Bewertung

Review: #10.01 Überschrittene Grenzen

Foto: Cailey Fleming & Antony Azor, The Walking Dead - Copyright: Jackson Lee Davis/AMC
Cailey Fleming & Antony Azor, The Walking Dead
© Jackson Lee Davis/AMC

Wir schreiben inzwischen die zehnte Staffel von "The Walking Dead" und es gibt zahlreiche Kritiker, die der Serie zurecht nicht mehr viel abgewinnen können. Wie kommt es also, dass sich hier wieder jemand findet, der seine wertvolle Zeit dafür opfert, um die immer wieder gleiche Leier zu begutachten. Ich sage es mal so. Trotz aller Redundanzen und Logikfehler bin ich noch immer fasziniert von dem Endzeitszenario und den diversen Facetten, die zwischen Überlebenswillen und Hoffnungslosigkeit existieren. Insofern macht es, auch wenn die Serie viel verloren hat, noch immer Freude, die Serie zu schauen. Unkritisch werde ich aber nicht sein.

"Na, was hast du gefunden?"

Nach den tödlichen Ereignissen aus dem Staffelfinale, bei dem einige Hauptcharaktere ihr Leben lassen mussten (ich trauere Tara und Jesus immer noch nach), ist klar, dass man die Whisperer als bleibende Bedrohung sehr ernst nehmen muss, auch wenn man einen gewissen Waffenstillstand geschlossen hat. Entsprechend steht die gesamte Episode unter einer Art Damoklesschwert, denn eigentlich passiert nichts und trotzdem scheint jede Entscheidung nur auf die Whisperer ausgerichtet zu sein. Das zeigt uns schon der interessante und fast schon amüsante Einstieg mit dem Beißereffekt, als die Gruppe in Oceanside ein Gruppentraining mit diversen taktischen Finessen absolviert. Das gab es in dieser Form noch nicht und war daher durchaus gelungen. Ich hatte jedenfalls dadurch noch mehr Lust auf diesen Staffelstart, ahnte ich noch nicht, dass sich der Auftakt dann doch in eher belanglosem Geplänkel verliert. Es sind ja ein paar Monate seit der letzten Staffel vergangen und die Whisperer kreuzten nicht mehr die Wege unserer Gruppe, bis jetzt eben eine Haut und später auch ein Gehäuteter gefunden werden. Mir erschließt sich tatsächlich nicht ganz, was jetzt das Ziel der Whisperer ist. Ich hatte sie bisher als eher Umherreisende wahrgenommen, die eigentlich eher weiterziehen würden, statt richtig sesshaft zu werden. Nun mag Lydia hier ein verändertes Verhalten hervorgerufen haben, aber sie hat sich nach dieser Zeit, in der sie sich nicht wirklich integriert fühlt, trotzdem noch nicht zur Rückkehr entschlossen. Hier fehlt es jedenfalls noch an ein paar Erklärungen, denn ohne die allerletzte Szene wäre ich da auch auf Seiten von Michonne gewesen und hätte keine echte Bedrohung in den Funden gesehen.

"Ich finde hier gar nichts natürlich."

Ich muss an dieser Stelle gleich mal Lydia zitieren und damit auf eine der besseren Szenen der Episoden hinweisen. Lydia ist nicht wirklich glücklich in der Gruppe und fühlt sich beobachtet, vielleicht sogar auch beschuldigt, weil sie einst zu den Whisperern gehörte. Als einstige Feindin hat sie aber etwas mit Negan gemein, der auch nicht gerade gern gesehen ist, sich aber versucht zu fügen. Das Gespräch zwischen Negan und Lydia hat mich richtig neugierig auf die kommenden Episoden gemacht, weil diese beiden mit ähnlichen Voraussetzungen in der Gruppe sind. Das kann noch sehr spannend werden und hat aus meiner Sicht viel Potenzial. Ich bin gespannt, in welche Richtung die Autoren gehen werden, kann mir aber gut vorstellen, dass beide noch eine entscheidende Rolle spielen werden.

"Sind wir die Guten?"

Die Gespräche zwischen Aaron und Michonne waren auch nicht so schlecht, hatten aber durchaus auch nervige Passagen. Dass Aaron wütend ist, kann man absolut verstehen. Dass er sich dadurch kammikazehaft beinahe in den Tod stürzt, ist zu diesem Zeitpunkt, also mehrere Monate nach den Verlusten und zu solch einem unnötigen Zeitpunkt nicht das, was ich von Aaron erwarte, auch wenn er stark verändert aus der letzten Staffel herausgekommen sein mag. Dann soll er es lieber auf die philosophische Weise betrachten und eben hinterfragen, wer hier Gut und Böse ist. Auch das ist kein wirklich neuer Einfall und war auch nicht unbedingt zielorientiert umgesetzt, aber die Harmonie mit Michonne hat immerhin gestimmt. Nehmen wir auch diese Szenen also als wichtige Darstellung hin, mit welchen Einstellungen die Charaktere in die neue Staffel gehen.

