Bewertung

Review: #2.06 Kuckuck

Foto: Aaron Paul, Breaking Bad - Copyright: 2009 Sony Pictures Television Inc. All Rights Reserved.
Aaron Paul, Breaking Bad
© 2009 Sony Pictures Television Inc. All Rights Reserved.

Einmal wieder präsentiert uns "Breaking Bad" den Kampf an zwei Fronten. Auf der einen Seite Jesse, der der unmissverständlichen Aufforderung Walters aus der vergangenen Episode nachkommen und das verlorene Meth (bzw. das dadurch gewonnene Geld) zurückholen muss (komme was wolle), auf der anderen Seite Walter, der von einem Geist seiner Vergangenheit besucht wird und versucht, alle Auswirkungen auf seine Familie möglichst klein zu halten.

"Where's my money, bitch?"

Den Anfang macht Jesse, dem die undankbare Aufgabe zukommt, zwei Junkies mit Waffengewalt davon zu überzeugen, dass das Geld in seinen Händen eigentlich viel besser aufgehoben ist. Dabei spricht es für Jesse als (potentiellen) Sympathieträger, dass er vorher noch eifrig übt, richtig rumzuschreien und zu fluchen bzw. sich in Rage zu reden. Jesse wirkt dadurch für einen kurzen Moment regelrecht liebenswürdig, weil er einen so herrlich unprofessionellen Eindruck macht. Er besitzt diese kriminelle Energie einfach (noch) nicht. Dazu kommt dann auch noch die Briefträgerin, die Jesses Proben unterbricht und ihn höflich und viel zu gut gelaunt bittet, doch den Briefkasten nicht weiter zu blockieren und ihm im Zuge dessen auch noch einen schönen Tag wünscht. Spätestens jetzt, wo Jesse wie ein kleiner Junge wirkt, der belehrt wird, möchte man ihn schon fast in den Arm nehmen.

Jesse bricht also nach diesem kurzen Intermezzo in das komplett heruntergekommene Haus des Junkie-Paars ein und ist genauso geschockt wie der Zuschauer, als er ein komplett verwahrlostes Kind in all dem Dreck und Müll findet. Wie kann man ein Kind unter all diesen Widrigkeiten aufwachsen lassen? Jesse zeigt Herz, spielt mit dem Kind Kuckuck, macht ihm einen Sandwich, setzt sich auf die Couch und sieht gemeinsam mit dem kleinen Rotschopf Shoppingfernsehen. Jesse hat eben doch ein gutes Herz, was hier ganz offensichtlich wird. Er wird damit gleichzeitig auch sofort in der zuschauerinternen Sympathieskala über das Junkie-Paar gestellt, die sich offensichtlich viel zu wenig um ihren Sprössling kümmern und ihm des Öfteren anscheinend nicht einmal genug zu essen geben.

"You wanna know how GE rewarded Dr. Hall? A 10 $ US savings bond. Huh? A savings bond printed on carbon-based paper paid to a carbon-based man for something he made out of carbon."

Walter ist unterdessen wieder als Lehrer an seiner Schule tätig und versucht, bereits am ersten Tag seinen einmal wieder recht lethargischen Schülern die Faszination von Kohlenstoff näher zu bringen. Sein Vortrag über Kohlenstoffverbindungen, die die molekulare Grundlage allen irdischen Lebens bilden, scheint jedoch nur bedingt zu begeistern. Viel interessanter wird es dann jedoch (zumindest für den Zuschauer), als Walter das Beispiel von Dr. Howard Tracy Hall anbringt, einem Pionier im Gebiet der künstlichen Herstellung von Diamanten, und anhand dessen erzählt, wie Dr. Hall geradezu lächerlich gering für seine bahnbrechenden Forschungen belohnt wurde.

Seine Bemerkung, die vielen wohl nur als nette Pointe zu seiner Geschichte vorkam, erhält eine ganz besondere Brisanz durch den Kontext, in der sie entstanden ist. Denn Gretchen ist zurück und trifft sich mit Skyler, weil letztere immer noch dem Irrglauben erlegen ist, dass Gretchen und Elliott für Walters Krankenhausrechnungen aufkommen. Walters Glück ist es, dass Gretchen Skyler nicht die Wahrheit erzählt, als dieser noch mit Walter, Jr. unterwegs ist. Und als Vater und Sohn im Haus ankommen und Walter Jr. sich aufrichtig für die tolle vermeintliche finanzielle Hilfestellung, die Gretchen und Elliott leisten, bedankt, ist Gretchen dabei derart unwohl, dass sie im Begriff ist zu gehen. Walter gelingt es zwar noch, Gretchen an der Auffahrt in ihrem Auto abzufangen und sie zu bitten, dass sie niemandem etwas sagen solle, aber auch er weiß, dass dort dringend Gesprächsbedarf besteht, weil sonst seine Tarnung schneller auffliegt als ihm lieb ist.

"I feel so sorry for you, Walt." - "Fuck you."

