Review: #2.10 Schluss
Walters Tumor ist um 80% geschrumpft, das Blut, das er in der vergangenen Episode in der Wüste hustete, resultiert aus einer Gewebsentzündung, die im Grunde problemlos zu behandeln ist – eigentlich hätte Walter jeden Grund, sich zu freuen und sich aus dem Drogenbusiness zurückzuziehen. Auf der einen Seite verlängert man so das Haltbarkeitsdatum der Serie, da ihr Hauptcharakter zuvor nur noch wenige Wochen zu leben hatte, auf der anderen Seite müsste die Serie in Anbetracht der augenscheinlich obsolet gewordenen Motivation Walters, Meth zu kochen, einem viel zu frühen und absehbaren Ende entgegen blicken. Denn schließlich muss Walter nicht mehr für ein finanzielles Polster für seine Familie im Falle seines Ablebens sorgen, nachdem nun alle Zeichen in Richtung Genesung deuten. Den Schritt, den "Breaking Bad" dann schließlich am Ende von #2.10 Schluss geht, um sich aus dieser Ecke heraus zu manövrieren, ist gleichermaßen konsequent und mutig und könnte die weitere Charakterzeichnung Walters nachhaltig beeinflussen.
Die Episode beginnt einmal wieder mit dem pinken Plüschbären. Diesmal jedoch sind die Vorzeichen gänzlich anders, denn man bekommt deutlich mehr zu sehen, als man sich dies als Zuschauer erträumen ließ. Von Anfang an war klar, dass der Plüschteddy in den Eröffnungsszenen nicht einfach nur auftaucht, weil sie damit so unverschämt gut aussehen, sondern weil er einen gewissen Zweck erfüllt. Nun weiß man auch welchen. Bereits in #2.04 Ganz unten wurde angedeutet, dass nicht nur der Plüschbär aus dem Swimming Pool gefischt wird, sondern auch Walters Brille. Nun, mit den Einblendungen von Walters Auto in der Einfahrt, weiß man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass Walter zumindest indirekt in den ominösen Vorfall involviert ist, der augenscheinlich mindestens zwei Menschen das Leben gekostet hat. Die Auflösung des Ganzen wird es höchstwahrscheinlich erst im Staffelfinale geben, bis dahin wird man sich als Zuschauer mindestens zwei Fragen immer wieder stellen: 1. Was ist das eigentlich für ein Vorfall? 2. Wer sind die Leichen?
"When I got my diagnosis — cancer — I said to myself, you know...'Why me?' And then... the other day when I got the good news... I said the same thing."
Bevor man dies jedoch erfährt, ist das Tagesgeschäft wieder an der Reihe. Walter scheint Probleme zu haben, sich mit eben jenem zu arrangieren. Anfangs scheint noch die perfekte Idylle zu herrschen und alles ist in Ordnung. Die Whites frühstücken, machen Pläne über eine Feier am Wochenende, um Walters Diagnose entsprechend zu zelebrieren, und Walter teilt Jesse mit, dass er aus dem Drogengeschäft aussteigen werde, sobald das verbleibende Meth Abnehmer gefunden hat. Den ersten Riss in der Fassade gibt es schließlich auf Walters Party, zu der im Übrigen auch Gretchen und Elliott eingeladen sind (wie man wohl die beiden dazu bekommen hat, nach Walters unmissverständlicher Ansage gute Miene zum bösen Spiel zu machen?). Walter wird einfach nur aufgefordert, ein paar nette Worte an die Anwesenden zu richten und zu erzählen, wie sehr ihn die Diagnose des schrumpfenden Krebs gefreut hat. Stattdessen fühlt er sich nicht nur sichtlich unwohl, sondern lässt sich sogar dazu hinreißen, eine Aussage zu machen, die wirklich nur die wohlwollenden Gäste als positiv auslegen würden. Walter gibt von sich, dass er nun dieselben Gedanken habe wie damals, als bei ihm der Krebs zuerst diagnostiziert wurde: "Warum ausgerechnet ich?". Dass dabei mehr mitspielt als ein wenig Nachdenklichkeit ob der Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens, wird in der folgenden Szene deutlich.
"My son, my bottle, my house!"