"Furcht ist gefährlich. Sie kann uns entzweien."

Bevor ich auf andere Charaktere eingehe, will ich doch noch zwei Worte zur Handlung verlieren. Dass ein Satellit abstürzt und den Wald in Brand setzt, sodass man gezwungen ist, die Grenze zu überschreiten, den Brand zu löschen und damit nicht so viele Beißer anzulocken, ist als Grundidee erst mal in Ordnung. Die zeitliche Abfolge, quasi drei Mal auf diesen Absturz hinzuführen, ist keine wahnsinnig innovative Idee, aber immerhin mal was anderes. Allerdings finde ich das Ereignis zu belanglos, um drei Mal darauf hinzuarbeiten. Das hätte für mich also auch parallel passieren können und hätte die oben zitierte Phrase, die für mich zu den wichtigsten Sätzen der Episode gehört, vielleicht besser herausarbeiten können. Schade ist auch, dass man beim zweiten Blutbad während des Feuers keinen Bezug zur ersten Szene mit dem Training hergestellt hat. Das wäre rund gewesen. Und warum sich offenbar kein Whisperer für den Brand interessiert, obwohl sie scheinbar in der Nähe sind, erklärt sich hier erst mal auch nicht. Ich hätte es spannender gefunden, wenn beide Parteien in ihren Grenzen für das gleiche Ziel gegen die gleiche Bedrohung gekämpft hätten. Denn so richtig wird der Mehrwert der Szene nicht klar. Es wäre jedenfalls äußerst seltsam und unsympathisch, wenn die Whisperer diese Grenzüberschreitung übel nehmen würden, denn letztlich wurde auch ihnen geholfen. So oder so hat mich diese Episode inhaltlich nicht wirklich gepackt.

Kleinigkeiten

Es gab aber noch einige Szenen, die man positiv herausstellen kann und die charakterlich zu überzeugen wussten.

  • Wie Judith den Kindern vom tapferen Mann erzählt, war schon herzzerreißend und somit eine sehr gelungene Szene. Es ist schön, dass sie ihren Vater Rick in solch einer Erinnerung behält, aber ich finde Judith eh einfach nur wunderbar. Da war ich also voreingenommen.
  • Der Zusammenschnitt, der Eugene als Vater zeigte, war herrlich. Sein notorisches Aufschreiben aller möglichen Daten hätte jede Hebamme in der Nachsorge überrascht aber auch stolz gemacht. Er nimmt solche Sachen eben ernst und macht es nur zu 100 Prozent. Ich hoffe, dass man noch viele Vatermomente von Eugene sehen wird.
  • Dass Siddiq psychische Probleme hat, da er das Gemetzel der Whisperer miterleben musste, ist logisch und natürlich spannend für die die weiteren Episoden. Das muss nur konsequent weiter verfolgt werden.
  • Die neuen Charaktere, die durch Judith gerettet wurden, liefen ja bisher eher nebenbei. Dass man hier nun offenbar den Schwerpunkt mehr auf sie bringt, macht Sinn und kann der Serie helfen. Ob Jules und Luke da nun gleich in Richtung Pärchen gehen müssen, ist mir zwar im Moment noch egal, aber man braucht auf der Ebene auch mal neue Ideen, denn Carol und Ezekiel scheinen nicht mehr zueinander zu finden, Michonne bleibt allein und viele andere Paare oder potenzielle Paare sind durch die Whisperer ad acta gelegt worden.
  • Carol und Daryl hatten auch ein paar schöne Momente. Die beiden Dienstältesten haben einfach eine tolle Chemie und funktionieren als platonisches Pärchen wunderbar. Vielleicht werden sie doch noch ein gemeinsames Ziel verfolgen und nicht immer mal wieder zusammen treffen. Ich fände es aber toll, wenn sie beide entscheidend den Kampf gegen die Whisperer beeinflussen würden.

Fazit

Meine Vorfreude war eigentlich groß, aber dieser Staffelauftakt war dann etwas ernüchternd. Zwar gab es einige tolle Charaktermomente, der inhaltliche Rahmen und die Inszenierung hatten aber zur Folge, dass diese Episode irgendwie dahinplätscherte und damit in Teilen nur überflüssig wirkt. Ich mache sechs Hoffnungspunkte daraus, weil ich das Positive überwiegen lassen möchte.

Emil Groth - myFanbase

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