Review: #2.12 Kontinuum
Es ist ein sehr passender Titel, den man für diese vorletzte Episode der zweiten Staffel von "American Horror Story" gewählt hat. Ein Kontinuum ist eine Vereinigung von Raum und Zeit, ein Zusammenfallen von Lokalität und Temporalität, das im übertragenen Sinne einen Vortex aus verschiedenen Realitäten beschreibt. #2.12 Continuum ist eine Episode, die gekonnt mit Halluzinationen, falschen Wirklichkeiten und dem Verlust des eigenen Verstands spielt, und es damit endlich einmal schafft, das für diese Staffel eigentlich so zentrale Thema der Verrücktheit auch wirklich greifbar zu machen.
"Daddy's home."
Ganz im Sinne einer raumzeitlichen Diskontinuität fällt die Erzählstruktur dieser Folge aus dem Rahmen: Wir bekommen drei verschiedene Erzählblöcke zu sehen, einmal das tragisch endende Familienleben von Kit, Alma und Grace im Jahre 1967, dann einen Einblick in Judes schreckliches Leben in Briarcliff anno 1968, und zuletzt Lanas bitterer Erfolg als Bestsellerautorin 1969. Dabei überschneiden sich die Wege der Charaktere immer wieder, da deren Schicksale nach den grausamen Ereignissen in Briarcliff für immer verwoben sind.
Kit, Alma und Grace leben also als glückliche Hippie-Familie mit ihren zwei Alien-Kindern zusammen (lasst euch das mal auf der Zunge zergehen) und für einen Moment will man tatsächlich glauben, dass diese familiäre Idylle funktionieren könnte. Das tut sie aber natürlich nicht. Denn als ob es nicht schon kompliziert genug wäre, dass Kit zwei Frauen und mit ihnen jeweils ein Kind hat, so steht auch immer die Alienentführung im Raum, die Grace für ein Wunder hält, während Alma ein Trauma davongetragen hat. Und so versuchen die zwei Frauen zwar, miteinander auszukommen und sich Verständnis entgegen zu bringen, doch da ist stets die Eifersucht, die sie voneinander distanziert. Es spricht Bände, dass sowohl Alma als auch Grace nie das Kind der jeweils anderen auf dem Arm tragen, nur ihr eigenes. Und so passiert das, was wohl passieren musste: Alma fertigt Grace mit einer Axt ab und das ist natürlich wieder mal bittere Ironie. Die Axtmörderin stirbt durch eine Axt. Und Alma landet in Briarcliff, eine Hölle, die sie nicht lange erträgt.
"The cruelest thing of all is false hope."
Jude hingegen ist seit nunmehr vier Jahren in Briarcliff inhaftiert und versucht verzweifelt, nicht ihren Verstand zu verlieren. Als für tot gehaltene Insassin ist ihr jegliche Hoffnung auf Freilassung geraubt worden und so ist es ein wirklich grausamer Akt von Timothy, dass er Jude vor seiner Abreise ein Versprechen gibt, das er niemals einhalten wird. Der Zuschauer wird gekonnt in Judes desolate Welt eingebunden, eine Welt, in der Briarcliff von den unzumutbarsten Menschen überschwemmt wird, in der jegliche Privatsphäre geraubt wird, in der ein Fernseher und ein Brettspiel die einzigen Dinge sind, mit denen man sich beschäftigen kann. Jude verliert zusehends ihr Zeitgefühl, verwechselt Jahre für Tage, verliert sich in einem Kontinuum des Wahnsinns und beginnt Dinge zu sehen, die gar nicht existieren.
