Bewertung

Review: #4.12 Der Publikumshit

Foto: Evan Peters, American Horror Story: Freak Show - Copyright: Frank Ockenfels/FX
Evan Peters, American Horror Story: Freak Show
© Frank Ockenfels/FX

Würde man "American Horror Story: Freak Show" mit einem Pferderennen vergleichen, dann wäre das ungefähr so: Die ersten zwei Drittel der Strecke trabt das Pferd langsam vor sich hin, bis es im letzten Drittel zum Galopp ansetzt, dann jedoch vor lauter Eile stolpert, stürzt und das Ziel nicht mehr erreicht. So viele Charaktere und Storylines, wie diese Staffel eingeführt und dann wieder fallen gelassen hat, fühlt man sich wie bei einem Rennen mit hundert Pferden, bei dem man völlig den Überblick und damit auch das Interesse verloren hat. Denn mal ganz ehrlich: Maggies Tod, Stanleys Verstümmelung, der handlose Jimmy, die vertriebene Elsa, der schizophrene Chester, welches dieser Schicksale ist denn wirklich noch mitreißend?

"But where will I go?" – "Anywhere but here."

Bei der Freak Show überschlagen sich die Ereignisse. Sämtliche Intrigen und Gräueltaten der letzten zehn Episoden werden diesmal quasi zusammengefasst aufgedeckt, um ein großes Gemetzel in Gang zu setzen, das aber gerade deshalb seine Wirkung verfehlt, weil es so plötzlich kommt und es keinerlei Spannungsaufbau gibt. Nach Maggies Offenbarung, dass Stanley ein Hochstapler ist und Dell zum Mord an Ma Petite zwang, war es vorherzusehen, dass Stanley nun dafür büßen muss. Die Freak Show ist für ihre Selbstjustiz bekannt (siehe Pennys Vater) und geht nun auch mit Stanley absolut erbarmungslos um. Während es relativ enttäuschend ist, wie der doch angeblich so gewiefte Schwindler seinen Angreifern gerade verbal recht wenig entgegenzusetzen hat, so ist der Schocker am Ende, als wir Stanley völlig verstümmelt als perverse Version von Mr. Meep sehen, durchaus wirksam – denn das ist einfach nur verstörend.

Und so stellt man sich an dieser Stelle – und auch später bei der Hetzjagd auf Elsa – die Frage: Was für ein Bild seiner "Freaks" will "American Horror Story" denn hier eigentlich zeichnen? Das ständige Pochen auf dem Problem der Exklusion des Andersartigen und der Verurteilung der Devianz durch die Gesellschaft wirkt hohl, sieht man sich an, auf was für brutale und unmenschliche Mittel diese zuvor oftmals als Opfer dargestellten Figuren zurückgreifen. Doch von Opfern kann hier keine Rede mehr sein, nicht wenn aus Rache und anderen Gründen munter drauf losgemordet wird. Hier porträtiert die Serie seine Freaks letztlich als tatsächliche Monster, für die man kein Mitleid haben kann, und schneidet sich damit ins eigene Fleisch.

Dass nach Ethels Tod vier Episoden vergehen müssen, bis irgendeiner der Freaks diesen auch nur ansatzweise hinterfrägt, ist ebenso unklug inszeniert. Anstatt einen erzählerischen Bogen zu spannen und die Zirkusmitglieder sukzessive die Wahrheit entdecken zu lassen, glauben diese mal eben den zwischen Messerwurf und Axtbeil fallenden Worten des (Betrügers! Hochstaplers! Mörders!) Stanley, Elsa habe Ethel umgebracht. Schwupps mal eben eine Szene reinbringen, in der die Freaks zwei Minuten darüber diskutieren, und schon wetzen alle ihre Messer und sind Feuer und Flamme, ihrer langjährigen Anführerin den Garaus zu machen. Ein Fünftklässer hätte diese Geschichte mit mehr Spannung, Logik und Kohärenz schreiben können – so wirkt alles furchtbar überhastet und sprunghaft.

