Interview mit Synchronsprecherin Claudia Urbschat-Mingues

12. September 2023 | Claudia Urbschat-Mingues wollte einst Schauspielerin oder Sängerin werden, aufgrund ihrer markanten Stimme arbeitet sie seit 1996 als Synchronschauspielerin. Am bekanntesten dürfte sie als Tagesschauansagerin und als deutsche Stimme von Angelina Jolie sein. Aber auch im Serienbereich ist sie keine Unbekannte mehr. In Serien wie "Once Upon a Time" oder "Private Practice" war sie über mehrere Staffeln zu hören.

Nun hatten wir die Chance, dass uns Claudia bei einem netten Gespräch Rede und Antwort stand. Ihre Tochter Ella Refle hat die wunderbaren Fotos geschossen, die ihre Mutter uns für das Interview bereitgestellt hat.

Foto: Claudia Urbschat-Mingues - Copyright: Ella Refle
Claudia Urbschat-Mingues
© Ella Refle

Claudia, als ich Dir wegen des Interviews geschrieben habe, hast Du Dich für die nette und ausführliche Anfrage bedankt. Kam es denn schon mal vor, dass nicht so nette Anfragen kamen und Du die Anfrage schon mal abgelehnt hast?

Ich finde es immer toll, wenn sich Leute für die Branche Synchronsprechen interessieren und uns da die Möglichkeit geben, mal über unseren Beruf zu sprechen. Das Synchronisieren gilt ja als eines der niedrigsten Fächer, die das Schauspiel zu bieten hat. Für mich ist es aber die Königsdisziplin, wie beispielsweise eine Großaufnahme im Film. Natürlich freue ich mich dann über solche Anfragen.

Deine erste Synchronrolle war im Jahr 1996 als Prostituierte in dem Film "Breaking the Waves". Hast Du den Eindruck, dass Du für Sprechrollen geholt wirst, die etwas Erotisches und Laszives in ihrer Stimme haben?

(lacht ein bisschen) Naja, ich habe eine tiefe Stimme und das wird bei Frauen allgemein als erotisch und exotisch angesehen. Ich spreche auch oft Schwarze, obwohl es auch nicht so ist, dass alle Schwarzen tiefere Stimmen haben, oder auch toughe Frauenfiguren, nur weil sie vielleicht durch eine tiefe Stimme männlicher klingen. Dass ich häufiger für solche Rollen geholt werde, liegt wohl auch daran, weil meine Stimmbänder nicht richtig funktionieren. Sie lassen zu viel Luft durch, dadurch kann ich manche Sachen eben besonders gut und manche eben gar nicht. Das ist bei mir seit meiner Geburt so und das gehört zu mir.

Ich erwische mich manchmal selbst dabei, sobald eine dunkle Schauspielerin auf dem Bildschirm erscheint, dass ich überlege, ob Du sie sprichst oder Martina Treger oder Anke Reitzenstein. Eine von euch ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit immer. Ist Dir das selbst schon mal bewusst geworden oder sagst Du Dir eher 'ist halt so'?

Das ist immer unterschiedlich. Natürlich sind wir oft im Gespräch, wenn es um einen bestimmten Frauentyp geht und manchmal kommt es auch vor, dass wir drei uns eine Schauspielerin teilen oder Umbesetzungen stattfinden. Ich finde das auch in Ordnung, wenn es ordentlich begründet ist. Wenn es dabei aber um geringe Geldbeträge geht, weil jemand billiger ist, finde ich das nicht ganz okay. Als Synchronschauspielerin verdient man ohnehin viel weniger als wenn man vor der Kamera steht, und wenn es dann nur um ein paar Euro geht, kann ich die Entscheidungen oft nicht ganz nachvollziehen. Es kam auch schon vor, dass die Synchronisation eine Serie - "Empire" , wo ich Nicole Ari Parker gesprochen habe - von einem Tag auf den anderen abgebrochen wurde. Ohne Begründung. Da waren ja viele schwarze Schauspieler dabei und es könnte auch sein, dass es dort um das neue Phänomen "Person of Color" ging, also, dass möglichst nur noch Schwarze von Schwarzen gesprochen werden sollen...