Walter sitzt gemeinsam mit Hank und Walter, Jr. am Pool und leert eifrig die vor Ihnen auf dem Tisch stehende Flasche Tequila. Dass er dabei Hank mit einbezieht und dieser ein Glas nach dem anderen leeren muss, stört letzteren nicht. Als ein sichtlich mitgenommener Walter dann aber beginnt, Walter, Jr. etwas einzuschenken – und zwar nicht nur einmal – kommt es zur Konfrontation und Hank nimmt die Flasche Tequila, um sie vor Walter in Sicherheit zu bringen. Dieser reagiert vollkommen aufgebracht und schreit Hank vor den versammelten Gästen an. Erst als Walter, Jr. sich schließlich in den Pool übergibt, bricht der Konflikt fürs Erste ab und Walter trinkt weiterhin seelenruhig "seinen" Tequila. So hat man Walter bis auf die Szene mit Gretchen bisher privat nur höchst selten gesehen. Dass er sich als Heisenberg insbesondere gegenüber Jesse gern mal ein wenig wie ein Ekel aufführt, ist nichts Neues. Aber nun scheint es endgültig geschehen zu sein, die Vermischung des privaten und des geschäftlichen Walter. Die Trennwand ist eingestürzt, der bisher privat so besonnene und ruhige Walter scheint nun auch in den eigenen vier Wänden zunehmend aggressiv zu agieren, wenn er es als nötig erachtet.
"You think I'm gonna be all like, hey Dad, meet the stoner guy who lives next door? And by the way, I'm sleeping with him?"
Unterdessen kommt es zwischen Jesse und Jane zum ersten handfesten Streit. Zunächst sieht alles noch nach Liebe und Harmonie aus, Jesse ist sogar bereit, sich gemeinsam mit Jane Bilder von Georgia O'Keefe in einem Museum anzusehen, obwohl er sich dafür so gar nicht interessiert. Er zeigt ihr seine Zeichnungen von Superhelden, die er vor einigen Jahren gemalt hat, bis es schließlich an Janes Tür klopft und diese sich beeilt, um es rechtzeitig aus Jesses Wohnung in ihre und an ihre Tür zu schaffen, wo ihr Vater bereits auf sie wartet. Jesse denkt, dass nun der Moment gekommen sei, wo Jane ihn ihrem Vater vorstellt, und genau dies geschieht auch. Jedoch stellt sie ihn nicht als den neuen Freund vor, sondern lediglich als den neuen Mieter, und lässt einen sichtlich verdutzten Jesse schließlich stehen. Dem gefällt es natürlich gar nicht, dass seine Freundin ihn vor ihrem Vater verleugnet und stellt sie kurz darauf zur Rede. Doch Jane ist der festen Überzeugung, dass sie Jesse einen Gefallen getan hat, indem sie ihn nicht als neuen Freund vorgestellt hat, und gibt ihm implizit zu versehen, dass ihr Vater durchaus gewisse Ansprüche habe und ein Kiffer, mit dem die Tochter ab und an schläft, diese nur bedingt erfüllen kann.
Jesse ist entsprechend erbost darüber und noch viel mehr über die folgende Aussage, dass es kein "du und ich" gäbe. Bei all den Klischees des Genres, denen sich auch die Beziehung der beiden zwangsläufig hier und da unterwerfen muss, sind es vor allem die kleinen Momente, in denen sie ihre Andersartigkeit in die Beziehung einbringen, die den Zuschauer dann doch schließlich packen. In diesem Fall ist das die herzallerliebste Entschuldigung von Jane an Jesse durch ein gezeichnetes "Apology Girl". Die erste handfeste Krise ist überstanden, Jane ist also mehr als Jesses Betthäschen und andersherum. Man darf gespannt sein, was sich daraus noch entwickelt.
"Being that rock takes everything you've got."
Weniger gespannt darf man sein ob der mit dem Holzhammer angekündigten Affäre Skylers mit Ted. Die Storyline ist durchaus nachvollziehbar und wahrscheinlich auch nötig für die weitere Entwicklung der Beziehung zwischen Walter und Skyler, aber nichtsdestotrotz kommt man aus dem Augenrollen nicht mehr raus, wenn Ted, der offensichtlich noch was für Skyler empfindet, von dieser kurzerhand als Trost für all die Vernachlässigung Walters auserkoren wird. Nachdem die erste Barriere eingerissen ist, als Skyler Ted unter Tränen erzählt, dass sich trotz der positiven Diagnose daheim anscheinend rein gar nichts geändert hat, buhlt sie um Teds Aufmerksamkeit, indem sie Dinge im Büro fallen lässt. Auch hier kommt man nicht umhin, sich als Zuschauer selbst zu hinterfragen, inwiefern es nun tatsächlich normal ist, eher mit einem Methfabrikanten mitzufiebern als mit einer liebenden und fürsorglichen Ehefrau und Mutter, die alles versucht, um ihre Familie zusammen zu halten, aber irgendwie gelingt es der Serie dennoch.
"Skyler, there's rot."
