Review: #4.11 Abrakadabra
Wenn nicht einmal die Präsenz des großartigen Neil Patrick Harris etwas rausreißen kann, dann ist eigentlich klar: Es harpert an allen Ecken und Enden. Nachdem "American Horror Story" mit #4.10 Orphans eine sehr solide Episode mit einer bewegenden wie schockierenden Story abliefern konnte, versinkt die Staffel mit #4.11 Magical Thinking wieder in der totalen Banalität. Sieht man sich den Storyverlauf auf dem Papier an, passiert eigentlich unglaublich viel: ein fahrender Händler taucht auf, Bette und Dot haben ihr erstes Mal, Jimmy verliert mal eben beide Hände, Elsa verkauft die Freak Show, Dell gesteht den Mord an Ma Petite und wird kurzerhand von Elsa erschossen. Das sind enorm viele Storylines, die in diese Episode gepresst werden. Und dennoch: Von einer unterhaltsamen Folge ist #4.11 meilenweit entfernt.
"I said kiss me, not lick me!" – "But I am French!"
Drei Episoden vor dem Finale scheint man keine größere Priorität zu haben, als für die Zwillinge den geeigneten Lover finden zu wollen. Dass Dots "große Liebe" Jimmy derzeit unschuldig im Gefängnis sitzt, kümmert die Zwillinge wenig, stattdessen halten sie ein Casting, um den besten Mann für ihr Vorhaben zu finden. Vorhang auf für Neil Patrick Harris aka Chester Creb, einem (und hier übertrifft sich "American Horror Story" in Sachen völlig übertriebener Charakterzeichnung mal wieder selbst) fahrenden Chamäleonhänder, der bei Zirkusvorstellungen Eidechsen verkauft (!), zudem als Magier arbeitet und gleichzeitig ein Veteran aus dem Zweiten Weltkrieg ist, der in seiner Puppe Marjorie seine imaginäre beste Freundin sieht (!!) und dessen Ehefrau sich während seiner Abwesenheit in ihre Freundin verliebte, sodass er die zwei Frauen auf das Geheiß seiner imaginären Puppenfreundin umbrachte (!!!), dann floh, und jetzt in Jupiter ein siamesisches Zwillingspaar beglücken will und für 1000 Dollar (woher das Geld?) einen Zirkus aufkauft. Das ist keine komplexe Figurenkonzeption, das ist einfach nur total absurd, sodass man diese Figur nicht mehr wirklich ernst nehmen kann – auch wenn Harris erwartungsgemäß alles gibt und hier toll aufspielt.
Natürlich bekommt Chester dadurch eine gewisse Wichtigkeit, dass er den Zwillingen das erste Mal beschert und dann auch noch Elsa die Freak Show abkauft. Doch obwohl beide Ereignisse eigentlich maßgeblich sind, wirken beide Szenen in ihrer Inszenierung ziemlich reizlos und versinken irgendwo in der ewigen Aneinanderreihung all der anderen Szenen, die so wüst hintereinander platziert werden, dass sämtliche Kohärenz verloren geht und von einem erzählerischen Bogen weit und breit keine Spur ist. Zudem ist es fragwürdig, wieso die Serie ausgerechnet jetzt – nur drei Folgen vor dem Ende – einen weiteren neuen Spieler aufs Feld bringt, wo doch eh schon so viele Charaktere die Serie bevölkern, dass man sich kaum wirklich Zeit für sie nehmen kann und die eigentlichen Hauptcharaktere teilweise einen gerade mal zehnsekündigen Auftritt haben.
"Imagine that. Being a freak for being normal."
Das beste Beispiel hierfür ist Dell. Michael Chiklis war in dieser Season bislang hoffnungslos unterfordert und obwohl der Schauspieler wirklich alles gab, um aus seinem Los das Beste zu machen, so ist Dell doch wieder ein Paradebeispiel für das Figurenproblem: Er ist ein Sammelsurium verschiedenster Eigenschaften, die aber keinen authentischen oder greifbaren Charakter ergeben. Der starke, temperamentvolle Mann, der seine hermaphroditische Frau sowohl liebt als auch missbraucht, gleichzeitig seine Homosexualität zu verstecken versucht, sich von Stanley zu einem brutalen Mord hinreißen lässt, kurzzeitig einen Selbstmordversuch unternimmt, seinen Sohn erst abstößt und dann aufnimmt – was soll man von so einer Figur halten, wenn die Autoren anscheinend selbst nicht wissen, was sie mit ihm machen wollen?
