I Am Not Okay With This - Review, Staffel 1

Foto:

Netflix hat seit seinem Start viele große Erfolge mit Jugendserien oder Coming-Of-Age-Serien, wie sie im Original heißen, gefeiert. Man denke hier nur an "Tote Mädchen lügen nicht", "Élite" oder "Chilling Adventures of Sabrina". Mit diesen großen Namen muss sich Neuling "I Am Not Okay With This" nun messen lassen. Dass die Verantwortlichen bei Netflix darin aber große Hoffnungen setzen, merkte man deutlich an der Werbung im Vorfeld. Lautstark hat man verlauten lassen, dass der Inhalt auf einer gleichnamigen Graphic Novel von Charles Sanford Forsman basiert und eben dieser hat auch schon die Graphic Novel zu "The End of The F***ing World", ebenfalls eine erfolgreiche Jugendserie bei Netflix, geschrieben. Zudem hat man nicht irgendwem, sondern den "Stranger Things"-Produzenten Shawn Levy, Dan Levine, Dan Cohen und Jost Barry das Zepter in die Hand gegeben. Bei diesen Vorschusslorbeeren muss für "I Am Not Okay With This" doch etwas rumkommen, oder?

Partnerlinks zu Amazon

Die Serie startet mit einer nahezu perfekten ersten Folge, da diese auf den Punkt die Charakteristika aufzeigt, die die den Inhalt auch im Verlauf der restlichen sechs Episoden maßgeblich prägen werden. So lernen wir Hauptfigur Sydney (Sophia Lillis), kurz Syd, kennen, an die eine Vertrauensperson ihrer High School herantritt, damit sie nach dem Selbstmord ihres Vaters wieder in die Spur findet. Eine der Empfehlungen ist es, ein Tagebuch zu führen, was Syd fortan auch macht. Mithilfe dieser Einträge in das Tagebuch wird die Handlung nun erzählt, aber eben nicht nur in der Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit wird immer wieder in knappen Sätzen aufgefangen und so erklärend beigefügt. Da es sich nur um sieben Episoden handelt, die jeweils eine Laufzeit zwischen 20 und 30 Minuten haben, ist für Flashbacks auch keine Zeit, so dass Syd als Erzählerin hier das geschickte Stilmittel ist.

Foto: Sophia Lillis, I Am Not Okay With This - Copyright: Courtesy of Netflix
Sophia Lillis, I Am Not Okay With This
© Courtesy of Netflix

Syd als Erzählerin hat aber noch zahlreiche weitere Vorteile. Sie ist eindeutig das Herz der Serie und ihre Figur bestimmt somit auch den ganzen Ton. Syd ist eine typische Teenagerin, die sich selbst noch nicht recht gefunden hat und zusätzlich auch noch die Bürde eines Vaters auferlegt bekommen hat, der Selbstmord begangen hat. Somit wälzt sie sich in Selbsthass, fühlt sich ungeliebt und betrachtet alle Geschehnisse mit triefendem Sarkasmus. Während sie dies nach außen nur selten zeigt, weil sie trotz allem eine höfliche und vor allem schüchterne Person ist, sind ihre gesamten Gedanken durch die bissigen Kommentierungen geprägt. Gerade in der ersten Episode ist dieses Zusammenspiel aus Geschehnissen und Gedanken pointiert gestaltet worden. Verständlich, schließlich entscheidet der Auftakt darüber, ob die Zuschauer dabei bleiben oder nicht. Das soll nicht heißen, dass das Stilmittel irgendwann nachlässt, aber es wird für den Zuschauer normaler und Teil des Inventars, weswegen es nicht mehr so herausragen kann.

