Wilderness - Review Staffel 1

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Prime Video hat die neue Serie "Wilderness" als Racheserie angekündigt. Ich musste in dem Kontext sofort an "Promising Young Woman" denken, wo Carey Mulligan die rachsüchtige Frau darstellt, die mit einem lange geplanten Manöver mit dem Geschlecht Mann abrechnet. Dort ging es also tatsächlich mehr um ein allgemeines Statement zu Rollenbildern, während ich bei "Wilderness" dann als zusätzlichen Aspekt interessant fand, dass es konkret um eine Beziehung geht, die über den Verlauf einer ganzen Serie natürlich noch einmal ganz anders beleuchtet werden kann als nur bei einer Filmlänge. Dennoch habe ich mir im Vorfeld nicht zu viele Gedanken gemacht, wie die Serie wohl wird und die Vorlage durch B.E. Jones kenne ich auch nicht. Was hat "Wilderness" also zu bieten und ist das zu empfehlen?

Foto: Oliver Jackson-Cohen & Jenna Coleman, Wilderness - Copyright: Amazon Studios
Oliver Jackson-Cohen & Jenna Coleman, Wilderness
© Amazon Studios

Auch ohne im Vorfeld konkrete Vorstellungen gehabt zu haben, entwickeln sich beim Gucken durchaus gewisse Ideen, was noch mehr hätte beleuchtet werden können, wo hätte man den Schwerpunkt der Erzählung vielleicht verschoben etc. Ich fand auf jeden Fall, dass die erste Hälfte deutlich besser als die zweite war. Man konnte die Serie gut bis zum Ende gucken und dennoch hat sie mich nach hinten raus etwas verloren. Der Knackpunkt ist vermutlich, dass die Serie noch ein paar Haken zu viel geschlagen hat. Der Titel der Finalepisode, "Beute oder Raubtier", hätte auch gut als Motto für die gesamte zweite Hälfte genommen werden können, denn die beiden Hauptfiguren Liv und Will haben ihre Rollen permanent gewechselt und dieses Wechselspiel ist auch auf Kosten der Logik zu lange durchgezogen worden. Fangen wir da also gerne mit der ersten Hälfte an, wo dieses Eintauchen in eine neue fiktionale Welt gut gelungen ist. Trumpf sind sicherlich die beiden Hauptdarsteller Jenna Coleman und Oliver Jackson-Cohen. Sie kommt einem als Figur zunächst nahe, weil Liv als wirklich sympathischer Mensch eingeführt wird. Sie sieht einem Weihnachtsfest alleine entgegen, als Will unerwartet doch früher nach Hause kommt und ihre Aufregung, noch schnell alles weihnachtlich und heimelig herzurichten, kommt rüber. Im Verlauf der Serie muss Coleman aber auch noch viele andere Seiten spielen, tatsächlich sogar eine ganze Bandbreite und das hat sie anbieten können. Bei der Rolle Will liegt das Kompliment des Castings tatsächlich weniger am Darsteller in seinen Fähigkeiten, sondern an seinem Aussehen, so oberflächlich das erstmal klingen mag. Die Frauen- und die Männerrolle ist in der Serie aber völlig gegenteilig angelegt. Während man merkt, dass es in der Hauptsache um Liv, um ihre Geschichte, um ihre Gefühle und ihre Entwicklung geht, ist Will in meinem Eindruck austauschbar. Das wurde für mich vor allem in Szenen deutlich, wo ich in jedem anderen Format erwartet hätte, wenn Will redet und agiert, dass er im Bild ist, aber tatsächlich blieb die Kamera auf Liv gerichtet, um sie einzufangen. Deswegen sehe ich bei Jackson-Cohen tatsächlich als wichtig an, dass er, so klischeehaft es klingt, doch ein Äußeres hat, das gleichermaßen Playboy als auch liebender Ehemann ausstrahlt. Die Serie funktioniert in vielen Aspekten nur, weil man trotz seiner Taten dennoch seinen Beteuerungen glauben mag, kann und will. Nach hinten raus löst sich das immer mehr auf, weil dann Wills Maskerade endgültig gefallen ist, aber an dem Punkt hat Liv sich auch schon längst selbst gelöst.

