Unorthodox - Review

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Lose basierend auf der gleichnamigen Autobiographie von Deborah Feldman hat Netflix im April 2020 die Miniserie "Unorthodox" veröffentlicht. Völlig ohne Vorkenntnisse und nicht ahnend, was mich erwartet, habe ich in die Serie reingeschaut und wurde sofort in ihren Bann gezogen. So viele unterschiedliche Aspekte dieser Geschichte gehen einem ans Herz und regen zum Nachdenken an, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll, diese zu erklären.

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Foto: Amit Rahav & Shira Haas, Unorthodox - Copyright: Anika Molnar/Netflix
Amit Rahav & Shira Haas, Unorthodox
© Anika Molnar/Netflix

Die Serie entführt einen in die Welt der ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde der Satmarer im New Yorker Stadtteil Williamsburg; eine scheinbar von der Außenwelt abgekapselte und eingeschworene Gemeinschaft mitten im Herzen einer der modernsten und pulsierendsten Großstädte unseres Planeten. Hier scheint die Zeit stillgestanden zu haben. Die gesamte Gemeinde, die von Überlebenden des Holocausts abstammt und vor allem aus der ungarisch-rumänischen Grenzregion rund um die Stadt Satu Mare kommt, unterwirft sich den strengen Regeln des Rabbis und der chassidischen Lebensweise und es bleibt kein Platz für Individualismus oder Träume. Die Szenerie ist geprägt von einem engen Familienzusammenhalt und klassischen strengen Rollenbildern - der Mann verdient das Geld oder studiert die Torah, die Frau ist für Haus, Verpflegung und Versorgung der zahlreichen Kinder zuständig. Denn die Satmarer Chassiden haben es sich zur obersten Aufgabe gemacht, die vielen Menschenleben, die der Holocaust und andere Verfolgungen und Vernichtungen von Juden gefordert haben, wieder auszugleichen. Ihr ultraorthodoxer Glaube rührt u.a. auch aus der Annahme, dass der Holocaust eine Bestrafung Gottes war, weshalb sie nun umso frommer seinen strengen Regeln, die vom Rabbi der Gemeinde formuliert werden, folgen müssen.

Als wären diese Einblicke in eine Kultur und Gemeinde, die einem so fremd scheint, nicht schon spannend genug, handelt es sich bei "Unorthodox" auch um die erste Netflix-Serie, in der hauptsächlich Jiddisch gesprochen wird. Da ich die Serie im Originalton verfolgt habe, wirkte es faszinierend und irritierend zugleich, einer Sprache zu lauschen, in der viele Begriffe aus der deutschen Sprache bekannt sind. Ich habe mich immer wieder dabei ertappt, die englischen Untertitel zu missachten und einfach so der Geschichte zu folgen, da man Vieles auch so sehr gut versteht. Und genau das macht die Serie auch so besonders authentisch. Es wurde mit viel Liebe zum Detail darauf geachtet, einem diese Welt und ihre Bräuche näher zu bringen und dazu zählt nun mal, dass sich die Figuren in ihrer Sprache Jiddisch unterhalten.

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Foto: Shira Haas, Unorthodox - Copyright: Anika Molnar/Netflix
Shira Haas, Unorthodox
© Anika Molnar/Netflix

Mitten in dieser Welt lebt Esther 'Esty' Shapiro geb. Schwartz (Shira Haas), deren Lebensgeschichte uns mithilfe von Rückblicken erzählt wird. Sie ist eine junge Frau aus einem kaputten Elternhaus, die vor kurzem eine arrangierte Ehe mit Yakov 'Yanky' Shapiro (Amit Rahav), dem Sohn eines Juweliers, eingegangen ist und von der die Gesellschaft nun erwartet, dass sie möglichst schnell die ersten Nachkommen produziert. Als das aus verschiedenen Gründen nicht klappt, hält Esty dieses Leben nicht mehr aus und plant ihre Flucht nach Berlin, wo ihre Mutter Leah Mandelbaum Schwartz (Alex Reid) lebt, die einst selbst aus der Gemeinde ausgebrochen ist, um ein selbstbestimmtes Leben als lesbische Frau führen zu können. Genau das ist es vielleicht, was Esty den Mut gibt, es überhaupt zu probieren - man kann es schaffen. Dafür riskiert sie alles, denn ihr ist bewusst, dass sie den Kontakt zu ihrer Vergangenheit - und damit auch zu ihrer geliebten Großmutter - für immer abbrechen muss. Dabei will die Gemeinde sie jedoch keineswegs einfach ausstoßen, als man ihre Flucht bemerkt, und schickt ihren Mann und dessen Cousin Moishe (Jeff Wilbusch) los, ihr zu folgen und sie zurückzuholen.