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Gerade ist die zweite Staffel von "And Just Like That..." bei Max und WOW zu Ende gegangen. Du sprichst Nicole Ari Parker dort als Lisa Todd Wexley. Findest Du, dass sich die Figur besser in die Serie eingefügt hat, als es noch in Staffel 1 der Fall war und dass sich die Figur entwickelt hat?

Das kann ich gar nicht sagen, weil ich ja nur die Szenen sehe, in denen ich spreche und nie die komplette Folge. Ich habe auch damals nicht "Sex and the City" geguckt. Das war nicht so meins, deswegen kann ich auch keine Vergleiche ziehen. Aber ich finde Nicole Ari Parker toll. Sie ist eine richtig schöne Frau und eine unglaubliche Schauspielerin. Ich denke, sie wählt ihre Projekte sehr gewissenhaft aus und es macht unglaublichen Spaß, sie zu sprechen, weil sie mich immer wieder überrascht. Ich durfte ihr ja auch in anderen Projekten meine Stimme leihen.

Ich fand die Szene mit der Fehlgeburt jetzt am Ende emotional.

Oh ja, das war sie. Das hat die Schauspielerin aber auch großartig gespielt.

Anders ist es bei Lana Parrilla, die Du seit "24 - Twenty Four" regelmäßig sprichst. In der sechsten Staffel von "Once Upon a Time" ist Lana als Regina Mills und die Böse Königin in mehreren Szenen gleichzeitig zu sehen. Für sie als Schauspielerin war es eine Herausforderung. Wie war es für Dich als Sprecherin plötzlich beide Rollen in einer Szene zu sprechen?

Lana Parrilla ist grandios, ich mag sie sehr. Ich denke, wir haben das damals ähnlich gemacht wie die beim Drehen. Wir haben erst die eine Rolle am Stück eingesprochen und dann die andere. Also schon nacheinander und am selben Tag, wenn sie in einer Folge vorkamen. Obwohl es eigentlich dieselbe Schauspielerin in derselben Szene ist, haben die Figuren doch unterschiedliche Dinge erlebt und dadurch gehen sie auch anders mit ihrer Umwelt um und sprechen dadurch auch unterschiedlich.

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Man hat den Unterschied beim Sprechen gemerkt. Also ich habe es bemerkt.

Das freut mich, danke.

Eine weitere Feststimme in der Serienwelt bist Du auch bei Audra McDonald. Welche Unterschiede hast Du in ihrem Spiel zwischen "Private Practice", "Good Wife", "The Good Fight" und "The Gilded Age" bemerkt?

Ich finde schon, dass sie spätestens in "The Good Fight" eher in die mütterliche Richtung geht. Auch jetzt bei "The Gilded Age" spielt sie ja die Mutter der einen Hauptfigur und da dominiert das Mütterliche schon sehr.

Apropos "The Gilded Age". Die zweite Staffel ist hierzulande für den 30. Oktober 2023 angekündigt. Wie viel Zeit liegt zwischen Synchronisieren und Ausstrahlung. Gibt es da Unterschiede zwischen TV-Ausstrahlung und Verfügbarkeit bei Streamingdiensten?

Ich war erst vor wenigen Tagen wieder im Studio für die Aufnahmen. Ich weiß gerade gar nicht, bei welcher Folge wir sind. Sie hat ja jetzt keine so wahnsinnig große Rolle, also bin ich maximal 1-2 Stunden im Studio zum Aufnehmen. Aber auch wenn sie keine so große Rolle hat, ist diese doch aussagekräftig. Wir nehmen die Folgen im Wochenrhythmus auf, also wird für jede Folge eine Woche eingeplant und dann geht es in der nächsten Woche weiter. Ich glaube, wir sind in zwei bis drei Wochen fertig und dann wird auch kurz danach mit der Ausstrahlung begonnen.