Walter trifft sich also mit Gretchen in einem Restaurant, bittet sie um Verzeihung und um etwas Zeit, um die Angelegenheit zu klären. Gleichzeitig macht er jedoch klar, dass er ihr keine Erklärung darüber schuldig ist, wie er für seine Behandlungskosten aufkommt oder weswegen er seine Frau anlügt. Gretchen merkt, dass sich Walter verändert hat, aus ihrer Sicht zum Schlechten, kann seinen Sinneswandel jedoch noch nicht so recht einordnen, bis alte Wunden wieder aufgerissen werden. Denn Walter ist immer noch nicht darüber weg, wie Elliott und Gretchen Millionen durch seine Forschung verdient haben (hier also die treffende Analogie zu GE und Dr. Hall) und lässt sie das auch deutlich spüren. Der Walter aus den ersten Episoden von "Breaking Bad" hätte nicht den Mut gehabt, Gretchen derart entgegen zu treten, geschweige denn dies auf eine derart aggressive Art und Weise zu tun. Doch Walters Erlebnisse im Drogenbusiness haben ihn und seine Sicht auf einige Dinge in ihren Grundfesten erschüttert und so wirft er Gretchen am Ende sogar noch ein hasserfülltes "Fuck you" an den Kopf.

Als Zuschauer versteht man Gretchen nur allzu gut und schätzt sie sogar dafür, dass sie nicht aller Welt erzählt hat, dass Walter das Geld von ihr und Elliott nicht annehmen wollte. Auch ihre Version der Geschichte rund um "Gray Matter" sowie ihre teils regelrecht schockierte Reaktion auf Walters offensives Diskussionsverhalten kann man sehr gut nachvollziehen. Gretchen scheint nicht das personifizierte Böse zu sein, zu dem sie Walter hochstilisiert, sondern eine hilfsbereite und nette Frau, die selbst nach dieser Begegnung Skyler lediglich eröffnet, dass sie und Elliott nicht mehr für die Behandlungskosten aufkämen, nicht jedoch die eigentliche Wahrheit erzählt. Gleichzeitig wirkt Walter durch seine Art ihr gegenüber wie ein unausstehliches Ekel.

"I ain't no skank!"

Apropos Ekel: Das Junkie-Paar kommt tatsächlich nach einiger Zeit nach Hause, was Jesse die Möglichkeit gibt, sein Geld zurückzuerhalten. Vorher sorgt er noch dafür, dass der kleine Junge in sein Zimmer geht und sich nicht draußen blicken lässt, denn der Anblick könnte für ihn durchaus verstörend werden. Damit denkt man zwar auch unweigerlich daran, was für eine Freak Show die beiden verkörpern, aber natürlich hat Jesse etwas anderes gemeint, denn die Waffe hat er nicht nur einfach so dabei. Klar, man hätte Jesse die beiden umbringen und das Geld mitnehmen lassen können, aber er ist nun mal weder ein eiskalter Killer noch ein sonderlich gewissenloser Krimineller. Da überrascht es dann auch nicht, wie Jesse stundenlang in der völlig verwahrlosten Wohnung sitzt, anstatt die Zeit sinnvoller zu nutzen, denn 1.000 $ rechtfertigen den Aufwand, den er da unternimmt, keineswegs.

Aber Jesse wäre nun mal nicht Jesse, wenn er nicht nur diesen Umstand nicht erkennen, sondern darüber hinaus auch noch von den beiden überwältigt werden würde. Wenn er gewusst hätte, dass die Streitereien des Junkie-Paars unter seinem kleinen Ausflug in die Abgründe des menschlichen Miteinanders einen jähen Schlussstrich ziehen würde, hätte er sicherlich nicht so viel Respekt vor der von Walter gestellten Aufgabe gehabt. Letzten Endes spricht es auch für den Humor von "Breaking Bad", dass Spooges Kopf durch einen Geldautomaten unter eifriger Mithilfe seiner Frau zermalmt wird, man sich also für eine durchaus innovative Methode entschieden hat, Spooge sterben zu lassen. Das ist makaber, keine Frage. Aber nicht zuletzt "Six Feet Under" ist es gelungen, dadurch großartige TV-Momente zu generieren. Am Ende gibt es ein kleines Happy End für Jesse, als auch noch der Geldautomat eine Menge Geld ausspuckt und es ihm gelingt, die Polizei zu rufen und den kleinen Jungen auf die Veranda vor das Haus zu bringen, wo nun aller Voraussicht nach ein hoffnungsvolleres Leben auf den kleinen Rotschopf wartet.

Fazit

Da hätten wir also auf der einen Seite den Drogendealer, der sich geradezu herzallerliebst um einen kleinen Jungen kümmert und einmal wieder beweist, dass er weder ein Mörder noch ein besonders rücksichtsloser Krimineller ist. Auf der anderen Seite steht ein Chemielehrer, bei dem Krebs diagnostiziert wurde und der sich zusehends in ein unsympathisches Ekel entwickelt, das das eigene Umfeld immer wieder von sich stößt. Die Vorzeichen haben sich vor allem durch diese Episode deutlich verändert. Vielleicht war #2.06 Kuckuck damit nicht gerade eine Episode, die den Plot nennenswert weitergebracht hätte, jedoch war sie unheimlich wichtig für die Charakterzeichnung. Wenn "Breaking Bad" diesen Weg konsequent weiter geht, ist Walter bald einer der wenigen unsympathischen Hauptcharaktere im TV. Mutig.

Andreas K. - myFanbase

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