Review: #2.05 Ich bin Anne Frank (2)
Man kann sich im Internet und in Bibliotheken über all die archaischen, grausamen Methoden informieren, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts bei der "Behandlung" von psychisch kranken oder auch nur vermeintlich psychisch kranken Menschen angewendet wurden, oder man sieht sich die zweite Staffel von "American Horror Story" an. Letzteres ist entschieden plastischer und unterhaltsamer. Nachdem wir in der vorangegangenen Episode Zeugen einer Aversionstherapie wurden und man uns eine Zwangsterilisation versprochen hat, erleben wir diesmal eine Lobotomie und natürlich die angekündigte Zwangsterilisation.
Sie ist nicht Anne Frank
Die angebliche Anne Frank entpuppt sich als eine Ehefrau und Mutter, die infolge einer Wochenbettdepression der Vorstellung verfallen ist, das berühmte Holocaust-Opfer zu sein. Diese Auflösung finde ich persönlich recht gelungen, gerade weil die Wochenbettdepression ein schwieriges Thema ist, das lange Zeit vollkommen aus dem Licht der Öffentlichkeit verbannt war und noch immer sehr stark gemieden wird. Es passt einfach nicht in unser natürliches Weltbild, dass eine Mutter ihr Kind nicht lieben und versorgen kann, aber es gibt diese Krankheit, sie kann jede Frau treffen, die ein Kind zur Welt gebracht hat, und sie lässt sich inzwischen mit einer hohen Erfolgsrate therapieren. Was aber 1964 in Briarcliff mit Charlotte, der selbsternannten Anne Frank passiert, hat mit einer erfolgreichen Therapie rein gar nichts zu tun. Dr. Arden unterzieht sie einer Lobotomie und macht sie auf diese Weise für immer mundtot, da ihre Anschuldigungen gegen ihn tatsächlich der Wahrheit entsprechen. Sie hat die Grauen von Ausschwitz zwar nicht am eigenen Leib erfahren, aber so viel darüber gelesen, dass sie in Arden den Nazi-Arzt erkennen konnte, der er einst war.
Die Lobotomie, die im 21. Jahrhundert Gott sei Dank weitestgehend verpönt ist, führt bei den Patienten, oder vielmehr den Opfern, zu irreparablen Hirnschäden und gravierenden Persönlichkeitsveränderungen. Die arme Charlotte wird durch den Eingriff zu einem Zombie in Küchenschürze, zu einer perfekten Hausfrau, aus der alle Individualität herausgehämmert wurde. Ihr Mann schwebt mit einer nun gefügsamen Ehefrau auf Wolke sieben, aber man kann sich vorstellen, dass das nicht ewig so bleibt und er früher oder später schmerzlich begreift, dass er mit einer leeren Hülle verheiratet ist. Der gemeinsame Sohn der beiden, David, wird auf jeden Fall der Leidtragende sein. Mit einer lobotomierten Mutter, die einem Roboter ähnlicher ist als einem Menschen, scheint eine gesunde Kindheit kaum denkbar. Der kleine David ist unter diesen Umständen ein aussichtsreicher Kandidat, eines Tages ein Serienkiller zu werden, so einer wie ... Oliver Thredson.
Hinter der blutigen Maske
Was sich zuletzt ganz massiv angedeutet hat, bestätigt sich nun: Oliver Thredson ist Bloody Face. Woher seine Liebe zu Lampenschirmen aus Menschenhaut und Bonbonschalen aus Schädeln rührt, wissen wir noch nicht, aber Lana wird es zwangsläufig erfahren. Oliver hat sie aus Briarcliff herausgeholt, um sie geradewegs in seinem Keller anzuketten. Der Ausdruck Vom Regen in die Traufe bringt es an dieser Stelle ziemlich gut auf den Punkt. Da entkommst du einer Psychiatrischen Anstalt voller Sadisten und Monster, um im Schlachtkeller eines Serienkillers zu landen. Ich bin sehr gespannt, was in diesen unterirdischen Räumen noch passieren wird. So ein brutales Psychoduell zwischen Lana und Oliver, bei dem auch Lanas Homosexualität weiterhin eine Rolle spielt, könnte sehr interessant und intensiv werden. Oliver scheint momentan kein Interesse daran zu haben, Lana zu töten, sondern will, dass sie seine Geschichte dokumentiert.
Dass wir jetzt wissen, wer 1964 hinter der blutigen Maske aus Menschenhaut steckt, bedeutet natürlich nicht, dass wir auch wissen, wer 2012 als Bloody Face sein Unwesen treibt. Sofern Oliver keinen Weg gefunden hat, ewig jung zu bleiben, zum Beispiel mit Dr. Ardens Hilfe, muss es einen Nachfolger geben.
Aliens in Briarcliff
Für Grace kommt es nun auch zu einer Begegnung der dritten Art, die möglicherweise gar keine ist. In ihrem Fall könnte die Alienentführung und das Aufeinandertreffen mit einer entkleideten, aber nicht gehäuteten Alma durchaus eine Halluzination sein, um die Realität der Zwangsterilisation zu verdrängen. Auf Basis von Kits Erzählungen und unter gütiger Mithilfe von starken Betäubungsmitteln, hat ihr Verstand möglicherweise dieses Bild erschaffen. Das wäre nachvollziehbar. So erschreckend Aliens auch sind, steckt in der Vorstellung, dass einem fremde Wesen und nicht etwa andere Menschen Schmerzen antun und der Würde berauben, doch auch etwas Tröstliches. Zudem bindet dieses Erlebnis Grace noch enger an Kit.
Wenn es am Ende doch darauf hinausläuft, dass wir es mit Aliens zu tun haben, hoffe ich auf eine einigermaßen plausible Erklärung, warum diese fremden Zeitgenossen nach einer Reise von mehreren Millionen Lichtjahren durchs All nun in einer Irrenanstalt irgendwo in den USA Nonnen erschrecken und an Patienten herumdoktern. In dieser Aliengeschichte sehe ich die größte Falle, die eine bisher aus meiner Perspektive interessante zweite Staffel ins Stolpern bringen könnte.
Maret Hosemann - myFanbase
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: I Am Anne Frank (2)Erstausstrahlung (US): 14.11.2012
Erstausstrahlung (DE): 17.10.2013
Regie: Alfonso Gomez-Rejon
Drehbuch: Brad Falchuk
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