Foto: Sophia Lillis & Wyatt Oleff, I Am Not Okay With This - Copyright: Courtesy of Netflix
Sophia Lillis & Wyatt Oleff, I Am Not Okay With This
© Courtesy of Netflix

"I Am Not Okay With This" weist nur einen kleinen Cast auf, aber dieser ist nahezu perfekt zusammengestellt worden. Die wichtigste Figur ist mit Lillis besetzt, die am meisten Screentime hat, und die somit viel Verantwortung tragen muss. Das meistert sie aber hervorragend, weil sie die Essenz von Syd wunderbar transportieren kann. Ihre Erzählstimme, die das Geschehen kommentiert, ist scharf und bissig, herrlich! Während dieser Gedankengänge kommt es bei Lillis auch ganz viel auf ihre Mimik und Gestik an, da sie in diesen Sequenzen für den Zuschauer ja stumm ist. Da auch extrem viel mit Close-ups gearbeitet wird, sieht man wirklich alles und es wird für die Beteiligten nicht einfach gewesen sein, diese Herausforderung anzunehmen. Eine wunderbare Ergänzung zu Lillis ist Wyatt Oleff als Nachbar Stanley Barber. Er ist ebenfalls eher ein Außenseiter, aber er ist schon entscheidende Schritte im Vergleich zu Syd weiter, da er sein Anderssein ganz selbstbewusst nach außen trägt. Oleff verkörpert diese nerdige Figur sehr überzeugend und das Zusammenspiel mit Ellis ist ein wahres Highlight. Insgesamt erinnert mich die Zusammenstellung der Figuren und damit auch der Darsteller sehr an Erfolgsautor John Green, dessen erfolgreichster Roman "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" (Ot.: "The Fault in Out Stars") bereits verfilmt wurde und dessen anderer Roman "Eine wie Alaska" (Ot.: "Looking For Alaska") gerade als Serie bei Hulu und hierzulande bei Joyn PLUS+ zu sehen ist. Auch hier bekommen Charaktere das Scheinwerferlicht ab, die alles andere als aalglatt sind, sondern über zig Ecken und Kanten verfügen und diese bis in alle Haarspitzen ausfüllen. Dementsprechend sind auch die Darsteller keine Schönheitskönige, sondern Menschen wie du und ich, was dem Ganzen etwas sehr Nahbares und Echtes gibt.

Die Serie nun inhaltlich zu bewerten wird etwas schwieriger. In erster Linie geht es natürlich um die Tücken des Heranwachsens, um die Probleme, die die Pubertät mit Liebe, Freundschaft, Eifersucht und Sexualität nun mal mit sich bringt. Die Darstellung hiervon ist gelungen und auch wie Syd entdeckt, dass sie lesbisch ist, geschieht herrlich unaufgeregt. Das Geschehen ist aber auch durch eine übernatürliche Komponente erweitert, denn Syd entdeckt, dass sie Dinge nur mit Willenskraft herbeiführen kann, wenn sie so richtig vor Emotionen brodelt. Als Teenager aber nun wahrlich kein seltener Gemütszustand, was sie irgendwann unberechenbar macht. Zunächst ist diese Thematik aber sehr unterschwellig und wird auch humorvoll eingebunden, doch zunehmend nimmt sie mehr Raum ein und drängt damit dem Zuschauer die Frage auf: Muss das sein? Hätte diese authentische Darstellung diesen Kniff wirklich gebraucht? Im Prinzip ist klar, dass diese Kräfte eher als Metapher zu sehen sind, denn "I Am Not Okay With This" ist weit davon entfernt, dem Sci-Fi-Genre zugeordnet werden zu können. Es gibt auch Erklärungsansätze, dass Syd noch mit dem Verlust ihres Vaters zu kämpfen hat. Aber da alle um sie herum ihre Kräfte wahrnehmen können, kann man sie auch nicht wegdiskutieren. Spätestens aber nicht mehr mit dem Staffelfinale, das am Ende richtig einen raushaut. Dieser Schockmoment gibt der Serie eine gänzlich andere Richtung, bei der ich noch nicht abschätzen kann, wie sich eine mögliche zweite Staffel wohl gestalten lassen würde. Ich bin an dieser Stelle völlig hin- und hergerissen und kann eine abschließende Beurteilung gar nicht fällen.

Fazit

"I Am Not Okay With This" ist eine extrem kurzweilige Jugendserie, die dramaturgisch, stilistisch, charakterlich und schauspielerisch zu überzeugen weiß. Auf der inhaltlichen Ebene ist die Einbindung von übernatürlichen Aspekten aber sehr fragwürdig, zumal sie gerade am Ende der Serie eine gänzlich andere Richtung geben. Wie geschickt das war, wird nur die Zukunft der Serie zeigen können.

Lena Donth – myFanbase

Zur "I Am Not Okay With This"-Übersicht

Kommentare