Als Walter entdeckt, dass der Warmwasserboiler kaputt ist, sieht er das als gelungene Gelegenheit an, um sich mit etwas anderem zu beschäftigen als mit seiner Krankheit und den Problemen innerhalb der Familie. Also sieht er sich im Baumarkt nach einem neuen Boiler um, installiert diesen eigenhändig und findet dabei hinaus, dass Teile seines Hauses verfault sind. Jetzt, wo er sich schon voll und ganz auf sein neues Leben als Heimhandwerker eingelassen hat, gibt es natürlich keinen Weg zurück und Walter beginnt, das verfaulte Fundament des Hauses auseinander zu nehmen und zu reparieren bzw. gezielt zu ersetzen. In dem Augenblick, in dem von einem Fundament die Rede ist, das offensichtlich bisher unbeachtet von allen verfault, kann man dies natürlich auch als Metapher sehen für Walter, der das Gefühl hat, dass ihm mit der positiven Diagnose bezüglich des Schrumpfens seines Krebs, das Fundament für sein Tun wegbricht, oder für die Familie White, die nicht nur seit Skylers augenscheinlichem Interesse für einen anderen Mann lediglich auf den ersten Blick perfekt ist und wo sich sonst erschreckende Abgründe auftun, wenn man hinter die Fassade sieht.
"Stay out of my territory."
Aber schnell verwirft man den Gedanken, weil einer der besten TV-Momente der vergangenen Jahre folgt. Walter, wieder im Baumarkt, trifft auf einen Junkie, der alle Meth-Zutaten auf seinen Einkaufswagen geladen hat. Erst gibt Walter sogar noch Tipps bezüglich der Qualität des gekauften Equipments und wegen der Offensichtlichkeit, mit dem sich der Junkie als Methkoch seinem Umfeld offenbart. Walter reiht sich in die Schlange an der Kasse und schließlich – klick. Walter ist Heisenberg, lässt seine Einkäufe stehen und geht bestimmend nach draußen, wo er den Junkie und einen großen und furchteinflößenden Kollegen von ihm entdeckt. Währenddessen hört der Zuschauer den lyrisch sehr passenden Song "DLZ" der Indie-Ausnahmeband TV on the Radio und kann nicht glauben, mit welcher Sicherheit Walter vollkommen ignoriert, dass der Kollege ihn problemlos zu Brei schlagen könnte. Er geht schnurstracks auf ihn zu, bis ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander trennen und erzählt den sichtlich verdutzten angehenden Methköchen, dass sie sich gefälligst aus seinem Territorium fernhalten sollen, woraufhin diese verschwinden. Allein der hochzufriedene Ausdruck auf Walters Gesicht nach dieser Auseinandersetzung gepaart mit dem leichten Neigen seines Kopfes nach links kurz vor der Drohung würden dafür sorgen, dass jeder Schauspielaward dieser Welt für Bryan Cranston alles andere als unverdient wäre. Viel wichtiger jedoch ist, dass mit dieser kleinen Szene klar ist, dass Walter gar nicht daran denkt, mit seinen Drogengeschäften aufzuhören, auch wenn er seine ursprüngliche Motivation, für seine Familie auch nach seinem Tod zu sorgen, mittlerweile überflüssig geworden ist. Walter wird zunehmend zu Heisenberg, inklusive aggressivem Gehabe, um die eigenen Ziele durchzudrücken, was ihn zusehends unsympathischer erscheinen lässt. Von dem unsicheren Chemielehrer, mit dem man wegen all der gesundheitlichen und persönlichen Rückschläge Mitleid hatte, ist ein Mensch geworden, der in manchen Situationen ein berechnendes Ekel sein kann.
Fazit
Es ist schwer, eine Episode zu bewerten, die sich teilweise zu sehr auf die Banalitäten des Alltags stürzte, dann aber auf der anderen Seite eine wichtige Wende bezüglich der Sympathieskala der Charaktere konsequent weiterführt und mit einer durch und durch großartigen Szene endet. Nein, perfekt war es sicherlich nicht, was bis zu diesem Punkt geboten wurde. Insbesondere Skyler zieht momentan trotz ihres im Grunde verständlichen Verhaltens den Gesamteindruck der Episode runter und der Konflikt zwischen Jesse und Jane war bis auf das herzerweichende Ende auch eher durch ungewöhnlich viele Klischees geprägt. Aber gleichzeitig gelingt der Serie der Spagat, im ersten Moment die Prämisse der Serie auszuhebeln und diese im letzten wieder einzuführen – und dies vor allem glaubwürdig. In der Hoffnung auf Episoden, die zwischendrin mehr Spannung und ansprechendes menschliches Drama zu bieten haben: 7 Punkte.
Andreas K. - myFanbase
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: OverErstausstrahlung (US): 10.05.2009
Erstausstrahlung (DE): 04.12.2010
Regie: Phil Abraham
Drehbuch: Moira Walley-Beckett
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