Dell darf in dieser Episode nochmal eine letzte gute Tat vollbringen und seinen verstümmelten Sohn aus der Hand der Polizei befreien. Er darf von seiner schwierigen Vergangenheit als schwarzes Schaf der Familie erzählen (wohlgemerkt kommt man mit dieser Hintergrundgeschichte erst jetzt, kurz vor seinem Tod!) und seinen Sohn füttern. Er darf auch wieder die Dinge mit Amazon Eve richten, die er ja fast einmal umgebracht hätte. Doch das wirkt alles sehr plakativ und führt dem Zuschauer geradezu vor Augen, dass man demnächst mit Dells Ableben zu rechnen hat. Während die Rettungsaktion Jimmys storytechnisch sinnvoll ist – immerhin ist Jimmys Storyline eine der tragenden Geschichten der Episode –, so wirkt die letzte Szene mit Desiree im Wagon aber völlig deplatziert. Aus dem Nichts erscheint sie mit einer Pistole in der Hand, um von Dell ein Geständnis zu erpressen, während Elsa gleichzeitig von Maggie (die ebenfalls urplötzlich auftritt) die Wahrheit über Ma Petite erfährt und Dell schließlich erschießt. Hier wird mit aller Gewalt versucht, einen Cliffhanger auf die Beine zu stellen. Doch obwohl mit Dell ein weiterer Protagonist das Zeitliche segnet, so hält sich die Trauer um ihn in Grenzen, woran man wieder einmal sieht, wie unglaublich banal sämtliches Geschehen in der Freak Show geworden ist.
"What a sicko! Tell me, how did they die?"
Ähnlich unvermittelt ist auch Dandys Auftritt am Karusell und sein folgendes Gespräch mit Chester. Es ist schade, dass sich diese Konversation nur auf so kurze Zeit beschränkt, denn das Zusammenspiel zwischen den zwei Psychopathen, die beide auf ihre Art krank sind, ist interessant und birgt Potential. Man darf allerdings befürchten, dass Dandy darauf aus ist, Chester den Garaus zu machen, da dieser ihm die Zwillinge genommen hat, auf die Dandy ja einen Besitzanspruch stellt.
Was bleibt nun von #4.11 Magical Thinking? Es ist eine Episode, die sämtliche Probleme, die die Staffel seit Beginn mit sich trägt, sehr deutlich zum Vorschein bringt: Es reicht nun mal nicht, im Minutentakt neue Wendungen und vermeintliche Schocker zu bringen, die im Endeffekt nur eine Aneinanderreihung unterschiedlichster Szenen sind, aber überhaupt keine kohärente Story erzählen. In einer besseren Serie würde man es nicht unter den Tisch kehren, dass Elsa eigentlich die letzte Person ist, die Dell wegen seiner Mordtat etwas vorwerfen dürfte (man denke an Ethel); man würde die Auswirkungen dieser Morde auf den (nun handlosen) Jimmy näher beleuchten, der von seinen engsten Bezugspersonen belogen wurde; man würde die Zwillinge nicht ausgerechnet dann, wenn Jimmy im Gefängnis sitzt, auf die Suche nach einem sexuellen Intermezzo schicken; man würde zentrale Figuren wie Dandy, Maggie und Desiree nicht so derart an den Rand drängen. Jetzt, zwei Episoden vor dem Finale, kann man zwar hoffen, dass die Serie noch einen anständigen Abschluss schafft, doch die Aussichten sind nicht gerade rosig.
Maria Gruber - myFanbase
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: Magical ThinkingErstausstrahlung (US): 07.01.2015
Erstausstrahlung (DE): 06.05.2016
Regie: Michael Goi
Drehbuch: Jennifer Salt
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