Foto: Shira Haas, Unorthodox - Copyright: Anika Molnar/Netflix
Shira Haas, Unorthodox
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Man fiebert mit Esty mit und wünscht ihr, dass sie es schafft, aus dieser Welt auszubrechen und ihren eigenen Weg zu finden. Das mag anmaßend klingen, denn fast keiner der ZuschauerInnen wird sich wahrscheinlich vorstellen können, wie es ist, tatsächlich in dieser Welt zu leben, egal wie viele Serien, Dokumentationen oder Bücher darüber veröffentlicht werden. Aber wenn man sieht, wie unsere Protagonistin leidet, wie vorbestimmt ihr Leben ist und wie wenig Freiraum für Individualität oder Kreativität ihr bleibt, dann kann man einfach nicht anders, als auf ihrer Seite zu stehen und ihr alles Gute zu wünschen. Für Esty ist die Musik dabei eine wichtige - aber auch verbotene - Möglichkeit, ein wenig aus diesem strengen Regelwerk auszubrechen; eine Leidenschaft, die sie mit ihrer Großmutter teilt, die ebenfalls heimlich Musik hört, wenn ihr Mann nicht im Haus ist. Zusätzlich ist es dabei vor allem Shira Haas' Schauspiel, das einen in den Bann zieht. Sie schafft es mit der kleinsten Bewegung ihrer Augenbrauen zwischen Trauer, Angst, Wut, Stärke oder Freude zu wechseln und erweckt damit eine Esty, die eine beeindruckend starke Frau ist, egal wie zerbrechlich sie wirkt. Das ist umso wichtiger, da wir nicht in Estys Gedankenwelt blicken können und nur anhand von Haas' Darstellung so emotional in den Bann gezogen werden, dass wir ihr Innenleben verstehen können.

Foto: Shira Haas, Unorthodox - Copyright: Anika Molnar/Netflix
Shira Haas, Unorthodox
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In Berlin angekommen, wird Esty mit einer völlig neuen Welt konfrontiert. So abgeschirmt wie sie bisher gelebt hat, kann man ihr nicht vorwerfen, dass ihr viele Verhaltensweisen fremd sind und dass sie sich an ihre alten Regeln und Gebräuche klammert. Es wird unglaublich einfühlsam und detailliert - teils auch nur mit kleinen Gesten oder Ereignissen - gezeigt, wie Esty sich nach und nach von ihren bisherigen Lebensweisen und den Regeln löst, die ihren Alltag bis dahin bestimmt haben. Sei es, das eigene Haar zu zeigen, das sie seit ihrer Hochzeit kurzgeschoren unter einer Perücke trug, eine Hose zu tragen, etwas mehr Haut als nur ihr Gesicht oder ihre Hände zu zeigen oder einen Lippenstift auszuprobieren. Es ist sehr bewegend, dabei zuzusehen wie Esty erkennt, was ihr persönlich wichtig ist und die Erwartungen, die ihre Familie und ihre Gemeinde an sie hatten, hinter sich zu lassen. Vieles von dem, was sie tut, ist für uns alltäglich, aber wenn man sich vor Augen führt, dass sie das nie gelernt hat, es ihr teilweise sogar verboten war, ist es umso beeindruckender. Dass sie nun endlich ohne Reue oder Scham ihrem Traum von der Musik nachgehen kann, lässt einem sogar die Tränen in die Augen steigen.