Du sprichst seit der ersten Staffel Christina Chang alias Dr. Audrey Lim in "The Good Doctor". Fällt es Dir mittlerweile leichter, die Fachbegriffe auszusprechen? Solche kamen ja auch bei "Private Practice" oder "Emergency Room - Die Notaufnahme" vor, wo Du Chuny Marquez gesprochen hast?

Ich kenne mich mit den ganzen Arztserien nicht so aus und weiß nicht, wie sie zusammengehören oder wer wo schon mal zu sehen war. "The Good Doctor" mag ich und ich mag auch meine Figur, die ich spreche, sehr gerne – auch wenn sie schon dreimal fast gestorben wäre, freue ich mich jedes Mal, dass sie doch wieder auftaucht – wenn auch im Rollstuhl, wie es in der letzten Staffel jetzt war.

Als sie niedergestochen wurde, habe ich gesagt, dass ich nicht weitergucken werde, sollte sie sterben. Nein, ich hätte nicht weitergeguckt, weil es eine meiner Lieblingsrollen ist.

Das ist ja erstaunlich, finde ich aber auch irgendwie cool! Was das Aussprechen der Fachbegriffe angeht, habe ich keine großen Schwierigkeiten. Das liegt aber auch mit daran, dass Leute vom Fach meist vorab im Text ihre Anmerkungen machen. Manchmal wird es direkt vom Original übersetzt, da muss man dann gucken, ob die Fachbegriffe so stimmen. Es kam auch schon vor, dass es nochmal eingesprochen werden musste. Da hieß es dann: "Claudia, wir wissen jetzt, wie es richtig heißen muss. Bitte nochmal machen. Beim ersten Mal war es falsch." Und, wenn es solche Szenen im OP gibt (Audrey operiert ja viel), bei solchen Szenen muss man tatsächlich Masken aufsetzen, damit es echter wirkt. Dafür hatten wir vor Corona immer OP-Masken im Studio liegen gehabt. Aber seit Corona musste man ja seine eigene Maske mitbringen und da hieß es oft: "Nee, die FFP2-Maske kannst Du für die Szene nicht aufbehalten, das hört man sonst so schlecht. Nimm die andere."

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Claudia Urbschat-Mingues
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Das Thema Xen, (bedeutet einzelnen aufnehmen), hört man immer wieder. Kannst Du mir sagen in welchem Jahr das Xen angefangen hat?

Das muss so um 2000 gewesen sein. Also ab 2003 hat man konkreter damit angefangen, weil man für einen Kinofilm saubere Aufnahmen haben wollte und ab 2006 war es dann fast überall so. Und seit Corona ist man ja sowieso immer einzeln im Studio. Man hat auch kein Buch mehr, sondern nur noch diesen Bildschirm mit dem Text vor sich. Ich denke auch nicht, dass es absehbar nochmal zum gemeinsamen Aufnehmen kommen wird.

Und inwieweit hat es die Qualität und Schnelligkeit schlechter gemacht?

Ich würde nicht sagen, dass es die Qualität verschlechtert hat. Es hat sich verändert. Ich zum Beispiel arbeite in der Regel maximal sechs Stunden am Tag, damit ich nicht zu müde werde und die Qualität leidet. Außer, wenn es unbedingt sein muss, weil etwas schnell fertig werden muss. Es ist zwar praktisch und effektiv, allein und konzentriert zu arbeiten, aber auch schade, dass dadurch kein Zusammenspiel mehr beim Sprechen möglich ist. Man kann auf seinen Gegenüber nicht mehr so gut eingehen und muss sich alles selbst vorstellen. Das gelingt natürlich nicht immer.

Ja, manchmal klingt es doch wie abgeschnitten.

Ja, genau, und ich finde auch, wenn man einzeln aufnimmt, wird man nicht mehr so herausgefordert wie früher. Man macht seine Arbeit nicht schlechter. Man macht sie eben wie immer und dadurch lernt man meist auch nichts Neues oder wird selten gefordert, es anders zu machen.

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Das ist auch genauso, wenn man in anderen Jobs mehrere Stunden aufnimmt und man dann an Konzentration verliert, weil man es eben immer so macht.