"I have seen you grow from a boy to a man, a man to a leader – and we need you now." – "I have no hands!"

Und der Leidtragende in all dem Tohuwabohu? Jimmy Darling. Niemand denkt auch nur eine Sekunde darüber nach, dass Jimmys Verstümmelung mit der Verstümmelung von Stanley nun noch sinnloser geworden ist, als sie es ohnehin schon war. Mal wieder wurde ein entscheidendes Storyelement – dass Jimmy sich mit dem Verkauf seiner Hand bzw. Hände ja einen guten Anwalt leisten wollte, denn er ist immernoch angeklagt und auf der Flucht vor den Behörden – einfach fallen gelassen, ja es wird nicht einmal ein Wort darüber verloren. Dann teilt Elsa Jimmy in einem Nebensatz mit, dass sie seinen Vater umgebracht haben, was dieser nur mit einem banalen "But he was my father!" quittieren darf. Dann eine kurze Erklärung von Eve, "Maggie's dead!", wo Jimmy gar nichts mehr entgegnet, und zum geplanten Mord an Elsa, seiner wichtigsten weiblichen Bezugsperson nach Ethel, hat er auch nichts mehr zu sagen. Es ist einfach nur unfassbar, wie die Serie sämtliche Konsequenzen und Gefühle unter den Tisch kehrt und alles dem (gescheiterten) Versuch unterordnet, zu schockieren und irgendwelche möglichst irren Wendungen zu bringen. Einzig Jimmys Freude über seine von Massimo Dolcefino (immer eine Bereicherung: Danny Huston) hergestellten Hummerhand-Prothesen kann dem Zuschauer ein halbwegs verständnisvolles "Aha" entlocken. Dass Elsas Peiniger sich als Hans Gruper aka Dr. Arden entpuppt, entlockt einem hingegen nur noch ein zur Kenntnis nehmendes "Aha".

Mehr als ein "Aha" verdient auch Chesters Story nicht. Letzte Episode neu dazugekommen, diese Episode quasi schon wieder weg – und prinzipiell bleibt von dieser Figur nichts zurück. Ja, Chesters Schizophrenie durch eine fiese Puppe darzustellen, deren lebendige Version in Form von Jamie Brewer wirklich gruselig ist, ist keine schlechte Idee. Ja, Maggies Tod beim bekanntesten aller Zaubertricks – die zersägte Kiste – bietet endlich einmal die Art von Horror, die man sich von solch einem Zirkussetting eigentlich erhofft hatte und ist durchaus überraschend (dafür aber sowas von nebensächlich inszeniert, dass er keinerlei Wirkung hatte). Doch letztlich war Chester für nichts anderes gedacht, als über die Zwillinge wieder Dandy in die Geschichte zu ziehen und ihn zum Besitzer der Freak Show zu machen. Damit hat Chester, ähnlich wie Edward Mordrake, nur eine bestimmte Funktion im Plot erfüllt, mehr nicht. Und Dandy? Dieser verliert leider immer mehr an Reiz, nicht zuletzt deswegen, weil man von ihm ja kaum noch was zu sehen bekommt.

"Everything here [...] belongs to me now. And I want to see what's mine."

So bleibt in der vorletzten Episode dieser Staffel, die sich immer mehr als die bislang schlechteste der Serie herauskristallisiert, vor allem der Missmut darüber, dass die Autoren anscheinend nicht einmal versuchen, auch nur ansatzweise so etwas wie konsequente Storyentwicklung zu betreiben. Logik, Kohäsion oder Progression, geschweige denn so etwas wie Suspense, Zweideutigkeit oder Unterschwelligkeit sind für diese Serie totale Fremdwörter geworden. Wie ein durchgedrehtes Pferd hat man sich in eine Sackgasse vergalloppiert, aus der auch das Finale nicht mehr retten können wird – außer durch ein Wunder.

Maria Gruber - myFanbase

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