So ist es eine überaus freudige Überraschung, Frances Conroy wieder dabei zu haben, diesmal als Frauenknast-Version des Todesengels, der Jude das Leben zur Hölle macht. Conroy spielt die hartgesottene, durchtriebene Unruhestifterin wirklich phänomenal und wirkt von ihrem ersten Auftritt an unwahrscheinlich angsteinflößend. Als Zuschauer ist man sich nach dem ersten Schock zwar relativ schnell dessen bewusst, dass Jude nur halluziniert, doch das raubt der Konstellation Conroy/Lange nicht im Geringsten die Faszination. Als Jude am Ende mit zersausten Haaren in einer Zwangsjacke vor der neuen Briarcliff-Leiterin Dr. Crump sitzt und die Welt nicht mehr versteht, bekommt man einen guten Eindruck davon, wie es sein muss, Gefangener seiner eigenen Verrücktheit zu sein. Schade, dass die Staffel erst jetzt das Thema des Verrücktwerdens und -seins direkter aufgreift, denn es hätte der Story gut getan, die psychologische Dimension ihrer Charaktere mehr auszuloten.
"Face it Lana, you're only interested in one thing: fame."
Wie die Zeit jemanden verändern kann, das wird wohl bei Lana am deutlichsten: 1969, einige Jahre nach dem Grauen von Briarcliff und der Geburt von Johnny, hat sich Lana als Bestsellerautorin etabliert und genießt Ruhm und Bewunderung. Der kritische Blick auf die Sensationsgier der Gesellschaft und die Bereitschaft der Leute, auch aus dem Schrecklichsten noch Geld zu schlagen, wird sehr gut thematisiert, denn man fällt nicht in die Falle, Lana einfach nur als gewissenlose Goldgräberin zu zeigen. Sie hat in der Tat Gewissensbisse, weil sie "Maniac" mit fabrizierten Lügen ausstaffiert hat, um die Geschichte verkaufstüchtig zu machen. Und das Wiedersehen mit Kit zeigt, dass der Erfolg für sie letztlich auch nur ein Versuch ist, um über ihre schrecklichen Erfahrungen hinwegzukommen und das Geschehene irgendwie zu verarbeiten.
Zum Ende der Episode fährt man dann noch ein richtiges Highlight auf: Wir springen ins Jahr 2012, in dem Bloody Face Jr. versucht, ein gewisses Buch mit dem Titel "Maniac" aufzutreiben. Es ist schwer zu erklären, warum diese Endszene so unwahrscheinlich packend ist, aber als Zuschauer hält man unweigerlich die Luft an, als Johnny vor die alte Buchverkäuferin tritt: Wird er die arme alte Frau töten? Ist die alte Frau womöglich Lana selbst, die er erschießen will? Zieht er jetzt gleich einen Revolver? Für einige Sekunden spielt man im Kopf alle diese Möglichkeiten durch, während Dylan McDermott einfach nur extrem unheimlich ist. Sämtliche Blutbäder, die Johnny zu Beginn der Staffel angerichtet hat, sind nichts im Vergleich zu dieser ungewöhnlichen Konfrontation.
Nun stellt sich die große Frage: Was will das Finale uns zeigen? Wird Lana gemeinsam mit Kit versuchen, Briarcliff zu schließen? Werden sie versuchen, ihre ehemalige Peinigerin Jude zu retten? Kommt es zu einer Konfrontation von Lana und ihrem verlorenen Sohn? Wird Johnnys Geschichte zu einem Ende kommen? Vielleicht kann man all das tatsächlich für die kommende Folge, die den vielsagenden Titel #2.13 Madness Ends trägt, erwarten. Besser wäre es aber natürlich, wenn es den Serienmachern gelingen würde, uns nochmal so richtig zu überraschen und zu schockieren. #2.12 Continuum jedenfalls fühlt sich an wie eine Episode, die als Wegbereiter für das Finale funktionieren soll. Dabei schafft sie es durchaus, packendes menschliches Drama zu zeigen, die wirklichen Höhepunkte bleiben jedoch – bis auf den Schluss – aus. Da die Serie seit der letzten Episode aber wieder ein qualitativ etwas höheres Level erreichen konnte, bleibt zu hoffen, dass das Finale vielleicht doch noch was wird.
Maria Gruber - myFanbase
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: ContinuumErstausstrahlung (US): 16.01.2013
Erstausstrahlung (DE): 05.12.2013
Regie: Craig Zisk
Drehbuch: Ryan Murphy
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