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Die Serie hält sich auch gar nicht lange damit auf, in vielen Rückblenden die ideale Beziehung des Paares aufzuzeigen. Schon der Moment bei der Hochzeit, wo Livs Mutter Caryl (Claire Rushbrook) sich keine Mühe gibt, ihren Widerwillen zu verbergen, spricht Bände. Auch wenn sie zum anderen Geschlecht aus eigenen Gründen eine spezielle Beziehung hat, dazu später mehr, ist ihre Tochter ihr doch wichtig und ein solches Verhalten bei einem Event dieser Größenordnung, das ist mal eine Ansage. Auch sonst sind überall schnell Hinweise versteckt, dass es die Bilderbuch-Ehe nie gab. Während bei Liv sehr deutlich rüberkommt, warum sie diese Ehe aber in der Überzeugung eingegangen ist, dass es ab jetzt nur noch wunderschön wird, habe ich mich Will wirklich andauernd gefragt, warum und ob überhaupt er sich in Liv verliebt hat und warum er sie sich ausgeguckt hat? Denn in der zweiten Staffelhälfte kommt zunehmend raus, dass er sich familiär unter großem Druck sieht. Hier hätte sich "Wilderness" vermutlich einen großen Gefallen getan, wenn die Eltern auch mal zu sehen gewesen wären. So waren sie aber Figuren, die einen großen Einfluss auf das gesamte Geschehen haben, dies aber für uns Zuschauer*innen nicht sichtbar tun. Vielleicht hätte sie so auch geklärt werden können, was genau in Will vorgeht. Musste er nämlich heiraten, obwohl er das gar nicht wollte? Oder hat er Liv wirklich geliebt und sie kam als offener Mensch bei seinen Eltern an, so dass er dann an den großen Jackpot geglaubt hat, aber einfach sein Geschlecht nicht in der Hose behalten konnte? Ja, ist Will sexsüchtig? Und hält er wirklich nur an der Ehe fest, weil in seiner Familie Scheidung verpönt ist? Alleine dieser riesige Fragenkatalog zeigt eine weitere Schwäche der Serie, denn so viel sollte bei so einer Art Format am Ende nicht mehr offen sein. Auch wenn es rein von der Kameraeinstellung doch einige Sequenzen gibt, die ein vermeintlich glückliches Paar zeigen, so wirklich waren sie es nie und das eben wahrscheinlich, weil Liv als Opfer ihrer Geschichte bewusst die Augen verschlossen hat.

Foto: Claire Rushbrook, Oliver Jackson-Cohen & Jenna Coleman, Wilderness - Copyright: Prime UK/Kailey Schwerman
Claire Rushbrook, Oliver Jackson-Cohen & Jenna Coleman, Wilderness
© Prime UK/Kailey Schwerman

Für das Verständnis der Serie ist das Verhältnis von Mutter und Tochter gleichermaßen von Bedeutung wie die Ehe, die man beim in sich Auflösen begleitet. Während es zunächst so wirkt, als habe Caryl mit dem männlichen Geschlecht abgeschlossen, weil sie eben selbst vom Ehemann betrogen wurde, ist die Sache deutlich komplexer. Denn Liv hat die Affäre ihres Vaters einst als junges Mädchen aufgedeckt und das hat das Verhältnis zu ihrer Mutter beeinflusst, die ihr im Geheimen und manchmal auch weniger Geheimen Vorwürfe gemacht hat. Das hat Liv so beeinflusst, dass sie eben ein Bild von einem Bilderbuchehemann entwickelt hat, wo Will alles zu erfüllen scheint. Liv hat es sich damit nicht zur Aufgabe gemacht, die Männer gleichermaßen wie ihre Mutter zu verachten, sondern sie hat sich umgekehrt das Ziel gesetzt, den Mann zu finden, um Caryl zu widerlegen. Mit Will hat sie sich dann aber ein faules Ei ins Nest legen lassen. Aus diesem komplexen Zusammenhalt habe ich auch geschlossen, dass Liv mit ihrem anfänglichen Entsetzen über das erste wissentliche Fremdgehen nur nicht die sofortige Konsequenz gezogen hat, die Ehe zu beenden, weil sie nicht aufgeben wollte, ihre Mutter eines Besseren zu belehren. Doch aufgrund dieses eigenen Drucks hat sie sich immer mehr den Verletzungen durch Will ausgesetzt und es tat mir stellenweise wirklich in der Seele weh, was Liv alles mitansehen musste. Immer diese gestotterten Entschuldigungen, immer die leidenschaftlichen Versprechungen und Beteuerungen und dann doch wieder die Beweise, dass es nicht einmalig, sondern fast schon eher pathologisch ist. Das waren die Momente, wo mich Coleman auch richtig packen konnte, denn der Schmerz für Liv war echt und nicht Teil einer Show, wie es später im Serienverlauf beispielsweise passiert.

