Jocelyn Marie) nicht offen ins Gesicht sagen, so ist ihr Naserümpfen für alle sichtbar. Auch Julian (Casey Mills), in den sich Violet schockverliebt, weiß genau, dass sie in einer romantisch-verklärten Lebenswelt lebt und nutzt das schamlos für seine Zwecke aus. Würde man Violet nach solchen Erlebnissen nicht in den Arm nehmen wollen, damit sie sich nie mehr der bitteren Realität stellen muss, dann würde man sie wohl ganz oft verfluchen, denn so wie mit vielen aus dem Dramaclub umgeht, allen voran Douglas (Andrew M. Duff), das ist wirklich gemein. Aber auch wenn Violet sich für sich selbst nicht eingestehen kann, wer sie wirklich ist, bei Douglas und ihren Mitbewohnern sieht sie, wie es ist und da will sie eigentlich heraus. Völlig verdenken kann man es ihr sicherlich nicht, aber in ihrem Versuch, jemand zu sein, der sie nicht ist, übersieht sie, dass das Glück eigentlich doch schon längst vor der eigenen Tür wartet.
Harrison ist nun gänzlich anders. Er ist ein sehr ruhiger Zeitgenosse, er ist eher der Beobachter als der Macher und er ist eigentlich ein kleiner unschuldiger Junge im Körper eines sehr übergewichtigen erwachsenen Mannes, denn er hat ein ungesundes Verhältnis zum Essen. Mit Harrison ist es auch nicht leicht, vor die Tür zu gehen, weil zu viele Sinneseindrücke bei ihm Panik auslösen, weswegen Mandy mit ihm hartnäckig daran arbeitet, dass er sich draußen auf sich alleine fokussieren kann. Harrison lebt auch von den Erlebnissen der anderen beiden, denn während sie immer wieder Neues zu erzählen haben, so sitzt er oft zuhause fest. Der erste Wandel kommt durch seine Freundschaft mit A.J. (Adan James Carrillo), der symbolisch auch für den kleinen Jungen in ihm steht, weil sie gleich eine Verbindung zueinander finden. A.J. ist es auch, der Harrison immer wieder herausfordert und über seine Grenzen treibt. Doch so natürlich und rein ihre wachsende Freundschaft ist, so wenig kommt das außen an, weswegen nicht nur die Mutter Teresa (Angela Fornero), sondern auch andere das Schlimmste befürchten, wenn sie die beiden zusammen sehen. Also wird der Kontakt untersagt und das schärft weiter Harrisons Trauma, der sich immer von allen verlassen fühlt, vor allem als er Mandys Taten für ihn missinterpretiert und hofft, dass sie mehr für ihn empfindet. Harrison kommt über die erste Staffel hinweg am wenigstens aus seinem Schneckenhaus heraus und doch hat er viele wichtige Schritte getan, die auch mich als unbeteiligte Zuschauerin sehr stolz gemacht haben.
Zuletzt haben wir nun eben noch die Angehörigen, die einige Sätze aussprechen, bei denen man erstmal nach Luft schnappt und sich fragt: wie können die das sagen? Immer wieder erleben wir Lou, Van (Chris Pang) und die Dietrichs völlig überfordert und da unsere Hauptfiguren 25 oder 26 sind, weiß man, wie lange sie schon überfordert sind und doch stehen sie Jack, Violet und Harrison bedingungslos bei. Zwar will Van Violet in einem betreuten Wohnheim 'parken' und zwar wollen Sue (Paula Marshall) und Chris (Steven Culp) Mandy in Vollzeit einstellen, um nach Montana zu 'entkommen', aber es wäre falsch, meine wertende Wortwahl so stehen zu lassen, denn uns wird hier eine Perspektive dargelegt, bei der es leicht wäre, die Leute schnell zu verurteilen, aber sie zeigen uns ihr Innenleben und da muss man sich dementsprechend genauso mit auseinandersetzen wie mit Violet und Harrison, die sich umgekehrt verlassen fühlen. Hier ist dann vor allem der großartige Mantegna als Lou der ruhende Pol. Mit seinem möglichen Tod vor Augen, ist seine Perspektive natürlich nochmal eine andere, aber es war eine wirklich wunderschöne Szene, als er davon sprach, wie oft er vorm Verzweifeln war, wenn Jack als Kind einen Wutanfall nach dem nächsten hatte und sich wünschte, ein anderer Junge wäre sein Kind, um dann aber immer mehr zur Erkenntnis zu kommen, dass Jack als sein Sohn ihn auch zu einem besseren Menschen gemacht hat, weil er empathischer mit der ganzen Welt ist und dadurch seine Liebe für Jack anders werten kann. Genau diesen inneren Konflikt haben wir auch bei Van immer wieder gesehen und da er deutlich jünger ist und wie Violet seine Eltern verloren hat, so dass er schon früh als junger Mann auf sich alleine gestellt war, hilft es ihm zu wissen, dass er erst am Anfang seiner Reise steht.
Prime Video hatte zuletzt keine lange Haltbarkeitszeit mit Serien, was mich doch etwas besorgt macht, ob für "As We See It" eine zweite Staffel herausspringen kann. Aber die Serie ist qualitativ so großartig, dass es echt eine Schande wäre. Also drückt mit mir und allen Interessierten die Daumen, dass wir Jack, Harrison und Violet weiter bei ihrer persönlichen Entwicklung begleiten können.
Fazit
Nicht immer ist es leicht, eine bedingungslose Sehempfehlung auszusprechen, aber bei "As We See It" gelingt mir das spielerisch leicht, weil es ein herzerwärmendes und doch auch aufrüttelndes Programm über Autismus geworden ist, das voll von Authentizität und Lebenslektionen ist. Die schauspielerische Leistung der drei zentralen Figuren ist zum Niederknien, aber auch alles drum herum ist liebevoll und mit Details gespickt gestaltet worden. "As We See It" mag erstmal unscheinbar dahergekommen sein, aber hier verbirgt sich eine kleine Serienperle, die man eigentlich wirklich nicht verpassen sollte.
Die Serie "As We See It" ansehen:
Lena Donth - myFanbase
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