Foto: Amit Rahav, Unorthodox - Copyright: Anika Molnar/Netflix
Amit Rahav, Unorthodox
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Auch wenn Esty ohne Zweifel die Hauptfigur dieser Geschichte ist, darf man ihren Ehemann Yanky nicht vergessen, dessen Leben ebenfalls komplett auf den Kopf gestellt wird. Seine Ehefrau, für die er trotz der arrangierten Ehe etwas empfindet und um deren Wohlergehen er besorgt ist, verschwindet von heute auf morgen. Wenn man sich vor Augen führt, dass viele der Probleme, die sie in ihrer Ehe hatten, vor allem dem Erwartungsdruck ihres Umfelds und dem strengen Regelwerk ihrer Gemeinde und ihres Glaubens geschuldet waren, empfindet man schon so etwas wie Mitleid, dass er sich nun in dieser Situation befindet. Yanky hat sein ganzes Leben lang gelernt und vorgelebt bekommen, wie eine "perfekte" Familie auszusehen hat und fühlt sich nun scheinbar komplett hilflos, ob der Tatsache, dass seine Frau vor ihm geflohen ist. Dabei nehme ich ihm absolut ab, dass es gar nicht alleine um die Schmach geht, die sie damit über ihn und die Familie gebracht hat, sondern dass er ernsthaft um sie besorgt ist. Als streng gläubiger und ultraorthodox erzogener Jude ist es für ihn einfach unvorstellbar, dass Esty ohne ihre Gemeinde in der Welt überleben kann - vor allem nicht in Berlin, Deutschland; dem Land das soviel Grauen über seine Vorfahren gebracht hat. Yanky symbolisiert auch so etwas wie einen Gegenpol zu Esty, denn er scheint mit seinem Leben und seinem vorbestimmten Weg im Geschäft seines Vaters vollkommen zufrieden zu sein. Mithilfe von Yankys Figur greift die Serie den Aspekt auf, dass nicht alles schlecht ist, was uns in Williamsburg begegnet, auch wenn es uns fremd oder rückständig erscheinen mag. Umso schöner fand ich es, dass er durch seine Suche nach Esty auch beginnt, sich mehr in sie hineinzuversetzen und versucht, ihre Sicht der Dinge zu verstehen, um ihr die Rückkehr zu ihm zu erleichtern. Es wird damit keine Schwarz/Weiß-Malerei betrieben, was leicht hätte passieren können, wenn man lediglich Estys Perspektive gezeigt hätte.

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Foto: Shira Haas, Unorthodox - Copyright: Anika Molnar/Netflix
Shira Haas, Unorthodox
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Nachdem ich die Serie gesehen habe, konnte es nicht schnell genug gehen, dass ich Deborah Feldmans Buch in die Finger bekommen habe. Die Miniserie basiert nur teilweise auf der Geschichte von Feldman, wobei vor allem Estys Leben in Williamsburg sehr detailgetreu ist (das Buch lässt uns in die Gedankenwelt der Protagonistin blicken, von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter), die Geschichte nach ihrer Flucht nach Berlin jedoch fast komplett neu erfunden wurde. Die Serienmacherinnen Anna Winger ("Deutschland 83") und Alexa Karolinski haben sich bewusst dafür entschieden, das heutige Leben von Deborah Feldman nicht auf die Serie zu übertragen, um der Autorin, die selbst auch eng in die Produktion involviert war, eine gewisse Distanz zuzugestehen. Hier liegt aber vielleicht auch der einzige Schwachpunkt der Miniserie. Die Handlung in Berlin scheint innerhalb weniger Tage zu erfolgen. Mir geht es viel zu schnell, wie Esty sich ihr neues Leben aufbaut und ihr dabei jeder Schritt gelingt. Natürlich wird hierbei sorgfältig darauf geachtet, ihre Emanzipation nicht zu radikal darzustellen und man kann in verschiedenen Situationen beobachten, wie Esty Schritt für Schritt zu sich selbst findet und erkennt, welche Regeln aus ihrem alten Leben in ihrem neuen nun keinen Platz mehr haben. Dennoch fühlte sich diese Wandlung innerhalb von vier Episoden auch irgendwie zu schnell an, gerade weil sie mit einem so extremen Kontrast konfrontiert wird. Ich habe das Buch von Deborah Feldman zwar noch nicht bis zum Ende gelesen, aber ich bin mir sicher, dass sie sich nicht innerhalb weniger Tage oder gar Wochen ein perfektes neues Leben aufgebaut hatte. So etwas bedarf Zeit und auch Esty befindet sich natürlich noch nicht am Ende ihrer Reise, aber sie hat bereits einen riesigen Schritt gemacht und nun die besten Voraussetzungen, ein Leben nach ihren Vorstellungen aufzubauen.

Fazit

"Unorthodox" ist eine berührende Geschichte von Selbstfindung und Emanzipation unter schwierigsten Bedingungen, wobei Shira Haas die Rolle der zerbrechlichen und zugleich unglaublich starken Esty wahnsinnig glaubhaft auf die Bildschirme transportiert. Die Serie führt einem Lebensweisen vor Augen, die unserer heutigen modernen Gesellschaft völlig fremd erscheinen, was dazu führt, das eigene Leben und die Freiheit, die wir genießen umso mehr wertzuschätzen.

Die Serie "Unorthodox" ansehen:

Catherine Bühnsack - myFanbase

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