Genau. Das ist auch so mit dem Einsatz der Sprache. Ich finde schon, dass wir im Studio einen gewissen Bildungsauftrag haben, was Wortwahl und Grammatik angeht. Ich habe schon einige Dialoge umgeschrieben, weil ich dachte 'Das geht so nicht'. Das merkt man zum Beispiel auch, wenn man Filme aus den 60/70er Jahren und Filme aus der heutigen Zeit vergleicht. Die Sprache hat sich immens verändert, man redet heute viel direkter und umgangssprachlicher, auch mit vielen englischen Ausdrücken, aber trotzdem sollte die Grammatik und Ausdrucksweise irgendwie vertretbar sein.

Da müssen Leute darauf achten, die es schreiben, oder machen das auch die Sprecher?

Es ist die Zusammenarbeit aus beidem, es soll ja immer authentisch sein. Kürzlich war die Synchronpreis-Gala und es wurde der bereits verstorbene Kollege Uwe Jelinek geehrt, was ich sehr schön fand. Das soll nicht heißen, dass jeder, der gestorben ist, geehrt werden soll. Aber dieser Kollege, der war keiner der Synchronstars, sondern hatte vorwiegend ganz viele kleine Sprechrollen in seinem Leben gesprochen und dabei immer eine besonders gute Stimmung im Synchronatelier verbreitet. Und das ist mindestens genauso wichtig.

Du hast Anna Torv als Tess in der HBO-Serie "The Last of Us" gesprochen. Hast Du Dich im Vorfeld informiert, dass es eine Adaption von dem gleichnamigen und beliebten Computerspiel ist?

Es wurde mir vorher gesagt und auch, dass es vorher von einer anderen Schauspielerin gesprochen wurde, aber es gab ein Casting. Weißt Du, warum meine Rolle nach drei Folgen sterben musste?

Ja, die Schauspielerin, die im Computerspiel Tess gesprochen hat (Anmerkung der Redaktion: Annie Wersching), ist Anfang des Jahres gestorben und wahrscheinlich musste Tess deswegen in der Serie so früh sterben.

Ja, man hat mir dann auch gesagt, dass sie gestorben ist und ich hatte einen richtigen Kloß im Hals, als ich ihren Tod synchronisiert habe.

Ich denke auch, dass Annie einen solchen Abschluss wollte, weil sie dann auch noch in der aktuellen fünften Staffel von "The Rookie" zu sehen war und dort auch gestorben ist.

Ja.

Dann kommen wir auch schon zur letzten Frage. myFanbase ist ein Online-Magazin mit Fokus auf US-Serien. Da ich weiß, dass Du keine Serien guckst, könntest Du Empfehlungen geben von Projekten, in denen Du mitgesprochen hast?

(lacht) Ich habe vor ein paar Monaten die Miniserie "Memorial Hospital - Die Tage nach Hurrikan Katrina" (Anmerkung der Redaktion: Claudia kannte nur den Originaltitel "Five Days at Memorial") gemacht. Vera Farmiga hat da eine Frau gespielt, die sich um alle Opfer kümmern musste, obwohl sie selbst total überfordert war und wurde später deshalb sogar angezeigt. Die Schauspielerin Vera Farmiga ist sowieso eine meiner Lieblingsschauspielerinnen. Dann habe ich gerade Lana Parrilla, von der wir ja vorhin schon sprachen, in der Netflix-Serie "The Lincoln Lawyer" gesprochen. Und dann habe ich vor Kurzem noch "Beef" mit der wunderschönen Maria Bello gemacht. Da spielt sie auch eine schöne Rolle, aber eigentlich ist sie nie wirklich schön dabei (lacht). Das wären so meine Empfehlungen.

"Beef" habe ich sogar schon angefangen, aber es kommen ja so viele Serien, da muss man manchmal welche unterbrechen.

Ja, das stimmt. Die kann ich aber wirklich empfehlen.

Vielen Dank, Claudia!

Danke für das nette Gespräch. Einen schönen Tag noch.


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Daniela S. - myFanbase

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