Foto: Wilderness - Copyright: Prime UK; Kailey Schwerman/Prime VIdeo
Wilderness
© Prime UK; Kailey Schwerman/Prime VIdeo

Mag Liv noch in die Ehe gestartet sein und ein Stück von sich selbst aufgegeben haben, indem sie mehr in die Rolle der braven Hausfrau als die der erfolgreichen Karrierefrau gedrängt wurde, entwickelt sie dann eben den Biss, der "Wilderness" zu einer Racheserie macht. Und das waren dann auch die stärksten Serienmomente, wo Will glaubt, eine Reise zu machen, die seine Ehe rettet, während Liv ihre ganz eigenen Pläne hat. Sie sucht nach der perfekten Gelegenheit, um ihren Ehemann loszuwerden. Das erscheint ihr wahrscheinlich auch als so ideal, weil sie so ihrer Mutter nicht eingestehen müsste, was ihr angetan hat und dass sie in dieselbe Falle wie sie getappt ist. Ich mochte in den Momenten Colemans Minenspiel, aber ich habe auch genauso die Musikauswahl zu vielen Sequenzen sehr gefeiert. Taylor Swifts Hit "Look What You Made Me Do" als Titelmelodie ist schon echt genial, aber auch ansonsten werden immer wieder Songs verwendet, die sowohl melodiös als auch textlich gesehen genau das einfangen, was ich in dem Moment bei Liv sehe. Aber das ist auch ein Aspekt, der in der ersten Staffelhälfte besser getimt wurde. Dieser Racheurlaub wird schließlich durch das unerwartete Auftauchen von Affäre Cara (Ashley Benson) und deren Freund Garth (Eric Balfour) aufgebrochen. Aber das hat für mich auch gut gepasst, weil es ein wenig mit dem Klischee gespielt hat, dass die betrogene Frau vor allem die Affäre verantwortlich macht als den eigenen Ehemann, denn sie hat ja verführt und er konnte sich leider einfach nicht seinen sexuellen Bedürfnissen erwehren. Ja, ja, der arme Mann. Es ist nicht so, als würde Liv nicht auch Cara einer wirklich sehr harten Prüfung unterziehen, aber sie begegnet ihr dennoch noch so offen, dass sie auch ihre Perspektive sehen kann. Und da ist Cara eben auch nur eine von vielen und genauso wenig besonders für Will. Er ist eben ein Mann der großen Versprechen, der keines davon einhält. Aber auch so war das Miteinander der vier spannend, weil man nicht so recht einzuschätzen weiß, was alles passieren wird und kann.

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Nach Caras Tod wendet sich das Seriengeschehen wieder. Liv wird logischerweise mit Schuldgefühlen überschwemmt und dementsprechend wird hier bedeutsam, dass sie und Will fortan mehrfach die Rolle von Beute und Raubtier wechseln. Das hatte zunächst eindeutig seinen Reiz, aber wurde dann immer ausgelutschter, bis sich am Ende Liv eben als Raubtier durchgesetzt hat. Hier war ich dann endgültig wieder bei "Promising Young Woman" ausgekommen, denn die Botschaft ist am Ende doch eindeutig dieselbe. Doch der Weg dahin wurde durch mehrere Aspekte noch zäh. Detective Rawlins (Marsha Stephanie Blake) und Wiseman (Jonathan Keltz) waren mir als Figuren irgendwo zu austauschbar. Rawlins war von den beiden sicherlich dann die spannendere, auch weil ich denke, dass sie Liv mehr durchschaut hat, als sie wohl selbst geglaubt hat. Dennoch haben sie sich eben der Wahrheit verschrieben, doch es ging nicht wirklich um sie selbst. Garth wiederum ist auch irgendwann in eine Ecke gedrängt worden, die eigentlich nicht wirklich zu ihm passen wollte. Zumal es mir dadurch zu einseitig 'böser Mann' war. Das habe ich dann auch dadurch gemerkt, dass eine Figur wie Ash (Morgana Van Peebles), eine Frau, dann die liebevolle Ratgeberin war, dabei hätte man sie sich beispielsweise sparen können und hätte Garth mehr Zeit schenken können. Aber auch eine Bonnie (Talia Balsam) hat sich mir nicht wirklich erklären wollen. Sie war eigentlich doch so dominant, aber sie hätte man fast genauso konsequent wegstreichen können. Alleine an den Aspekten zeigte sich für mich dann deutlich, dass die Serie in der zweiten Hälfte einfach zu sehr aufgebauscht wurde.

Fazit

"Wilderness" hinterlässt bei mir einen sehr ambivalenten Gesamteindruck. Grob lässt sich die Racheserie von Prime Video in eine starke erste und in eine schwächere zweite Hälfte einteilen. Schauspielerisch bin ich überzeugt worden, aber bei den Figuren gab es unnötige Rollen und es gab bei zu vielen zu viele Fragezeichen. Wo die Serie aber auf Spannung und wo sie auf detaillierte Beziehungsdarstellung setzt, da funktioniert es gut. Die Botschaft der Serie muss man natürlich auch mögen. Daher empfehle ich "Wilderness" eher mit Einschränkungen.

Die Serie "Wilderness" ansehen:

Lena Donth - myFanbase

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